"Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt: "Wenn dir ein Club keine gute Laune mehr macht, wenn er dir nichts mehr gibt, dann gehst du da auch nicht mehr rein."

Foto: imago/Reiner Zensen

Mit mehr als 96.000 Followern gehörte "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt zu den erfolgreicheren Twitter-Usern im deutschen Sprachraum. Nun kehrt der nach eigenen Angaben "liberal-progressive" Medienmacher dem Social Network den Rücken, nachdem er zuvor unter anderem mit Tweets gegen das Tempolimit und gegen Klimawarner stets stark polarisiert hatte.

Club der Moralisten

In einem Interview mit der "Zeit" spricht er über seine Beweggründe – und geht dabei nochmals hart mit seinen Kritikern ins Gericht. So habe er die Plattform anfangs geschätzt, weil er sie wie eine Art Debattierklub sehe, allerdings verhalte es sich mit virtuellen Clubs wie mit dem realen Nachtleben: "Wenn dir ein Club keine gute Laune mehr macht, wenn er dir nichts mehr gibt, dann gehst du da auch nicht mehr rein. Ich bin Hedonist, kein Masochist", sagt er im interview.

Die Stimmung wurde ihm laut Eigenangabe von der Twitter-Community verdorben, die er als "national-moralistische Zauberbude voller Spießer, die mit aller Bitterkeit gegen Leute vorgehen, die anders auf die Welt schauen als sie selbst", bezeichnet. Moralisten ertrage er nur schwer, so der Chefredakteur weiter: "Leute, die ihre Moral aggressiv vor sich hertragen, sind oft besonders bösartig." Wer sich in der eigenen Twitter-Biografie als "Antifaschist, Feminist. She/her" bezeichne, habe zugleich kein Problem damit, Dinge wie "Halt die Fresse, Springer-Presse" zu rufen.

Zugleich geht der FDP-Wähler und Sportwagenfan neben der Twitter-Community, die er als durchgehend links- und grünwählend sieht, auch gegenüber der deutschen Kultur per se in die Kritik. Diese bezeichnet er als "deprimierende Spießer- und Opportunistensteppe" und als "Bundesclownsrepublik".

Linkedin statt Twitter

Gelöscht ist der Account mit über 96.000 Followern übrigens noch nicht, die Tweets wurden bloß archiviert. Dies begründet Poschardt damit, dass er Marktwirtschafter sei und den Account vielleicht irgendwann versteigere: "Zugunsten von 'Ferrari for Future' oder so."

Ob er irgendwann zurückkehre, könne er derzeit nicht sagen. Aktuell entdecke er jedenfalls Linkedin als Alternative, wie er im Interview sagt: "Da sind Leute, die sind an Erfolg interessiert. Da schreibt mir ein Landgerichtspräsident erfreut, dass er über meinen Kommentar gestolpert ist – statt die empörten Tini und Bini mit fünf Followern." (stm, 14.4.2022)