WM-Finale 1938:Titelverteidiger Italien (links Fodi) schlägt Ungarn in Colombes bei Paris mit 4:2. Das Team Groß-Deutschland unter Reichstrainer Sepp Herberger ist da trotz der Verstärkung aus Österreich längst gescheitert.

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James Donnelly fühlte sich wenige Tage als Teamchef.

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Es musste etwas geschehen. Fast sechs Monate waren seit dem mühevollen 2:1 gegen Lettland, mit dem sich Österreich für die WM 1938 in Frankreich qualifiziert hatte, vergangen. Die "Generation Wunderteam", 1934 als WM-Vierte schon nicht mehr auf alter Höhe, hatte Patina angelegt. Matthias Sindelar gab immer seltener den "Papierenen", weil es ihn immer häufiger irgendwo zwickte, bei Karl Sesta wunderte sich keiner mehr, warum sie ihn wie seit jeher den "Bladen" nannten. Und Verbandskapitän Heinrich Retschury konnte seiner undankbaren Aufgabe, die er nach dem Tod Hugo Meisls im Februar 1937 übernommen hatte, aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr nachkommen.

Trotz wachsender Kritik und einer peinlichen Testspielniederlage gegen Gradjanski Zagreb sprachen die Granden des österreichischen Fußballbundes (ÖFB) Februar 1938 dem ehemaligen Vienna-Verteidiger und in ganz Europa geschätzten Schiedsrichter auf Druck der Nationalligavereine das Vertrauen aus. Schließlich stand die WM-Auslosung in Paris unmittelbar bevor. Und ganz auf sich allein gestellt würde der Verband den Glasermeister ohnehin nicht zur Endrunde schicken.

Schlechte Form

Mit Jimmy Hogan war diesmal allerdings nicht zu rechnen. Als ausführendes Organ von "Mastermind" Meisl war der englische Trainer dem ÖFB erstmals bei den Olympischen Spielen 1912 zu Diensten gewesen, Anfang 1938 hatte er aber noch alle Hände voll zu tun, Aston Villa wieder erstklassig zu machen. ÖFB-Präsident Dr. Richard Eberstaller nützte deshalb die noch frischen Meisl-Kontakte zu Stanley Rous, dem Generalsekretär des englischen Verbandes FA, um einen anderen Geeigneten zu erbitten.

Es geschah ohne das heute übliche wochenlange Vorgeplänkel, als Die Stunde am 9. März ihre Leser informierte: "Die derzeitige schlechte Form der Spieler erforderte Maßnahmen und der Ö.F.B. glaubt, mit dem Engagement eines englischen Trainers, der sich auch mit der Beobachtung der einzelnen Akteure zu beschäftigen hätte, ein wirksames Mittel gefunden zu haben, um das österreichische Team für die Weltmeisterschaft in gute Kondition zu bringen."

Als den "englischen Trainer" stellte sie James Donnelly vor, der eigentlich Ire war. Wie Hogan war er vor Jahren als Fußball-Entwicklungshelfer auf den Kontinent geschickt worden. Bei Gradjanski Zagreb und vor allem dem türkischen Günes SK, dem angeblichen Lieblingsklub von Präsident Atatürk, hatte er hervorragende Arbeit geleistet, weshalb ihm bald die Aufgabe übertragen wurde, als Trainer des türkischen Nationalteams zu Olympia nach Berlin zu reisen.

Seit Oktober 1937 arbeitete der ehemalige Profi von Blackburn, Southend und Brentford bei Ambrosiana-Inter, wie Inter Mailand nach der Machtergreifung Mussolinis zu heißen hatte. Offiziell als Technischer Berater des Präsidenten, als Trainer des B-Teams und für die Gegner-Analyse. Das erledigte er immerhin so gut, dass Trainernovize Armando Castellazzi mit den "Nerazzurri" auf dem Weg zum vierten Meistertitel war, als Donnelly noch am selben Tag der Zeitungsmeldung am Wiener Südbahnhof eintraf.

"Es war nicht leicht, ihn im Strom der Ankömmlinge zu agnoszieren, da nur ein sehr beiläufiges Signalement vorlag", vermerkte das Sport-Tagblatt subtil, dass der ÖFB gerade einmal so viel von seinem neuen Trainer wusste: "Groß, schlank, blond." Mithilfe eines Fotos hat Verbandstrainer Luigi Hussak seinen potenziellen Nachfolger doch ausfindig gemacht, ihn kurz im Hotel Regina abgesetzt, um ihn dann ins Stadion zu eskortieren, wo Donnelly seinen Teamkader in einem Vorbereitungsspiel gegen SK Bratislava (mit einem gewissen Leopold Stastny in der Abwehr), sowie das B-Team erstmals in Aktion sehen sollte. Schließlich stand für 24. März bereits das nächste Länderspiel in Frankreich an.

