Die Reaktionen kamen rasch. Sehr rasch. Kaum war am 24. Februar Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet, machten sich erste Konzerne bereits auf die Socken – in die Gegenrichtung. Damit hatte Jeffrey Sonnenfeld, Wirtschaftsprofessor der US-Eliteuni Yale, nicht gerechnet: "Viele Öl-Multis und Tech-Riesen haben sofort das Land verlassen. Sogar Anwälte und Wirtschaftsberater gingen. Die springen üblicherweise eher von einer Klippe, als sich in einen geopolitischen Konflikt einzumischen", sagt Sonnenfeld zum STANDARD.

Das habe seine Aufmerksamkeit geweckt. Viele Telefonate später stellten Sonnenfeld und sein Team eine Liste ins Netz: Welche Unternehmen haben Russland verlassen, welche nicht. Gut und Böse auf einen Blick. Schnell machte das Register medial die Runde und ist mittlerweile weitläufig bekannt als "Hall of Shame".

Palfinger produziert nach wie vor Kräne in Russland, die Kommunikation mit den Werken vor Ort wurde aber eingestellt.
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Das global verstrickte Wirtschaftsnetz gestaltet sich komplexer als Schwarz und Weiß, zwischen Gehen und Bleiben gibt es Grautöne: Neuinvestitionen einstellen oder Aktivitäten reduzieren beispielsweise. Deswegen gibt es in der "Hall of Shame" nun fünf Kategorien wie im Schulnotensystem A bis F (im US-Notensystem gibt es keine Note E, Anm.).

RBI, OMV und Red Bull

Zahlreiche heimische Betriebe stehen auf der täglich aktualisierten Liste – prominente Namen wie Raiffeisenbank International (RBI), OMV oder Red Bull. DER STANDARD hat in deren Führungsetagen nachgefragt, warum diese Unternehmen noch dort sind. RBI-Chef Johann Strobl war nicht zu erreichen, ein Sprecher verweist auf Aussagen vom März. Wie berichtet, prüft die RBI alle Optionen, bis hin zum Ausstieg, das gelte nach wie vor. Das Image der Großbank leidet, der Aktienkurs rasselte von 28 Euro im Februar auf rund elf hinunter.

Ähnlich lief es bei der OMV, Telefonat mit CEO Alfred Stern gab es keines. Am Stand der Dinge habe sich nichts geändert, richtet ein Sprecher aus. "Die Optionen werden geprüft, zumal sich die Gesetzes- und Sanktionslage ständig weiterentwickelt." Man vertröstet auf Ende April, wenn die Quartalsergebnisse bekanntgegeben werden. Die OMV jedenfalls hat im ersten Quartal zwei Milliarden Euro wegen des eingestellten Pipelineprojekts Nord Stream 2 versenkt und weil man die Beteiligung am russischen Gasfeld Juschno-Russkoje aufgegeben hat. Red Bull wird vor allem in sozialen Medien kritisiert, antwortet aber gar nicht auf die Anfrage. Für den Zuckersaft-Produzenten zählt Russland nichtsdestotrotz noch zu den Wachstumsmärkten.

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Dem Image der RBI tut das Engagement in Russland nicht gut. Sie prüft nach wie vor alle Optionen, unter anderem den Ausstieg.
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Kräne von und für Russland

Nicht ganz so berühmt wie das Trio, aber auch nach wie vor in Russland aktiv ist der börsennotierte Salzburger Kranhersteller Palfinger. "Wir haben unser Engagement auf ein Minimum reduziert. Es gibt keine Kommunikation und keinen technischen Austausch mehr mit den Betrieben vor Ort", sagt der Palfinger-Vorstandsvorsitzende Andreas Klauser zum STANDARD. "Die rund 50 westlichen Mitarbeiter haben wir sofort abgezogen, die fünf Werke laufen autark."

1400 Russen beschäftigt Palfinger laut Klauser vor Ort, sie seien nun auf sich allein gestellt. "Diese Werke haben immer fast ausschließlich für den russischen Markt produziert, daran halten wir fest." Mit einem Umsatz von 1,84 Milliarden Euro erzielte Palfinger 2021 einen Firmenrekord, rund sieben Prozent davon kamen aus Russland. Der Ukraine-Krieg zwang Palfinger dennoch, eine Gewinnwarnung auszugeben. Klauser argumentiert weiters mit Verantwortung gegenüber Investoren und dem Aufsichtsrat. "Investitionen im dreistelligen Millionenbereich geben wir nicht sofort auf." Zudem wolle man nicht die größtenteils desinformierte Bevölkerung für den Angriffskrieg verantwortlich machen.

