Mit Schnee begann die Geschichte von Attensam. Oliver Attensams Mutter hat bei einem Betrieb für Schneeräumung gearbeitet und später mit dem Vater die Firma im Wohnzimmer gegründet. Unternehmertum bekamen die Söhne hautnah mit. Gut möglich, dass eines der vier Kinder ebenfalls Geschmack daran findet.

STANDARD: Schnee zu Ostern macht wenig Freude. Es scheint ihn aber immer weniger zu geben. Was macht man als Unternehmen, zu dessen Kompetenzen Schneeräumung zählt?

Attensam: Na ja, es schneit auch in Wien immer wieder. Aber wenn wir auf ganz Österreich schauen, haben wir ganz normale Winter. Vor ein, zwei Jahren waren Kärnten oder Osttirol eine Katastrophe, heuer hat es zwischen Innsbruck und Salzburg wirklich viel geschneit. So wandert das herum. Gott sei Lob und Dank.

STANDARD: Als grantelnder Stadtbewohner denkt man häufig, man wurde übersehen. Wie schlägt das bei Ihnen auf, wenn Schneechaos ist?

Beim Fotografieren lässt sich Oliver Attensam (51) – Geschäftsführer und Eigentümer der Firma – artig diktieren, mit welchen Utensilien er posieren soll. Tatsächlich nützt er das Telefon besonders intensiv.
Robert Newald

Attensam: Da rufen uns in der Früh hunderte Leute an und sagen: Habt ihr eh gesehen, es schneit? Wann kommt ihr? Drei-, viertausend Anrufe an einem Tag muss man dann in der Zentrale abwickeln. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen wegen der Straßenschneeräumung und wegen Objekten anrufen, die wir nicht betreuen.

STANDARD: Klingt ärgerlich. Wie gehen Sie damit um?

Attensam: Wir betreuen fünf Millionen Quadratmeter, der Anrufer meint oft einen halben Meter irgendwo. Diesen müssen Sie in der Sekunde identifizieren und dem richtigen Routenfahrer zuordnen. Wenn es schneit, sind bei uns 1.000 bis 1.500 Menschen involviert. Das ist wie bei einem Theaterstück. Es ist ewig einstudiert. Wenn die Premiere ist, sollte jeder wissen, wer welche Rolle hat und wann er auftritt. Wir haben eigene Beschwerdefahrer, die sind wiederum Souffleur.

STANDARD: Ein riesiger Logistikaufwand – oder liege ich da falsch?

Attensam: Das ist ein Riesenzirkus, eigentlich ein bisschen verrückt.

STANDARD: Vermutlich digitalisiert?

Attensam: Mittlerweile total digitalisiert. Ich hab in den 1980er-Jahren als Jugendlicher bei meinen Eltern ausgeholfen. Wenn ein Problem aufgetreten ist, wurde der Betreffende per Pager angepiepst, hat alles stehen und liegen gelassen, ist zu einer Telefonzelle gelaufen, um in der Zentrale anzurufen. Dann hatte der keinen Schilling mit. Das war immer die Ausrede: "Der hat keinen Schilling gehabt." Bei manchen Telefonhütteln waren die Zähler schneller. Da hat der seinen Schilling reingeworfen und Hallo gesagt. Und zack, weg war er wieder.

STANDARD: Bei Ihren Eltern begann alles klein, in der Wohnung – im Homeoffice mit zwei Kleinkindern. Hatten Sie während Corona ein Déjà-vu?

Attensam: Es hätte so sein müssen, war es aber nicht. Ich war Ende März in meinem Haus in Tirol übers Wochenende Ski fahren. Am Freitag waren die ersten Hamsterkäufe. Wir haben den Kindern gesagt, nehmt alle Schulsachen mit, wer weiß, ob wir wieder zurückkommen. Prompt wurde am Sonntag die Quarantäne verkündet. Ich war sehr gestresst, weil es geheißen hat, man darf nicht arbeiten. Unser Innungsmeister hat bis Mitternacht gebraucht, dass wir Gebäudereiniger auf die Liste der systemrelevanten Unternehmen kamen. Dann haben wir eine Woche gebraucht, um herauszufinden, was wir dürfen und was nicht.

