Von 27,3 Kilometern Tunnel sind an die 23 bereits gegraben und teils ausbetoniert. Die letzten sind offenbar die schwierigsten – wegen einer "geologischen Störzone" im Grassberg bei Gloggnitz, wie die ÖBB betont.

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Wien – Geologen hatten es bei der Festlegung der 27 Kilometer langen Bahntunnelvariante zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag vorausgesehen: Es werde massig Störfälle geben bei dem vor bald zehn Jahren gestarteten Bau des Semmering-Basistunnels (SBT), warnten mit der Materie vertraute Fachleute im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung.

Nach starken Flutungen im Winter 2021 im Bereich Göstritz im südlichen Niederösterreich räumte Bauherr ÖBB-Infrastruktur am Freitag erneut massive Schwierigkeiten ein. Beim Vortrieb in Gloggnitz habe sich im Grassberg "eine geologische Störzone" aufgetan, die zu einer weiteren Verschiebung der Inbetriebnahme führen werde. Statt im Jahr 2028, wie im Vorjahr angekündigt, sei nicht vor 2030 mit der Fertigstellung zu rechnen.

Sechs Jahre Verspätung

Damit hat nach dem Brenner-Basistunnel auch das Jahrhundertbauwerk unter dem Semmering, das seit gut zwei Jahrzehnten nicht nur für politische Verwerfungen sorgte, bereits sechs Jahre Verspätung aufgerissen. Die jüngste Verzögerung kommt insofern überraschend, als im Vorjahr nach den Wassereinbrüchen eine "eingehende Evaluierung der baulichen, technischen und geologischen Aspekte des Großprojekts" angekündigt und vorgenommen wurde.

Abseits der Bilder, auf denen es aufgeräumt aussieht, verbergen sich Abgründe des Tunnelbaues.
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Nun sei klar geworden, teilte die ÖBB am Freitag lapidar mit, dass weitere Schritte gesetzt werden müssten, denn "hier liegt ein extrem komplizierter Gebirgsaufbau vor, den völlig verschiedene Gesteinsschichten kennzeichnen". Die im Vorjahr initiierten Sondermaßnahmen im Bereich Grassberg lösten die technischen und geologischen Herausforderungen nicht.

Nicht ausgestanden

Das sollte niemanden überraschen, schon gar nicht die Bauherren. Lang vor Baubeginn und zuletzt im Februar 2021 warnten Sachverständige wie der Geologe Josef Lueger vor Bohrungen in diesem "ziemlich zerklüfteten, grundwasserführenden und entsprechend komplizierten Semmering-Massiv", dem östlichen Ausläufer der Kalkalpen. Der im Sommer 2021 verstorbene Fachmann prophezeite, dass die Schwierigkeiten noch lange nicht ausgestanden seien, weil die großen Karbonatbereiche im sogenannten Otter-Massiv erst bevorstünden.

Im Vergleich zur Ghega-Strecke über den Scheitel ist der Bahntunnel durch den Semmering ein Umweg.

Ebendort seien weit größere Wassereinbrüche zu befürchten – es sei denn, der Grundwasserspiegel werde um ein paar Hundert Meter auf Tunnelniveau ausgeleitet. Aufgrund derartiger Riesendrainagen würden Flora und Fauna allerdings austrocknen und die Waldgebiete gefährdet, sagte Lueger, der von Tunnelgegnern rund um Alliance for Nature engagiert, dessen Warnungen von den zuständigen Behörden aber nicht erhört wurden.

Die Folge: Die ÖBB muss die Injektionsmaßnahmen so lange fortsetzen, "bis eine stabile Durchquerung der Störzone mittels Bagger- und Sprengvortrieb sicher erfolgen kann". Das kann dauern und wird vor allem kosten. Die technischen Herausforderungen führten in Kombination mit Kostensteigerungen für Baumaterial und Energie – der Baukostenindex stieg im März um 15 Prozent – zu einer Erhöhung des Projektvolumens.

Größeres Loch

Das Prestigeprojekt, das die Fahrzeit von Wien nach Graz gerade einmal um eine halbe Stunde verkürzen soll, wird also massiv teurer. Statt 3,1 Milliarden Euro, wie 2012 kalkuliert, werden die Investitionskosten nun auf 3,5 bis 3,9 Milliarden Euro taxiert. Es dürften mindestens 3,9 Milliarden Euro werden, denn auf 3,5 Milliarden war die Kostenschätzung im Verkehrsministerium von Leonore Gewessler (Grüne) bereits 2021 erhöht worden – exklusive Finanzierungskosten. Die Differenz: schlanke 400 Millionen Euro.

(Luise Ungerboeck, 16.4.2022)