Wien – "Hauptsache, weg, es war unerträglich", so beschreibt eine ehemalige Tutorin ihre letzten Monate beim Start-up Go Student. Gemeinsam mit vielen weiteren erhebt sie schwere Vorwürfe gegen das jüngst so gefeierte Bildungsunternehmen aus Wien. Auf Tutorinnen und Tutoren, so heißen die freiberuflichen Nachhilfelehrer bei Go Student, soll massiver Druck ausgeübt werden, Gehälter würden nicht rechtzeitig ausbezahlt, technische Probleme würden oft ignoriert, und prinzipiell ginge es nur um Wachstum "um jeden Preis". DER STANDARD hat das Unternehmen mit den Vorwürfen konfrontiert. Go Student bestätigt "Herausforderungen" wegen gestiegener Nachfrage, spricht von Verbesserungen und dass man Vorwürfe ernst nehme.

Go Student gilt als österreichische Erfolgsgeschichte, das Konzept ist einfach. Manche verstehen von Mathe, Deutsch oder Englisch viel, andere wenig. Über die digitale Nachhilfeplattform Go Student werden beide vernetzt, damit die einen den anderen helfen. Das Geschäftsmodell findet Anklang. Go Student hat Investitionsrunden im dreistelligen Millionenbereich (in Summe knapp 600 Millionen Euro) absolviert, wird mit drei Milliarden Euro bewertet, hat prominente Geldgeber wie Tencent aus China oder Softbank aus Japan.

Gregor Müller (li.) und Felix Ohswald haben 2016 Go Student gegründet. Heute ist es das wertvollste Start-up Österreichs mit einer Bewertung von drei Milliarden Euro.
Foto: APA/GOSTUDENT/FELIX HOHAGEN

Probleme in der Praxis

Doch es gibt eine Schattenseite. Der STANDARD hat mit zahlreichen teils ehemaligen, teils aktiven Tutorinnen und Tutoren gesprochen. Namentlich genannt werden wollen sie aus Sorge vor Konsequenzen nicht. "Permanent ruft das Sales-Team an, permanent soll man neue Schüler übernehmen", sagt eine Tutorin. Der Druck sei groß, sage man Nein, bekomme man das zu spüren. Ein Ex-Tutor erzählt, unter Druck setzen habe er sich zwar nicht lassen, aber es sei nervig gewesen. "Sie werben dauernd neue Kunden an, obwohl es nicht genügend Tutoren gibt. Irgendwann habe ich die Nummern blockiert, damit die Anrufe aufhören."

Herrscht Personalmangel? "Die Nachfrage ist enorm gestiegen. Mittlerweile haben 19.000 Tutorinnen und Tutoren Go Student als Partner gewählt, das Erreichen dieses Meilensteins ging nicht ohne Herausforderungen", schreibt das Unternehmen.

Wachstum lautet in der Tat das oberste Gebot beim 2016 von Felix Ohswald und Gregor Müller gegründeten Unternehmen. Nach der kürzlich erfolgten Expansion in die USA, verkündete das Start-up am Donnerstag, einen Standort in Rom zu eröffnen. Zu schnelles Wachstum sorgt nicht das erste Mal für Kritik, bereits im Jänner äußerte der Deutsche Lehrerverband Bedenken ob Qualität der Nachhilfekräfte.

"Permanent ruft das Sales-Team an, permanent soll man neue Schüler übernehmen"

Beschäftigungsverhältnis

Eine Verpflichtung, mehr Schüler anzunehmen, besteht laut AGB, die die vertragliche Basis für eine Beschäftigung bilden, nicht. "Zwischen Lehrern und Go Student entsteht kein Arbeits- oder freies Dienstverhältnis" – heißt es darin. Es hätten sich dennoch einige "wie Mitarbeiter" gefühlt, es soll auch Konkurrenzverbote gegeben haben, also dass Tutoren nirgends anders Nachhilfe geben dürfen. Vertragliche Basis gibt es in den AGB dazu keine.

"Sollte das der Fall sein, hält das rechtlich nicht. Es besteht der Verdacht der Scheinselbstständigkeit", sagt die Arbeitsrecht-Expertin der Arbeiterkammer Wien Jasmin Haindl. Go Student gebe dann Regeln vor, ziehe sich aber bei Arbeitgeberpflichten zurück. Das Unternehmen äußert sich zum Konkurrenzverbot nicht.

Online-Petition

Über das vermeintliche Konkurrenzverbot beklagen sich auch Leute in einer Online-Petition, in der bessere Arbeitsbedingungen gefordert werden – aktuell unterstützt von 377 Menschen. Diese Petition habe es gebraucht, um überhaupt mit Go Student sprechen zu können. Man sei davor immer wieder "abgewürgt" worden, erzählt eine Tutorin. Auch Kritik und Vorschläge, die 130 Menschen in einer Whatsapp-Gruppe gesammelt hatten, seien im Sand verlaufen.

