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Die Frauen der Yao-Bevölkerung in China kennen sich mit Kämmtechniken gewiss bestens aus: Sie sind bekannt für ihre langen Haare, die sie beim Langhaarfestival zur Schau stellen.
Foto: Stringer / Reuters

Beim Versuch, Knoten im Haar auszubürsten, kann ein allzu überschwängliches Kammführen nicht nur Kindern die Tränen in die Augen treiben. Je nach Verzweiflungsgrad und Haarstruktur greifen viele Menschen zu Haarspülungen, um dem Problem zumindest teilweise beizukommen, oder setzen auf spezielle Bürstenborsten, die das mühselige Unterfangen erleichtern sollen. Und je kürzer man die Haare hält, desto einfacher tut man sich naturgemäß mit den Haarknoten, was zu einer weiteren Bewältigungsstrategie – dem Griff zu Schere oder Rasierapparat – führt.

Aus persönlicher Betroffenheit beschäftigte sich auch der angewandte Mathematiker Lakshminarayanan Mahadevan mit der Entwirrung langer Haare. Nicht, weil er seine eigenen Haare in üppiger Pracht hielte, sondern weil er seiner jungen Tochter die Haare bürstete. Eine Aufgabe, die er allerdings nicht lange innehatte: "Ich wurde in diesem Job bald gefeuert, weil ich nicht sehr geduldig war."

Doch die Frage trieb den Mathematiker der Universität Harvard weiterhin um. "Ich erinnere mich daran, dass Entwirrungsspray manchmal zu wirken schien, aber ich musste trotzdem vorsichtig und sanft kämmen, beginnend bei den Spitzen", sagt Mahadevan. Und er wollte auch in seinen Fachgebieten eine Annäherung an dieses Thema unternehmen: Was steckt mathematisch hinter dem Durchkämmen von Haaren oder – allgemein betrachtet – Faserbündeln?

Vorsichtige Annäherung

Am Anfang steht bei solchen Analysen eine Vereinfachung. Ein ganzer Kopf voll Haare ist schwieriger zu untersuchen als zwei lange Strähnen oder einzelne Haare, die umeinandergewunden sind. Durch Beobachtungen stellten die drei beteiligten Forscher fest, dass sich bei einem kleinen Faserbündel relativ häufig zwei Einzelfasern ineinander verdrehen und für einen Knoten sorgen, weshalb sich das Team auch auf diesen Fall konzentrierte.

Das Näherungsmodell, das die Gruppe nutzte, ist das einer Doppelhelix: Wie zwei umeinanderlaufende Wendeltreppen sind die Strähnen dabei angeordnet. Ein Muster, das auch beispielsweise aus der Molekularbiologie bekannt ist, zumal etwa die DNA-Stränge in einer Doppelhelix umeinandergewunden sind.

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Ähnlich wie beim doppelsträngigen Erbmaterial, der DNA, wurde auch im Haarknotenmodell mit zwei umeinandergewundenen Haarsträhnen gerechnet.
Bild: Laguna Design / Getty / Science Photo Library

Zunächst maß die Forschungsgruppe in einem Experiment die Kräfte und Verformungen, die auf zwei derart verzwirbelte Fasern wirken, wenn sie von einem einzelnen, starren Kammzinken getrennt werden. Danach wurde die Prozedur mit den ermittelten Zahlenwerten simuliert.

Die beste Methode

So konnte das Team mathematisch erklären, weshalb die intuitiv von vielen benutzte Technik zum Bürsten relativ glatter Haare die effektivste zu sein scheint: Wenn man mit kurzen Bürstenstrichen im Bereich nahe den Spitzen beginnt und sich allmählich zum Haaransatz hocharbeitet, sind die Erfolgschancen gut, Haarknoten nicht zu verschlimmern, sondern zu beseitigen.

Auf diese Weise werde nämlich der Wert der "Verknüpfungsdichte" minimiert, sagt der beteiligte Ingenieurswissenschafter Nicholas Charles: "Diese mathematische Größe gibt das Ausmaß an, in dem Haarsträhnen miteinander verflochten sind." So ließe sich auch die ideale Mischung aus vielen kurzen Bürstungen berechnen und solchen, die das Haar in der Länge durchkämmen, aufgrund mehrerer potenzieller Verknotungen aber umso schmerzhafter sind.

Die Forschenden erstellten ein Modell, um das Lösen von Haarknoten zu simulieren. Dazu vereinfachten sie das Problem auf zwei zu entwirrende Haarsträhnen, die sich zu einem Knoten ("kink") verstricken, und einen einzelnen Zinken, der sie trennen soll.
Bild: Mahadevan Lab/Harvard SEAS

Kämmende Roboter

Freilich gibt es auch einige Einflussfaktoren, die die Formel beeinflussen – etwa die Reibung und die Struktur der Haare. Nach diesem ersten Schritt will das Forschungsteam jedenfalls auch die Kämmbarkeit von lockigem Haar mathematisch unter die Lupe nehmen und Umweltfaktoren wie Feuchtigkeit und Temperatur berücksichtigen. Denn gerade Menschen, die wilde Locken zähmen wollen, wissen, dass sich dies mit feuchtem Haar in der Regel einfacher gestaltet als in trockenem Zustand – ein Punkt, der auch in der Studie unterstrichen wird und weiter untersucht werden soll.

Eine Anwendungsmöglichkeit für das mathematische Modell hat das Team bereits gefunden: Eine Forschungsgruppe am Massachusetts Institute of Technology (MIT) um Informatikerin Daniela Rus wendet es im Zuge eines Roboterprojekts an. Ihr robotischer Arm mit Bürste soll Haare möglichst schonend, aber effektiv kämmen und könnte in der Betreuung älterer und in der Mobilität eingeschränkter Personen helfen. Das Modell fließt in Algorithmen ein, die für eine schmerzfreie Kämmerfahrung sorgen sollen.

Anwendungen und Preise

Außerdem befassen sich verschiedene Industrien mit verknäulten Fäden. Die Erkenntnisse könnten etwa für die Vorbereitung von Wollfasern interessant sein, die zu Garn gesponnen werden. Auch in ganz anderen physikalischen Systemen wie Magnetfeldern spielt das Verhalten von Filamenten eine Rolle. Der mathematische Bereich der Topologie beschäftigt sich allgemein auch mit Fäden und Knoten: Hier geht es darum, Dinge zu erforschen, die ihre Eigenschaften beibehalten – auch wenn sie im Raum bewegt oder sogar zerknüllt werden. Ein Forschungsfeld, in dem sich auch drei Physiker betätigten, die dafür 2016 den Nobelpreis erhielten.

Ein namensverwandter Preis könnte den drei Wissenschaftern verliehen werden, die die aktuelle Haarknäuelstudie durchführten, nämlich der Ig-Nobelpreis, mit dem satirisch ungewöhnliche Forschungsarbeiten ausgezeichnet werden. Für Mahadevan wäre es nicht das erste Mal: Er erhielt den Schmähpreis bereits 2007 in der Kategorie Physik für mehrere Arbeiten, in denen er sich mit dem Faltenwurf von Tüchern auseinandersetzte. (sic, 15.4.2022)