Spanien ist anders, das betonte nicht nur die Tourismuswerbung vor Jahrzehnten, um erste Scharen an Gästen ins sonnenverwöhnte Land zu locken. Auch die Auswirkungen der bereits zum Jahreswechsel hohen Inflation (6,5 Prozent) sind in Spanien noch schmerzhafter als in der gesamten Union. Die Teuerung kletterte auf Rekordwerte von fast zehn Prozent und damit auf Niveaus wie zuletzt vor vier Dekaden. Man muss auf das Jahr 1985 zurückblicken, als dieser Wert ähnliche Sphären erreichte, das Jahr vor dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Union. Klammert man Energiekosten aus, liegt der Anstieg immerhin noch bei 3,4 Prozent.
Waren 2021 im zweiten Jahr der Covid-19-Pandemie noch exorbitant hohe Stromkosten der Hauptgrund für die rasant steigenden Lebenshaltungskosten, so kommen nun akut hohe Treibstoffpreise als Triebfeder der Inflation hinzu und sorgen dafür, dass sich Spaniens Wirtschaft und die spanische Bevölkerung mit einer ganzen Palette stetig teurer werdender Produkte konfrontiert sehen. Für ärmere Familien und prekär Arbeitende sind diese Mehrkosten kaum zu stemmen.

Nicht zuletzt sind Energie und Treibstoffe in der gesamten Wertschöpfungskette ein beachtlicher Kostenfaktor, sodass eine Vielzahl an Lebensmitteln empfindlich teurer wurde. Dazu tragen auch Importabhängigkeiten, etwa bei Getreide aus Russland und der Ukraine, bei. Aber auch das spanische Olivenöl, alkoholfreie Getränke, Obst und Gemüse haben im Preis zugelegt. Viele Bäckereien erhöhten den Brotpreis, wenngleich minimal – und nicht wenige Restaurants, Cafés und Tapas-Bars zogen nach.
Landesweite Streiks
Als erster großer Sektor riefen die spanischen Transporteure und die Lkw-Fahrer Anfang März zum "unbefristeten Streik", die Dieselkosten hätten ihre Arbeit unrentabel gemacht, klagten Unternehmerverbände. Über 20 Tage standen landesweit Lkws still, fuhren in Konvois im Schritttempo, blockierten Straßen, zündeten Barrikaden aus Autoreifen an den Zufahrten zu Häfen und wichtigen Industrien sowie einem Kohlekraftwerk im nordspanischen Galicien an, das den Betrieb einstellen musste, wie auch das VW-Werk bei Pamplona oder die Brauerei von Estrella Galicia. Hart getroffen wurde der Agrarsektor, der etwa im "Plastikmeer" der Gewächshäuser um Almería (Andalusien) auf Tonnen an Tomaten, Paprika und Gurken sitzenblieb und über drei Millionen Euro pro Woche an Verlusten anhäufte. Selbiges geschah mit Milch und Milchprodukten, während Tierzuchtbetrieben die Futtermittel auszugehen drohten. Einzelne Lebensmittelproduktionsbetriebe mussten die Arbeit einstellen, allein 35.000 Mitarbeiter in der Fliesenherstellung wurden in Kurzarbeit geschickt.
In den Fischereihäfen wie im galicischen A Coruña verfaulten Fisch und Meeresfrüchte en masse. Für knapp eine Woche legte auch das Gros der spanischen Fischereifangflotte die Arbeit nieder. Die Schiffe blieben wie 950 Fischerboote in Andalusien in den Häfen fest vertäut.
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Auch Spaniens Landwirte sekundierten den von großen Agrarbetrieben und Unternehmerdachverbänden organisierten Protest in der zweiten Märzhälfte in Madrid. Laut Regierungsdelegation nahmen mehr als eine Million Menschen teil. Nicht mehr rentabel sei der Betrieb bei den hohen Kosten, wurde argumentiert – und man fordert Staatshilfen. Auch um die Auswirkungen der in weiten Landesteilen bis Ende März vorherrschenden Dürre zu lindern.
Auswirkungen zeigten sich auch in Supermärkten. Milchprodukte, Obst, Gemüse, aber auch Bier gingen zur Neige, die Preise stiegen mangels ausreichenden Angebots. Zur Beilegung des Streiks griff die Regierung von Premier Pedro Sánchez tief in die Staatskasse und subventioniert seither Diesel mit 20 Cent Zuschuss pro Liter. Vorerst auf drei Monate befristet, wird diese Maßnahme knapp eine Milliarde Euro allein für den Transportsektor kosten. Weitere 450 Millionen Euro bekommt der Sektor an Direkthilfen. Aber auch für Privatpersonen wird seit Ende März der Liter Benzin oder Diesel mit 20 Cent staatlich gestützt, einzelne Petrochemiekonzerne wie Repsol oder Cepsa schießen ihrerseits weitere fünf Cent zu, um Kunden an ihre Zapfsäulen zu locken. (Jan Marot aus Granada, 15.4.2022)