Bei der COP 26 in Glasgow wurde für Klimagerechtigkeit demonstriert. Zumindest das 2-Grad-Ziel dürfte aber noch im Rahmen des Möglichen liegen.
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1,1 bis 1,2 Grad Celsius – das ist der Stand der Dinge. Um diesen Wert hat sich die Erde im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter bereits erwärmt, wenn man den weltweiten Durchschnitt betrachtet. An dieser Entwicklung sind und waren Menschen wesentlich beteiligt – durch die Verbrennung von fossilen Rohstoffen etwa, um Wärme und Energie zu gewinnen. Und noch immer sind die Treibhausgasemissionen, die die globale Erwärmung weiter vorantreiben, hoch. Bis der Schwellenwert 1,5 Grad erreicht wird, dürfte es nicht mehr allzu lange dauern.

Doch die Länder der Erde, die den Klimavertrag von Paris unterzeichnet haben, einigten sich genau darauf: dass diese Erwärmung um 1,5 Grad nicht erreicht werden soll – oder sie zumindest auf zwei Grad eingeschränkt werden kann. Wie realistisch ist es, dass die Klimaziele eingehalten werden? Damit befasste sich eine Studie, die im vergangenen November direkt auf die UN-Klimakonferenz COP 26 im schottischen Glasgow folgte.

Extremwetter vermeiden

Die im renommierten Fachmagazin "Nature" erschienene Arbeit stellte fest, dass die in Glasgow vereinbarte starke Senkung der CO2-Emissionen das Potenzial hat, den Temperaturanstieg auf ein Plus von unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Die Bedingung: Alle Zusagen müssten minutiös eingehalten und schnell umgesetzt werden. Auch dann sei es aber nicht ganz ausgeschlossen, dass das Zwei-Grad-Ziel überschritten wird, berechnete das Forschungsteam, zu dem auch Fachleute des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien gehören.

Hingegen sei es kaum möglich, die Überschreitung der 1,5-Grad-Marke zu verhindern. Das ist einerseits konsternierend, denn mit jedem Zehntel Grad Erhitzung steigt die Wahrscheinlichkeit an, dass etwa katastrophale Extremwetterereignisse öfter vorkommen, die auch Menschenleben kosten werden. Ein Unterschied von 0,5 Grad und seine Konsequenzen sind also nicht zu vernachlässigen. Andererseits besteht die Hoffnung, dass die Erwärmung zwei Grad nicht überschreitet, wenn die Emissionen schnell und stark gesenkt werden. Dadurch könnte man drei- oder vier-Grad-Szenarien, die noch drastischer ausfallen, vermeiden.

Unkonkrete Bekenntnisse

Eine kurze Wiederholung einiger COP-26-Pläne: In der Europäischen Union sollen bis 2050 nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als auf anderem Weg kompensiert werden. Dann würde man die sogenannten Netto-Null-Emissionen erreichen. Zumindest bis 2030 will die Staatengemeinschaft mindestens 55 Prozent weniger Treibhausgas ausstoßen als im Vergleichsjahr 1990. Auch der mittlerweile größte CO2-Emissionsverursacher, China, möchte bis zum Jahr 2060 klimaneutral sein. Die USA als zweitgrößter CO2-Produzent haben sich dieses Ziel bis 2050 gesteckt.

Dazu kommt eine Vielzahl an Ländern, die sich unterschiedliche nationale Ziele gesetzt haben oder dies noch tun wollen. Insgesamt 153 Länder, die beim Pariser Klimaabkommen von 2015 mit an Bord sind, haben ihre Reduktionsziele für 2030 seither überarbeitet, 75 Staaten oder Staatenbünde haben ihre Position in längerfristigeren Bekenntnissen formuliert. Diese gehen teils sogar über die Zusagen hinaus, die sie 2015 abgegeben haben. Derartige Aussagen sind allerdings schwierig miteinander vergleichbar und wenig konkret, monieren Fachleute.