Am nächsten Tag jammerten die Zeitungen über Unentschieden in "zwecklosen Probespielen". Von Donnelly wussten sie, dass er zu weiteren Verhandlungen in Wien bleibe. Und dass er in der Systemfrage das Fünf-Stürmer-Spiel, also das alte 2-3-5, dem moderneren 3-2-2-3 vorzog. Als Donnelly am nächsten Tag im Hotel Regina aufwachte, hatte die noch entscheidendere Systemfrage Hitler mit dem Einmarsch für sich entschieden. Und so war am 14. März bereits in der zweiten Ausgabe des NS Telegraf zu lesen, dass Donnelly nach Mailand zurückgekehrt war, "um seine privaten Verhältnisse zu ordnen".

Parteigenosse Präsident

Das Frankreich-Länderspiel wurde abgesagt, Dr. Eberstaller, dessen Namen nun ein Pg. für Parteigenosse (der er seit 1931 war) vorangestellt wurde, machte sich auf nach Berlin, um sich seine Instruktionen zu holen. In einem mit 28. März datierten Schreiben setzte er den Weltverband Fifa "mit deutschem Sportgruß" in Kenntnis, "dass der Österreichische Fußballbund seine Organisation liquidiert hat". Die Gefügigkeit sollte sein Schaden nicht sein, der Herr Oberlandesgerichtsrat, wurde 1944 Vize-Präsident des Wiener Gerichts und zeigte keine Scheu, Todesurteile zu unterfertigen.

Als der ÖFB am 7. Juni auch offiziell aus der Fifa ausschied, war die WM bereits seit drei Tagen im Gange – mit den Wienern Raftl, Schmaus, Hahnemann, Neumer, Pesser, Skoumal, Stroh, Wagner und SA-Offizier Mock, dem Bundestrainer Sepp Herberger sogar die Kapitänswürde übertrug.

Für zu leicht befunden

Am 9. Juni war das Team Groß-Deutschland schon gescheitert. Nach einem 1:1 im Eröffnungsspiel gegen die Schweiz setzte sich die vom Wiener Karl Rappan betreute "Nati" im Wiederholungsspiel mit 4:2 durch. Die sozialistische Tageszeitung Le Populaire verhöhnte die Herberger-Truppe als "Unterführer des deutschen Sports". Rappan dürfte das nicht lustig gefunden haben. Wie Jahrzehnte später ruchbar wurde, war er NSDAP-Mitglied und seine ganze Familie in NS-Organisationen in Zürich engagiert.

Jim Donnelly wurde auch in Mailand nicht mehr gebraucht. Nach dem Meistertitel ging Castelazzi zwar als Trainer, Präsident Ferdinando Pozzani wählte aufgrund mangelnden Italienisch-Kenntnisse nicht den Iren als Nachfolger, sondern den Österreicher Tony Cargnelli, der mit dem AC Torino bereits einen Meistertitel gefeiert hatte. Donnelly heuerte im Oktober beim Amsterdamschen FC an, bis ihn 1940 auch dort die Nazis einholten. Die große Trainerkarriere war dahin, daheim in Lancashire war er noch bis in seine Fünfziger beim kleinen Clitheroe FC als Spieler-Trainer aktiv, ehe er 1959 starb.

Sein Beinahe-Verbandskapitän Heinz Retschury war ihm bereits im Dezember 1944 vorausgegangen. Als Nachkomme einer so genannten "privilegierten Mischehe" (die Mutter war Jüdin) hatte er im Fußball der Ostmark keine Rolle mehr spielen dürfen. In der Nazizeit als "Verfemter" nur provisorisch bestattet, fand er erst drei Jahre später seine letzte Ruhe am Döblinger Friedhof. Auch Dr. Eberstaller erreichte seine letzte Ruhestätte erst über einen Umweg. Am 12. April 1945 hatte er mit Freunden, seiner Frau Maria, einer Halbschwester von Alma Mahler, sowie seinem Schwiegervater, dem Maler und Mitbegründer der Wiener Secession, Carl Moll, in der Villa der Familie in Döbling noch seinen 58. Geburtstag gefeiert.

In den frühen Morgenstunden wussten sie die über den Wienerwald kommende russische Armee bereits so nah, dass die drei bis zuletzt überzeugten Nationalsozialisten Gift nahmen. Bedienstete verscharrten sie zunächst im Garten der bereits unter Beschuss stehenden Villa. Monate später durften auch sie in die geweihte Erde des Grinzinger Friedhofs. Im Falle des Katholiken Moll war man dabei so großzügig, als Todesursache die Folge einer Granat-Verletzung in die Sterbematriken einzutragen. (Horst Hötsch, 18.4.2022)