Auf den großen Boulevards im Nordosten von Paris rund um Place de la Nation traf man an diesem Ostersamstag um die Mittagszeit mehr Polizisten als Passanten an. Der Grund für ihre Anwesenheit: Rund eine Woche vor der kritischen Stichwahl im Präsidentschaftsrennen waren am Samstag in der französischen Hauptstadt fünf Demonstrationen geplant. "Wir haben Grund zur Annahme, dass es heute zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen könnte", erklärten zwei Gendarmen auf STANDARD-Nachfrage das Aufgebot der Sicherheitskräfte. Es würden gewaltbereite Akteure aus rechtsextremen und linksextremen Szene erwartet.

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Manche Demonstranten wollen "weder Le Pen, noch Macron".
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Einerseits hatten NGOs und Gewerkschaften zu einer Demo gegen die erstarkte extreme Rechte und gegen Rassismus und Faschismus aufgerufen. Denn am kommenden Sonntag geht es um nichts geringeres, als darum, ob das Präsidialamt weiter in den Händen des amtierenden Emmanuel Macron bleibt, oder in die Hände von der rechts außen Rivalin Marine Le Pen wandert. Um dies zu verhindern, hatten sich bereits am frühen Nachmittag zahlreiche Demonstranten am sogenannten Platz der Nation versammelt. Tausende spazierten im Anschluss skandierend Richtung Stadtmitte.

Aber auch jene, die die Europa-Skeptikerin Le Pen in der Stichwahl unterstützen, insbesondere ihr ehemaliger Parteikollege und politischer Rivale Florian Philippot, hatten zur sogenannten MAM aufgerufen. Die Abkürzung steht für "manifestation anti-Macron". Philippot rief dazu auf, französische Flaggen mitzubringen, denn die würde Macron, der nur blaue Fackeln mit den gelben Sternen zelebriere, verachten. Auf der Kundgebung waren auch Impfgegner und Gelbwesten erwartet worden.

Demos landesweit

Insgesamt wurden in 30 Städten Frankreichs Anti-Rechts-Demos abgehalten. Le Pen selbst kritisierte die Demos als antidemokratische Ablehnung des Wahlresultats des ersten Durchgangs. Zu befürchteten Ausschreitungen kam es nicht. Einzig in Paris wurde von einem kurzweiligen Einsatz von Tränengas berichtet. "Keine Faschisten in unseren Vierteln, keine Viertel für die Faschisten", oder "Bella Ciao" lauteten zwei der Slogans auf den diversen Demos.

Aber es gab auch Rufe wie "Weder Le Pen, noch Macron". Dieser Slogan macht deutlich, was in diesem Wahljahr anders ist: Im Stichwahlrennen zwischen Macron und Le Pen von 2017 hatte sich die Mehrheit schnell hinter Macron gescharrt und verhinderte so den Einzug der Europa-Skeptikerin in den Elysee-Palast. Im Jahr 2002 – nach dem Einzug ihres rechtsextremen Vaters Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl – waren mehr als eine Million Franzosen und Französinnen gegen die extreme Rechte auf die Straßen gegangen. Nun – zwanzig Jahre später – sehen Experten weniger Bereitschaft im linken und bürgerlichen Lager, Macron zu wählen, um Le Pen zu verhindern. Umfragen sehen Macron, der bei seiner Wahl vor fünf Jahren 66 Prozent bekam, zwar an erster Stelle, aber mit nur mehr 56 Prozent.

Außerdem zogen Franzosen und Französinnen am Samstag auch für weitere Causen auf die Straßen: Etwa für einen Frieden in der Ukraine, gegen die übrigen Corona-Maßnahmen, wie auch gegen die Corona-Impfung. Im Kampf gegen den Klimanotstand haben außerdem hunderte Aktivisten der Gruppe Extinction Rebellion eine wichtige Verkehrsachse im Zentrum von Paris blockiert.

Schon in den Vortagen hatte es heftige Proteste gegen das Wahlergebnis gegeben, das Macron und Le Pen den Einzug in die Stichwahl bescheinigte. Etwa an der Pariser Universität Sorbonne. Die Hochschulleitung verurteilte "die illegale Besetzung, die zu inakzeptabler Gewalt geführt hat". Die Universität wurde in der Nacht auf Freitag geräumt, zuvor hatte seit Mittwoch eine Gruppe von Studierenden, die sich durch das Wahlergebnis nicht vertreten sehen, Teile des Gebäudes besetzt, dabei Mobiliar beschädigt und Graffiti hinterlassen. "Sorbonne besetzt – Gegen Macron, Le Pen und deren Welt" war auf einem Transparent an der Fassade der Universität zu lesen. (Flora Mory aus Paris, 16.4.2022)