Wir sind jetzt zwei Pandemiejahre lang mit der Furcht, die falsche Luft ein- oder auszuatmen, zu Bett gegangen und dann vor sieben Wochen im Krieg in der Ukraine aufgewacht. Wir haben Angst, machen uns Sorgen, schrammen an unseren Grenzen. Wir sind erschöpft. Darf man das im Job sagen? Muss sich die Firma jetzt damit auch noch befassen, oder ist das selbstverständlich Privatsache?

Wir haben Angst, machen uns Sorgen, schrammen an unseren Grenzen.
Foto: imago/Thomas Eisenhuth

Den strengen Businessregeln folgend wird man nicht für das "Jammern" bezahlt; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind verpflichtet, sich arbeitsfit zu halten. Immer tipptopp, leistungsstark, fesch, charmant, täglich optimiert und wohlgelaunt ist der gängige Erfolgscode. So weit ist die Antwort klar. Sie ist nur leider falsch. Und ihre Schnittmenge mit der Wirklichkeit ist sichtlich recht klein geworden.

Tatsächlich haben wir jetzt sogar die Verpflichtung, im Arbeitsumfeld zu sagen, wie es uns wirklich geht. Die zurückgetretene deutsche Familienministerin Anne Spiegel hat es getan – nur zu spät, als sie sagte, das Amt und die vier Kinder seien sich so nicht ausgegangen. Sie hat es ausgesprochen. Wenn wir das nicht alle tun, dann verschwindet der Fokus auf die Arbeitsgesundheit wieder, dann werden die mit Pandemieausbruch in die Krisenstäbe gerufenen Fachleute aus Arbeitsmedizin und -psychologie wieder von den Tischen, an denen die Entscheidungen fallen, in ihre Kämmerchen verbannt.

Und dann verpassen wir die große Chance, jetzt wirklich den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, statt uns nur Prozessen und Effizienzrechnungen zu unterwerfen. Jetzt müssen wir sagen, was wir sind, nämlich Menschen, nicht bloß Arbeitsressourcen. Damit bauen wir in unserem Arbeitsumfeld echte Beziehungen auf, die nach all den Homeoffice-Monaten oft fehlen. Kaum etwas brauchen wir dringender. Mit Opferhabitus oder Arbeitsscheu hat das wirklich nichts zu tun. (Karin Bauer, 13.4.2022)