Oliver Attensam ist früh in die Firma eingestiegen. Anfangs gemeinsam mit dem Bruder. Als sie gegründet wurde, war er 13, für den ersten Aushilfsjob bekam er 13 Schilling die Stunde. In seiner Jugend war er Leistungsschwimmer. Heute hält er sich mit Golf, Skitouren und Wasserskifahren fit.
Robert Newald

STANDARD: Ihre Geschäfte haben auch während Corona floriert. Wissen konnten Sie das im Vorhinein nicht.

Attensam: Am Anfang haben wir Massenkündigungen bekommen. Bei einem Kunden mit 250 Mitarbeiter am Standort war von heute auf morgen niemand mehr.

STANDARD: Was macht man in so einem Fall mit den Mitarbeitern?

Attensam: Die Politik hat groß Werbung für die Kurzarbeit gemacht. Ich habe mir gedacht, die Mitarbeiter werden uns um den Hals fallen und sagen: Super, das ist klasse. Wir sind draufgekommen, dass die Leute arbeiten wollen. Da hat es geheißen: Wir brauchen das Geld, 80 Prozent ist uns zu wenig. Bei uns geht es sich am Monatsende gerade aus. Wir haben nicht umgestellt auf Kurzarbeit.

STANDARD: Hilft da der Hintergrund als ehemaliger Leistungssportler?

Attensam: (lacht) Ich glaube, eher als Schneeräumer. Jeder Schneefall ist anders. Das ist logischerweise wie das Wetter. Es kommt nie, wenn man es braucht und immer anders, als man es erwartet. Man muss sehr schnell die Situation begreifen. Wenn angesagt ist, dass es drei Tage schneit, hat es keinen Sinn, dass ich am Anfang Vollgas gebe, und am dritten Tag sind alle erschöpft. Ich muss am Anfang schauen, dass ich ein System habe, das alles aufrecht hält, aber am Schluss muss ich Vollgas geben. Da muss ich motivieren.

STANDARD: Da braucht man wohl aktive, mitdenkende Mitarbeiter?

Im Westen freuen sich die Mitarbeiter über dicke Autos, in Wien wurden Fußgängerrouten eingerichtet, auch aus ökologischen Gründen. Da wurden Lager in den zu betreuenden Häusern eingerichtet, sodass die Mitarbeiter zu Fuß gehen können.
Foto: Robert Newald

Attensam: Ja, wer nicht mitmacht, ist draußen. Es ist wie bei einer Fußballmannschaft: Wenn ich elf Fußballer habe und zwei sind ein bisschen müde und faul, werden die ausgetauscht. Sonst gewinnt man nicht. Wenn der Tormann müde ist und den Ball nicht hält, nützen die besten Stürmer nichts. Es muss eine Mannschaftsleistung sein.

STANDARD: Ihre Branche ist eine Niedriglohnbranche. Wie spornen Sie die Leute an?

Attensam: Das frage ich mich manchmal auch. Manchmal bewundere ich die Leute, die im wahrsten Sinne des Wortes in den Gatsch springen. Nicht nur bei der Schneeräumung. Auch Gartenarbeiten ist, wenn es regnet, nicht lustig. Ich glaube, es ist das Vorleben. Ich bin einer, ich liebe das und lebe das.

STANDARD: Sie sind der Erste, der um fünf Uhr früh auf der Matte steht?

Attensam: Auch nicht mehr mittlerweile. Aber ich bin immer erreichbar. Wenn es ganz arg ist, springe ich in ein Ersatzfahrzeug und fahre auch. Das habe ich von meinem Vater gelernt. Er war berühmt, hatte einen roten Skianorak, den hat er um drei in der Früh angezogen. Er konnte nicht schlafen, wenn es schneite. Er ist dann in die Werkstatt gefahren, hat sich umgehört, wo am meisten Land unter ist. Dort ist er hingefahren, wie der Jesus erschienen und hat ihnen das gerettet. Das spricht sich herum. Die Leute gehen durch dick und dünn für einen.

