Auch die wenigen bemühten Versuche, Karl Nehammers Spezialoperation in Moskau im Nachhinein einen tieferen Sinn abzupressen, sind erfolglos geblieben und werden es bleiben. Man darf dem Bundeskanzler unterstellen, dass Friede in der Ukraine ihm ein ernsthaftes Anliegen ist, aber ihm zu unterstellen, als Regierungschef eines als feindlich eingestuften Landes bei der gegenwärtigen Kriegslage Wladimir Putin Zugeständnisse abringen zu können, hieße, schwerste Zweifel nicht nur an seinen politischen, sondern auch an seinen intellektuellen Talenten als Nachfolger von Sebastian Kurz zu äußern. Hätte man die Sinnfrage zu diesem Minutentreff, denn mehr war es netto nicht, vorher gestellt, müsste man nicht im Nachhinein genügsam triumphieren, immerhin habe man die Kontrolle über die Bilder behalten. Was muss Putin leiden, kein Foto mit Nehammer zu haben!

Bild nicht mehr verfügbar.

Natürlich wird Karl Nehammer beim Parteitag gewählt werden, kein anderer wollte in den türkisen Apfel beißen.
Foto: REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Was das alles mit schlüssiger Außenpolitik eines neutralen Kleinstaates zu tun haben sollte, ist nicht zu erkennen, auch wenn sich Nehammers Ehefrau und der Ex-Journalist eines deutschen Boulevardblatts darum in Redlichkeit, aber halt auf ihre Weise, bemüht haben mögen. Den Bundespräsidenten vorher zu informieren, war da offenbar weniger wichtig. Schon eher entsteht der Eindruck, hier lag der Versuch eines groß inszenierten Befreiungsschlages vor, der einen Kanzler in der innenpolitischen Bredouille wieder an die Spitze der Umfragen bringen soll, ohne dafür mehr tun zu müssen, als international aufzufallen. In Niederösterreich muss man geliebt werden, wenn man Obmann werden und Wahlen gewinnen will.

Prise Zynismus

Nur ungern traut man einem Bundeskanzler diese Prise Zynismus zu, aber die ganze Inszenierung dieses Ausflugs, die mediale Orchestrierung durch eine Privatkamarilla mit überstürzt angesagter Pressekonferenz zwecks Nachrichtensperre, die, kaum verkündet, auch schon übers Ausland gebrochen war, all das war wenig geeignet, dem Unternehmen einen seriösen Anstrich zu verleihen. Es hat nicht einmal für die Minimalreaktion gereicht, die manche befürchteten: Putin werde den G’wissenswurm aus Wien als Beweis dafür anführen, dass von einer internationalen Isolation seiner Person keine Rede sein könne.

Mit seiner selbstauferlegten Friedensmission wird Nehammer nicht lange, wenn überhaupt, von den Problemen ablenken können, mit denen er als Bundeskanzler und demnächst als Obmann seiner eher maroden Partei konfrontiert ist. Es ist ein schweres Erbe, das ihm von Sebastian Kurz weitergereicht wird, und mit seinem frühen Versuch einer paradoxen Intervention, die ÖVP habe kein Korruptionsproblem, wird er nicht das Auslangen finden. "Direkt, offen und hart" mit Putin zu reden, birgt kein besonderes Risiko. Aber dasselbe an seinen Landeshauptleuten zu versuchen, ist ein Wagnis, an dem schon viele ÖVP-Obleute gescheitert sind.

Natürlich wird er beim Parteitag gewählt werden, kein anderer wollte in den türkisen Apfel beißen. Ein eigenes Programm, das sich vor allem vom Modell Kurz unterscheiden muss, hat er noch nicht erkennen lassen. Es wird einmal weitergewurschtelt, samt den personellen Hypotheken in der Regierung und den finanziellen in der Partei. Aber wenn ihn das Treffen mit Putin für künftige Aufgaben in der ÖVP gestählt hat, war die Reise nicht vergeblich. Kai Diekmann hilf! (Günter Traxler, 15.4.2022)