Angesichts steigender Treibstoffpreise könnten Unternehmen etwa beim Transport zusammenarbeiten.

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Die seit Monaten anhaltenden Störungen in den globalen Lieferketten als Folge der Corona-Pandemie haben viele Industrieunternehmen hart getroffen. Der Krieg in der Ukraine verschärft die Situation weiter. Produktionsstätten in der Ukraine sind ausgefallen, Transportwege weggefallen und der Bezug von Rohstoffen aus Russland ist aufgrund verhängter Sanktionen der EU bzw. des Exportstopps Russlands nicht mehr möglich. Mangelnde Verfügbarkeit von bzw. stark gestiegene Einkaufspreise für Rohstoffe und Vorprodukte setzen Unternehmen unter Druck. Die Aufrechterhaltung der Produktion, die Erfüllung von Aufträgen und die Umsetzung vormals geplanter Investitionen sind in Gefahr. So droht in betroffenen Märkten ein Ausfall eigentlich effizienter Unternehmen. Mittelbar könnte dies in einzelnen Märkten zu einer Reduktion oder gar Ausschaltung des Wettbewerbs führen.

Diesem Gefahrenszenario steht das Ziel des Kartellrechts gegenüber, nämlich der Schutz funktionierenden Wettbewerbs. So sah sich unlängst das Europäische Netzwerk der Wettbewerbsbehörden (ECN), dem die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde angehört, zur Veröffentlichung einer gemeinsamen "Erklärung zur Anwendung des Wettbewerbsrechts im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine" veranlasst. Darin hält das ECN fest, dass Kooperationen von Unternehmen in dieser außergewöhnlichen Situation zur Abwendung schwerwiegender Beeinträchtigungen im Gefolge des Krieges zulässig sein können, so etwa in Bezug auf die Sicherstellung des Einkaufs, der Versorgung und einer fairen Verteilung knapper Güter. Die Wettbewerbsbehörden beabsichtigen demnach kein aktives Vorgehen gegen strikt notwendige und vorübergehende Maßnahmen, die speziell auf die Vermeidung solch schwerwiegender Störungen abzielen.

Ausnahme in Krisenzeiten

Auch wenn die Erklärung des ECN damit den Eindruck einer gewissen Kulanz der Wettbewerbsbehörden erweckt, gibt sie bloß wieder, was kartellrechtlich ohnehin eindeutig geregelt ist: Verboten sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Ausnahmsweise kann eine Zusammenarbeit von Unternehmen aber doch freigestellt und damit zulässig sein. Voraussetzung für eine solche Freistellung ist, dass die Vorteile aus der Zusammenarbeit die Wettbewerbsbeeinträchtigung überwiegen. Konkret müssen Effizienzgewinne entstehen, an denen die Verbraucher angemessen beteiligt werden, zum Beispiel in Form von Kostenvorteilen. Außerdem darf die Wettbewerbsbeeinträchtigung nicht über das für die Erreichung der Ziele erforderliche Maß hinausgehen, und der Wettbewerb darf nicht ganz oder zu einem wesentlichen Teil ausgeschaltet werden.

Gerade in der aktuellen Krisensituation bietet diese Freistellungsmöglichkeit Unternehmen vielfach Spielräume, um Probleme in den Lieferketten und damit verbundene wirtschaftliche Risiken durch Eingehen von Kooperationen abzufedern. Vor allem die Sicherstellung der Versorgung von Verbrauchern wird regelmäßig als Effizienzvorteil mit besonderer Bedeutung anzusehen sein. Zu dessen Erreichung kann daher ein gewisses Maß an Wettbewerbsbeschränkung gerechtfertigt sein.

Kooperation beim Transport

So kann es angesichts mangelnder Rohstoffverfügbarkeit beispielsweise zulässig sein, wenn Unternehmen sich im Einkauf zusammentun, um durch größere Nachfragemacht gegenüber einem Lieferanten Rohstoffe in der benötigten Menge zu erhalten. Durch einen gemeinsamen Einkauf könnte auch eine faire Verteilung der benötigten Güter zwischen den beteiligten Unternehmen erreicht werden, um die Produktionssicherheit zu gewährleisten. Kommt es infolge von Gütermangel doch zu einem Produktionsstillstand bei einem Unternehmen, so könnten sogenannte Kollegenlieferungen gerechtfertigt sein: Die betreffenden Produkte könnten vorübergehend von einem Mitbewerber zugekauft werden, um eigene Aufträge erfüllen zu können.

Angesichts stark gestiegener Treibstoffpreise und Transportkosten kann auch eine Kooperation im Transport zweckmäßig sein. Die Bündelung unternehmenseigener Transporteinrichtungen mit jenen eines Mitbewerbers könnte im Sinne einer effizienteren gemeinsamen Belieferung von Kunden gerechtfertigt sein. Ungeachtet der Kostenvorteile kann die Freistellungsfähigkeit einer solchen Kooperation in Österreich auch allein unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten bestehen. Durch Zusammenlegung von Transporten können Lkw-Fahrten und damit CO2-Emissionen reduziert werden. Der damit geförderte Umweltschutz ist im österreichischen Kartellgesetz seit der letzten Novelle im Herbst 2021 unter dem Schlagwort Nachhaltigkeit als mögliche Rechtfertigung von Wettbewerbsbeschränkungen anerkannt.

Vorsicht geboten

Wenngleich das Kartellrecht also hinreichend Freiraum für Unternehmen lässt, um gemeinsam Lieferkettenproblemen und sonstigen Beeinträchtigungen infolge der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine entgegenzuwirken, so ist doch Vorsicht geboten. Ob die aufgezeigten Voraussetzungen für eine Freistellung vom Kartellverbot im Einzelfall tatsächlich vorliegen, hat ein jedes Unternehmen selbst zu beurteilen. Auch wenn die Wettbewerbsbehörden für eine Konsultation bereitstehen, ist eine formelle und verbindliche Freigabe eines Kooperationsvorhabens durch die Wettbewerbsbehörden nicht möglich. Eine umfassende Vorabprüfung angedachter Kooperationen im Unternehmen bleibt daher unabdingbar, um das Risiko kartellrechtlicher Geldbußen zu vermeiden.

Vorsicht braucht es außerdem im Zusammenhang mit einer möglichen marktbeherrschenden Stellung. In der aktuellen Situation können sich Marktgegebenheiten schnell verändern. Fallen Mitbewerber plötzlich weg, könnte sich daraus eine marktbeherrschende Stellung eines verbleibenden Unternehmens ergeben, mit der besondere Verhaltensregeln einhergehen. Besonders dann, wenn ein Unternehmen den Markt für eine schlecht verfügbare Ware beherrscht, wird es auf eine angemessene Bepreisung und faire Belieferung all seiner Kunden zu achten haben. Schließlich hat auch das ECN in seiner Erklärung ausdrücklich festgehalten, dass die Wettbewerbsbehörden verstärkt gegen Unternehmen vorgehen werden, die die gegenwärtige Situation ausnutzen, indem sie Kartelle bilden oder ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen. (David Konrath, Franz Hufnagl, 19.4.2022)