Elf Forderungen sind in der Petition formuliert. Das geht von pünktlicher Bezahlung über fristgerechte Bearbeitung von Kündigungen bis hin zu einer funktionierenden Website, Erreichbarkeit des Supports zu entsprechender Vergütung. Dem STANDARD liegt ein Mitschnitt von dem 75-minütigen Zoom-Meeting vor. Von Go-Student-Seite wurde viel versprochen, es gab viele Phrasen, viele Floskeln.

Laut Firmengründer Felix Ohswald bewerben sich rund 100.000 Menschen pro Monat bei Go Student – fünf Prozent würden es ins Unternehmen schaffen.
Foto: Felix Hohagen

Frust wegen Bezahlung

Viel Frust hat sich auch beim Thema Bezahlung angestaut. Dem STANDARD liegen seitenlange Protokolle aus Whatsapp-Gruppen mit dem Tenor "Immer noch kein Gehalt bekommen" vor. Go Student entgegnet, dass Tutoren ihre Dienste selbstständig über die Plattform anbieten, man fungiere als Vermittler, Gehalt käme vom Kunden. Es gebe eine Auszahlungsfrist von fünf Tagen, um auf Anpassungen zu reagieren und internationale Auszahlungsprozesse zu koordinieren. Das Geld bekommen Tutoren am Ende des Tages aber von Go Student.

Nicht nur Verspätung frustet: "Wir bekommen 13 Euro für 50 Minuten. Boni werden nur halbjährig ausgezahlt, um Leute zum Bleiben zu zwingen", erzählt eine andere Tutorin. Als ungerecht empfinde sie die No-Show-Regelung. "Fällt eine Stunde aus, muss der Kunde die ganze Stunde bezahlen, Tutoren bekommen aber nur 7,50 Euro." Ausfälle lägen aber oft an der technischen Infrastruktur, gepaart mit mangelnder Erreichbarkeit des Support-Teams.

Laut Go Student arbeite man ständig an Verbesserungen und habe die Ausfallzeit der Plattform von fünf Stunden im Jänner auf drei Stunden im März reduziert. Bei technischen Problemen sollen ausgefallene Einheiten künftig erstattet werden.

Negative Bewertungen

Technische Sorgen und mangelnde Erreichbarkeit des Support-Teams sind Sorgen, die viele teilen. Das berichten Tutorinnen und Tutoren im Gespräch, schreiben Menschen in der Petition und taucht auf Bewertungsplattformen wie Trustpilot auf. Die Wartezeiten, bis man beim Support jemand erreiche – wenn überhaupt – seien sehr lang. Für technische Probleme gebe es nur kurze Entschuldigungen via Whatsapp.

Nachhilfe ist für Schüler kein freudiges Thema. Für die Tutoren von Go Student anscheinend auch nicht mehr.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Grundsätzlich macht Go Student bei Bewertungsplattformen eine gute Figur. Auf Kununu liegt der Go-Student-Score mit 4,3 über dem Durchschnitt in der Bildungsbranche (3,7), und die Weiterempfehlungsrate liegt bei 75 Prozent – auch wenn es im Februar noch 81 Prozent waren. Auf Trustpilot antwortet das Start-up auf negative Bewertungen und wird zu 81 Prozent mit "hervorragend" bewertet. Dem deutschen Handelsblatt zufolge geht Go Student aber auch gegen Kritik vor. In den vergangenen zwölf Monaten (Stand März) hätte das Start-up 268 von 3452 Bewertungen mit dem Status "mangelhaft oder ungenügend" gemeldet, um sie löschen zu lassen. Go Student begründet das damit, dass die Bewertungen nicht den Richtlinien von Trustpilot entsprochen hätten.

Abomodell

Was kostet eine Stunde? Termine werden über die Plattform von Go Student organisiert, Stunden finden via Zoom statt. Das Geschäft basiert auf einem Abomodell, Stunden lassen sich für sechs Monate, ein oder zwei Jahre buchen. Die Stunde kostet zwischen 19,20 und 29,60 Euro. Die Kundenzahlen steigen zwar laufend, schwarze Zahlen schreibt Go Student allerdings noch keine.

Angehende Tutoren müssen ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren durchlaufen. Go Student-Geschäftsführer Felix Ohswald meinte im Februar, fünf Prozent von 100.000 monatlichen Bewerbern schaffen den Cut.

Keine verpflichtende Fortbildung

Zu hinterfragen sind jedoch Versprechen auf der Firmenwebsite an Kunden. "Die Go-Student-Tutoren müssen regelmäßig an Tests und Schulungen teilnehmen, um sicherzustellen, dass sie die aktuellsten Lehrmethoden anwenden und über alle Änderungen im Lehrplan informiert sind", heißt es da. Zwar bietet Go Student 85 Trainingseinheiten an, die Teilnahme ist freiwillig, bestätigt das Start-up. In mehreren Märkten gebe es einen zu absolvierenden Kurs, bevor man seine Dienste anbieten darf. Von Tutorenseite hört man jedoch, ist man einmal drin, sei man auf sich allein gestellt. (Andreas Danzer, 14.4.2022)