Desinformierte Bevölkerung

Das Argument der Desinformation lässt Yale-Professor Sonnenfeld nicht mehr gelten: "Nur vier Prozent der Russen haben einen VPN-Dienst runtergeladen, um die Medienzensur des Kremls zu umgehen. Sie könnten mehr wissen, wollen aber nicht."

Jeffrey Sonnenfeld will mit seiner Blacklist Druck auf Firmen erzeugen, Russland zu verlassen.
Foto: Christopher Capozziello

Viele Unternehmen begründen ihren Verbleib damit, die Menschen nicht im Stich lassen zu wollen. Auch hier fordert Sonnenfeld entschlosseneres Handeln. "Die Geschichte zeigt, ein Tyrann lässt sich nur stürzen, wenn die Bevölkerung immer unzufriedener wird und nicht bekommt, was sie will."

Wie sieht es bei anderen Unternehmen aus Österreich aus? Viele gehen auf Tauchstation. Heimo Scheuch, Chef vom Ziegelhersteller Wienerberger, will sich nicht äußern, die Anfrage an den Vorstandsvorsitzenden Joachim Schoenbeck vom Maschinenhersteller Andritz verlief im Sand. Das Unternehmen verkündete aber am Freitag, "alle Neugeschäfte in Russland bis auf weiteres auszusetzen".

Gewürze und Holz

Der niederösterreichische Gewürzfabrikant Kotányi lässt ausrichten, dass an jedem Exportmarkt auch viele Arbeitsplätze in Österreich hängen. Konkreter wolle man sich nicht äußern. Der Importstopp für russisches Holz dürfte den Tiroler Holzkonzern Egger treffen, zu einem Gespräch waren weder die Eigentümer Fritz oder Michael Egger noch die operativ verantwortliche Geschäftsführung bereit. In einem Statement schreibt Egger, dass die beiden Werke in Russland vor allem für den russischen Markt produzieren und das nach wie vor passiert. Die Auswirkungen des Sanktionspakets würden geprüft. Auch Egger verweist auf die Verantwortung gegenüber der Bevölkerung.

"Wir haben unser Engagement auf ein Minimum reduziert. Es gibt keine Kommunikation und keinen technischen Austausch mehr mit den Betrieben vor Ort". (Andreas Klauser, Vorstandsvorsitzender von Palfinger)

Von der Anfrage überrascht zeigte sich Autozulieferer AVL List: "Wir haben alles eingestellt, selbst wenn wir wollten, könnten wir sanktionsbedingt nicht weiter operieren. Wir versuchen gerade herauszufinden, warum wir auf dieser Liste stehen."

Ökonomisch spielt Russland für Österreich eine durchaus wichtige Rolle. Laut Wirtschaftskammer sind bzw. waren rund 650 heimische Firmen im größten Land der Welt aktiv, mit Investitionen von rund 4,6 Milliarden Euro – umgekehrt investieren russische Betriebe mit 21,4 Milliarden Euro nach Deutschland hierzulande am zweitmeisten.

Schwierig rauszukommen

Raus aus dem Land des Aggressors – wollen und können macht für viele Firmen einen großen Unterschied, sagen europäische Wirtschaftsexperten. Zu engmaschig sind oft die geschäftlichen Verstrickungen und Verträge. Wer sich verabschieden will, dem droht Wladimir Putin mit Zwangsverstaatlichung und einem Eilverfahren wegen vorsätzlichen Bankrotts. Das erfuhr auch Palfinger: "Uns wurde schnell klargemacht, wenn wir gehen, werden die Betriebe verstaatlicht", sagt Firmenchef Klauser. Man könne nur abwarten.

Über den Gesetzesentwurf zur Verstaatlichung ausländischer Firmen wird das russische Parlament erst im Mai beraten, berichtete die Tageszeitung Wedomosti am Freitag.

Kein Wandel durch Handel

Jahrzehntelang standen Geschäfte mit autokratisch geführten Staaten unter dem Motto "Wandel durch Handel". Wirtschaftliche Beziehungen sollten helfen, solche Staaten zu demokratisieren. "Wandel durch Handel funktioniert nicht, dieser Krieg ist der Beweis", sagt Michal Wyrebkowski, der mit Sonnenfeld an der schwarzen Liste arbeitet. Russland zu isolieren, sieht er als die Lösung.

Für Michal Wyrebkowski von der Yale-University ist das Credo "Wandel durch Handel" gestorben.
Foto: Courtesy of the Yale Chief Executive Leadership Institute

"Putins Daseinsberechtigung war in den 2000er-Jahren sein wirtschaftlicher Erfolg. Wenn Firmen abziehen und alternative Energiequellen gefunden werden, ist die russische Wirtschaft früher oder später tot." (Andreas Danzer, 17.4.2022)