STANDARD: Quer durch alle Branchen wird über Mitarbeitermangel geklagt. Wie sieht es bei Ihnen aus?

Attensam: In Wien relativ gut. In Oberösterreich hatten wir eine Zeit eine Schieflage, da sind uns gute Mitarbeiter davongerannt, obwohl wir sie nicht schlecht behandelt haben. Wo die Betriebsstimmung gut ist, haben wir wenig Fluktuation.

STANDARD: Sie sagten, dass immer weniger Menschen hierzulande bereit seien, körperlich anstrengende Arbeit zu leisten. Reinigungskräfte verdienen unter neun Euro brutto die Stunde. Das Geld ist es nicht?

Attensam: Es ist nicht immer nur das Geld. Aber wenn ich 200 Euro mehr verdiene, wie in der Metallbranche, bin ich weg. Ich bin ein großer Befürworter davon, höchstmögliche Lohnerhöhungen jedes Jahr durchzubekommen. Wir müssen von ganz unten weg, höher hinauf. Wenn wir alle teurer werden, kann der Kunde nicht einen Billigen nehmen. Wir können nicht den Abschaum, der überbleibt, als Mitarbeiter bekommen, sondern wir müssen schauen, dass wir gute Leute haben. Gut bezahlen, lang halten.

Von seinen Mitarbeitern verlangt er hohe Leistungsbereitschaft: "Wenn ich elf Fußballer habe und zwei sind ein bisschen müde und faul, werden die ausgetauscht."
Robert Newald

STANDARD: In der Reinigung ist der Migrationsanteil sehr hoch, bewerben sich auch Österreicher?

Attensam: Bei uns ist im Westen der Migrationsanteil niedriger als im Osten. Hier haben wir wirklich zu 99 Prozent Mitarbeiter aus dem ehemaligen jugoslawischen Raum, Polen und ähnlichen Ländern. Aber in Vorarlberg und im Pinzgau gibt es nahezu nur Österreicher. Die verdienen auch ein bissl mehr, weil der Kunde auch mehr zahlt, und da muss man auch anders attraktiv sein.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Attensam: Das Firmenauto muss im Westen groß sein mit breiten Reifen – ein Pick-up. Mit dem fährt man auch privat. Zumindest muss er vor der Haustür stehen. Ganz wichtig. In Wien interessiert das keinen.

STANDARD: Gutes Stichwort. Sie sind früh in den Betrieb eingestiegen, lange gemeinsam mit dem Bruder. Nie andere Pläne gehabt?

Attensam: Mich hat die Firma anfangs gestört, weil meine Eltern nicht so vorhanden waren wie davor. Sie hatten Schulden, Riesensorgen, ob das funktioniert, und waren 24 Stunden mit dem Unternehmen beschäftigt. Aber ich habe bald die Vorzüge erkannt. Zu Hause gab es ein Faxgerät und ein Kopiergerät, das hatte damals niemand. Für Schummelzettel war das sehr praktisch. Dann hat es mich fasziniert. Ich wollte in das Unternehmen. Und ich war stolz. Als Kind musste ich meinen Namen immer buchstabieren. Attersee? Atter... wie? Und plötzlich haben die Leute gesagt: Ah, so wie das Unternehmen da draußen. (Regina Bruckner, 18.4.2022)

Anmerkung vom 19.4. 2022 10:00 Uhr

Oliver Attensam legt Wert auf folgende Ergänzung: Er wolle sich zutiefst für die Verwendung des Begriffs "Abschaum" entschuldigen. Dieses Wording spiegele in keiner Weise seine Einstellung gegenüber Mitarbeitenden und Arbeitssuchenden wider. Die Wortwahl sollte vielmehr die geringe Wertschätzung, die leider teilweise gegenüber der Reinigungsbranche besteht, aufzeigen – leider sei daraus genau das Gegenteil von dem, was Oliver Attensam ausdrücken wollte, entstanden.