Magischer Reiseführer durch die georgische Stadt Kutaisi: Alexandre Koberidzes Film "Was wir sehen, wenn wir zum Himmel schauen?".

Polyfilm

In der berühmtesten Verwandlung der Kulturgeschichte ist das Ergebnis nicht erfreulich: Gregor Samsa erwacht in Kafkas Erzählung als ungeheures Ungeziefer. Nun bekommt auch das Kino eine Verwandlung, in diesem Fall aber ist das Ergebnis nicht schrecklich, wenn auch rätselhaft: Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? von Alexandre Koberidze ist die Geschichte einer körperlichen Veränderung und die einer Verzauberung. Sie wird schließlich das ganze Medium erfassen, in dem sich der junge Regisseur betätigt, der in Berlin an der Filmhochschule studiert hat, seine beiden bisherigen Langfilme aber in seiner Heimat in Georgien gedreht hat. Alexandre Koberidze erzählt ein modernes Märchen und entwirft damit zugleich eine Kinomythologie, die es mit den größten Vorbildern aus dem 20. Jahrhundert aufnehmen kann.

Zu Beginn steht eine Begegnung: Lisa und Georgi auf offener Straße, zu sehen sind nur ihre Beine, ein Buch fällt zu Boden. Die Liebe ist sofort da, aber auch die geht nur Schritt für Schritt. Also gibt eine Verabredung. Doch in der Nacht davor verwandeln sich Lisa und Georgi. Sie wachen als (sich) Fremde auf, akzeptieren ihr Geschick aber ohne viele Umstände. Nur die Verabredung platzt. Beide sind zwar da, aber in neuer Gestalt. Beide müssen annehmen, dass sie versetzt wurden. Lisa und Giorgi finden neue Jobs, sie arbeiten in Sichtweite voneinander, es ist Sommer, das Leben findet in Freien statt. Sie blicken mit Sympathie und Wohlgefallen aufeinander, aber auf den Gedanken, sie könnten für einander bestimmt sein, kommen sie noch nicht.

Hunde schauen Fußball

Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? ist in mancherlei Hinsicht auch ein Dokumentarfilm über Kutaisi, diese Stadt dazwischen, zwischen der Hauptstadt Tbilisi und der Touristenmetropole Batumi am Schwarzen Meer. Koberidze filmt häufig Passanten, sehr oft auch Kinder bei ihren zeitvergessenen Spiele. Und die Hunde der Stadt sind bei ihm Protagonisten, sie haben Namen, und wir erfahren, in welchem Café sie sich abends die Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft anschauen. Gianna Nanninis Un estate italiana, der Hit im Jahr nach der Wende, durchweht den Film.

Auch Georgien wurde damals ein freies Land, und Koberidze sucht nun in dieser formalen Freiheit nach spezifischen Freiheiten. Er kann dabei an eine reiche Tradition in seiner eigenen Kultur anschließen, lässt sich aber nicht an den Topos fesseln, dem zufolge Georgien vor allem in der Sowjetunion ein folkloristisches Widerstandsnest gegen den sozialistischen Realismus war.

Magisches Auge

Koberidze inszeniert eine Gratwanderung: das Pathos, das sich gerade bei großen Sportveranstaltungen oft einstellt, wird hier in kleine Zusammenhänge geholt, Kinder dürfen zu Hymnen so auftreten, wie der Fußballstar Leo Messi sich den Kameras präsentiert. Koberidze hält es unverdrossen mit dem Schönen – mit Dingen, die einen vor der Verzweiflung am Leben bewahren könnten. Der Weg von Lisa und Giorgi zu einer Überwindung ihres Fluchs führt zu einer Landkommune, in der Dinge gebacken werden, die Georgiens kulinarischen Weltruf nur bekräftigen würden.

Es ist schließlich das magische Auge einer Kamera, das den Schlüssel bereithält, der die beiden Welten des Davor und Danach zusammenführt. Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen? deutet einen Pantheismus der Dinge an, eine Allgöttlichkeit der struppigen Details, eine Beseeltheit des oft Übersehenen.

Koberidze schafft es, das Licht aus einem Beamer, der Fußballspiele auf eine Mauer wirft, zu einem kosmischen Licht werden zu lassen. Es könnte Steine beleben und bahnt schließlich auch einer Liebe den Weg, die über Sein und Schein hinausführt zum Wesentlichen. (Bert Rebhandl, 15.4.2022)