Normalerweise wäre er selbstverständlich vor Ort gewesen: Eric Adams, der schwarze Bürgermeister von New York, pflegt das Image des zupackenden Stadtmanagers – und als Ex-Polizist hat der 61-Jährige den Kampf gegen die Kriminalität ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Doch nachdem am Dienstag ein Amokschütze in der U-Bahn im Stadtteil Brooklyn insgesamt 33 Kugeln abgefeuert, zahlreiche Menschen verletzt und Chaos ausgelöst hatte, bliebt Adams dem Ort des Geschehens fern.

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Präsenz zeigen: New Yorker Polizisten beim Kontrollgang in einer U-Bahn-Station in Brooklyn.
Foto: Reuters / Jeenah Moon

Stattdessen meldete sich der Bürgermeister aus seiner Residenz auf der Upper East Side zu Wort. Dort muss er sich seit Sonntag nach einem positiven Covid-Test isolieren. "Wir werden unsere Stadt nicht den wenigen Gewalttätern überlassen", versprach er. Den Ort des Anschlags bezeichnete er markig als "Kriegsgebiet".

Ein Anschlag mit mindestens 23 Verletzten in einer bürgerlichen Wohngegend mitten im Berufsverkehr und ein Bürgermeister, der per Video regieren muss: Die Fernsehbilder, die Millionen Amerikaner zu sehen bekamen, illustrieren so ziemlich das Gegenteil dessen, was Adams bei seinem Amtsantritt zum Jahresbeginn versprochen hatte. Mit ganzer Kraft werde er New York nach den bedrückenden zwei Corona-Jahren, in denen auch die Kriminalität kräftig gestiegen war, wieder zu Normalität, Sicherheit und altem Glanz zurückführen.

Corona-Zahlen steigen

Tatsächlich aber steigen die Corona-Infektionszahlen in der Metropole nach einem absoluten Tiefpunkt im März, als sich nur noch 1.000 Menschen am Tag ansteckten, aufgrund der neuen Omikron-Variante BA.1 derzeit wieder kräftig.

Und der Polizeichef hat soeben eingeräumt, dass die Zahl der Gewalttaten in den ersten drei Monaten ganze 44 Prozent über dem Vorjahreswert liegt. Allein 322 Schießereien wurden registriert.

Bevor am Dienstag ein mutmaßlich 62-jähriger Mann, nach dem nun mit Hochdruck gefahndet wird, für das Horrorszenario in der U-Bahn sorgte, hatten schon andere Vorfälle während der gut hunderttägigen Amtszeit von Adams für negative Schlagzeilen gesorgt. So wurden im Jänner zwei Polizisten in Manhattan getötet. Eine 40-jährige Frau wurde am Times Square vor die U-Bahn geschubst und kam dabei ums Leben. Später wurden zwei Kinder Opfer von Schießereien.

Adams hat auf diese Vorfälle mit einer Mischung aus Repression und Prävention reagiert. Er richtete mehrere Spezialeinheiten gegen Waffengewalt bei der Polizei ein, kündigte verschärfte Streifengänge auf Bahnhöfen und in den U-Bahnen an und lässt die Übernachtungsplätze von Obdachlosen, die sich in der Metro, an Straßenrändern und in Parks der Stadt breitgemacht haben, räumen. Zugleich soll deren Beratung und Betreuung verbessert werden. Ein Programm für bezahlbaren Wohnraum blieb bislang freilich wenig konkret.

Keine dieser Maßnahmen konnte den jüngsten Anschlag verhindern. Nach ersten Erkenntnissen hatte ein Mann in einer orange-grünen Bauarbeiterweste in einem Zug der Linie N zwischen der Station 59 St und 36 St zunächst zwei Kanister geöffnet, aus denen Rauch oder Nebel strömte, und dann das Feuer eröffnet. Insgesamt 33 Kugeln wurden von der Polizei gefunden.

Unklares Tatmotiv

Nach deren Angaben wurden zehn Menschen durch die Schüsse verletzt. Weitere 13 zogen sich entweder bei der Flucht Verletzungen zu oder erlitten Rauchvergiftungen.

Wie der Täter anschließend trotz allgegenwärtiger Videoüberwachung unerkannt fliehen konnte und wo seine Motive liegen, blieb zunächst unklar. Als terroristischer Akt werde der Vorfall derzeit nicht untersucht, erklärte Chefermittler James Essig.

Freilich hieß es bald darauf, dass eine Überwachungskamera in der Station einen technischen Defekt gehabt habe. Später berichtete die New York Times, dass keine einzige Kamera in dem unterirdischen Bahnhof vollständig funktioniert habe.

Für Adams ist diese Panne nur ein Aspekt in einem schweren politischen Rückschlag. Wie eine unbeschwerte "Stadt, die niemals schläft", als die der Bürgermeister seine Metropole gerne verkaufen möchte, wirkt New York nicht. "Niemand sollte unterschätzen, wie destabilisierend so ein Vorfall wirkt", sagte Richard Aborn, der Chef einer Bürgerinitiative gegen Straßengewalt, dem Wall Street Journal: "Das ist genau die Art eines willkürlichen Anschlags, den die U-Bahn-Pendler und Bürger von New York fürchten." (Karl Doemens aus Washington, 13.4.2022)