Die finnische Armee, hier bei einer Übung im Nato-Land Norwegen, gilt als mannstark und effizient. Anders als in anderen westlichen Staaten wurde die Wehrpflicht nie abgeschafft.

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Noch vor wenigen Monaten stieß Finnlands Präsident Sauli Niinistö mit seinen Warnungen vor Russlands Aggression meist auf taube Ohren. Weil die Welt nicht überall so friedlich sei wie im Land von Sauna, Seen und Salmiakki, müsse man besser heute als morgen an Sicherheit denken, erklärte Finnlands bürgerliches Staatsoberhaupt wieder und wieder.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sieht sich Niinistö, dem Suomis Verfassung weitreichende außenpolitische Befugnisse einräumt, voll auf Kurs. So wie auch das benachbarte Schweden denkt Finnland so laut über einen Nato-Beitritt nach, dass es bis Moskau und darüber hinaus gehört wird.

In kaum einem anderen Teil Europas lässt sich die vielzitierte "Zeitenwende" nach dem russischen Überfall auf die Ukraine so genau festmachen wie im hohen Norden. Der Wind des Wandels weht die beiden traditionell neutralen Länder nun in Orkanstärke in Richtung Nato. Tatsächlich lautet die Frage nicht, ob Schweden und Finnland dem westlichen Bündnis beitreten, sondern wann – und wie Russland auf die "Provokation" reagiert. Am Donnerstag drohte der Kreml schon einmal damit, Atomraketen in Kaliningrad im Baltikum zu stationieren, sollten die beiden nordischen Länder der Nato betreten.

Sorge schon seit Jahren

Während die beiden Länder in Friedenszeiten politisch mitunter durchaus unterschiedlich Kurs nehmen, marschieren Helsinki und Stockholm nun im Gleichklang in Richtung Nato-Beitritt. Das liegt nach Ansicht von Simon Kuschut, Professor für Sicherheitspolitik an der Zeppelin-Universität im deutschen Friedrichshafen am Bodensee, auch daran, dass man sich dort schon viel früher mit dem russischen Expansionsstreben beschäftigt hat. "Spätestens seit der Annexion der Krim 2014 haben beide Länder die Annäherung intensiv vorangetrieben." Bald schon dürften Helsinki und Stockholm Nägel mit Köpfen machen. "Das Beispiel Ukraine, die seit 2008 vergebens auf den Beitritt gewartet hat, ist eine Warnung."

Ein Hauptgrund für die Angst der Nordländer vor Russland offenbart sich bei einem Blick auf die Landkarte: Finnland teilt eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland und hat 1940 im Winterkrieg erfolgreich eine Invasion aus dem Osten abgewehrt, allerdings Teile Kareliens abtreten müssen. Schweden, das im Zweiten Weltkrieg neutral war, fürchtet einen Angriff auf die Ostseeinsel Gotland, von der aus weite Teile der Handelswege zwischen Kopenhagen und Sankt Petersburg kontrolliert werden.

Seit Jahren üben finnische und schwedische Kriegsschiffe als "Partner" gemeinsam mit der Nato in der Ostsee; nun soll es nach dem Willen der finnischen und – etwas weniger ausgeprägt – auch der schwedischen Bevölkerung schnell gehen. Nahezu 80 Prozent der Finninnen und Finnen betrachten einer Umfrage zufolge Russland als Bedrohung. Seit dem Ukraine-Überfall hat sich die Zustimmung zu einem Nato-Beitritt in Finnland verdreifacht, auch in Schweden wünschen sich immer mehr Befragte den Schutz durch den Nato-Artikel fünf – die Beistandspflicht aller Mitglieder im Falle eines Angriffs auf eines.

Offene Türen

Zwar sei etwa der 5,5-Millionen-Staat Finnland mit 300.000 Soldatinnen und Soldaten samt modernster Ausrüstung schon für sich durchaus wehrhaft und Russland in der Ukraine hart gefordert. "Nüchtern betrachtet marschiert Putin aber nur deshalb nicht in das Baltikum ein, weil Estland, Lettland und Litauen Nato-Staaten sind", sagt Koschut.

Die Regierungschefinnen Sanna Marin in Finnland und Magdalena Andersson in Schweden wollen sich zwar noch nicht festlegen, ob sie ihre Länder tatsächlich im Eilverfahren in die Nato führen. Wenn ja, könnten die Anträge schon im Mai in Brüssel einlangen. Dort rennen sie offene Türen ein. "Es muss aber klar sein, dass die Beistandspflicht für Finnland und Schweden ab dem Zeitpunkt des Antrags gilt, um das Risiko auszuschließen, dass Russland vorher mit einem Angriff Fakten schafft", sagt Koschut. (Florian Niederndorfer, 15.4.2022)