Unter dem Meilenstein

Würden die Zusagen, die einige Zeit vor der COP 26 im Herbst 2021 gemacht wurden, auch tatsächlich fristgerecht umgesetzt, gäbe es Berechnungen zufolge etwa eine 50:50-Chance, dass das Zwei-Grad-Ziel unterschritten wird, wie auch andere Untersuchungen bestätigen. Die bis zum Ende der Konferenz Anfang November gemachten neuen Ziele der 196 Teilnehmerländer des Pariser Abkommens ändern diese Einschätzung aber ein Stück weit, wie die neuen Modellierungen zeigen.

Bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 legten einige Länder striktere Ziele vor als noch 2015. Um die Erwärmung der Erde auf unter zwei Grad einzuschränken, ist aber noch viel zu tun.
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Die Studie beinhalte sowohl gute als auch schlechte Nachrichten, sagte Erstautor Malte Meinshausen von der University of Melbourne (Australien) in einem Pressegespräch. So sehe man erste Hinweise, dass es eine reale Chance darauf gibt, dass die Welt unter dem "historischem Meilenstein" einer Erwärmung knapp unter zwei Grad bleiben könnte. Die Analyse weist die Wahrscheinlichkeit dafür nun mit über 50 Prozent aus.

"Viel zu tun"

Dies könne aber nur eintreten, wenn rasch die Emissionen reduziert würden. Die Politik dazu "ist aber noch nicht implementiert", betont der Wissenschafter. Das Ergebnis der Studie sollte daher keineswegs die Motivation in Richtung Umsetzung schmälern. "Es ist viel zu tun", sagt Meinshausen.

Die Untersuchung zeige erstmals, dass bisher gemachte Zugeständnisse tatsächlich den Weg in Richtung einer Temperaturerhöhung von 1,8 bis zwei Grad bis zum Jahr 2100 weisen. Die Schwankungsbreite der Analysen ließen aber auch ein Plus von 2,8 Grad im schlechtesten Fall zu, die Unsicherheiten seien groß, sagt der auch am IIASA tätige Forscher Zebedee Nicholls. Es gebe "keine Garantien", erklärt Christophe McGlade von der Internationalen Energieagentur. Seit 2015 habe man Fortschritte registriert, die echte Umsetzungsarbeit beginne aber erst jetzt.

Man dürfe auch das 1,5-Grad-Ziel nicht vergessen. Den Berechnungen zufolge besteht nur eine Chance von sechs bis zehn Prozent, dass es mit den erfüllten Glasgow-Zugeständnissen erreicht wird. Geht alles weiter wie bisher, wird noch in diesem Jahrzehnt so viel CO2 ausgestoßen, dass dieses Ziel gar nicht mehr zu erreichen ist. Der aktuelle IPCC-Bericht zeigt, dass es hierfür eine Reduktion der Emissionen von 43 Prozent bis 2030 bräuchte. Dies könne mit aktuell schon vorhandenen Technologien bereits erreicht werden, sagt McGlade.

Ukrainekrieg und Overshoot

Auch im Angesicht des Ukrainekriegs und den dadurch stärker zutage tretenden Energieabhängigkeiten sieht er die Welt an einem "Wendepunkt". Ob daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden, sei natürlich noch unklar. Sehr bewusst müsse einem aber sein, dass Industrieländer weniger entwickelten Staaten mehr Hilfe beim Einhalten von Klimazielen geben müssten.

Die Studie selbst konnte die Erkenntnisse der jüngsten IPCC-Berichte, die im Februar und April erschienen, noch nicht berücksichtigen: Sie wurde bereits Ende November 2021 eingereicht. Insbesondere der vor zwei Wochen erschienene Report zeigt auf, mit welchen Mitteln die CO2-Emissionen am besten gesenkt werden können und dass dafür politische Regelungen notwendig sind.

Auch den hier beteiligten Fachleuten zufolge ist es kaum zu vermeiden, die 1,5-Grad-Schwelle zu überschreiten. Es sei aber auch noch möglich, dass es zu einem "Overshoot" kommt, der in den folgenden Jahren und Jahrzehnten durch effiziente Maßnahmen kompensiert werden kann. So wäre eine Zukunft denkbar, in der bis zum Jahr 2100 die globale Erwärmung wieder auf 1,5 Grad absinkt. (sic, APA, 14.4.2022)