Jakob Mayer und Karl W. Steininger vom Grazer Wegener Center sehen im Gastkommentar unsere Resilienz gefährdet. Drohende Wohlstandsverluste bekämpfe man zudem nicht bloß im Energiebereich.

In Europa gibt es bereits direkte staatliche Eingriffe bei den Energiepreisen. Welche Folgen ein derartiges Vorgehen hat, sollte ausreichend debattiert werden – auch in Österreich.
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Aktuell ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch die gesundheitspolitischen Lockerungen, breite fiskalische Pakete sowie ein historisch geringes Zinsumfeld bestens stimuliert. Ressourcenangebot und Arbeitskräftepotenzial sind begrenzt und indikativ auf hohem Niveau ausgelastet. Aus mittelständischen Unternehmen hört man, dass Vorprodukte mittlerweile auf dem Ebay-Sekundärmarkt bezogen werden, so verfügbar, weil "es an allen Ecken und Enden fehlt". Fachkräfte werden gesucht, aber selten gefunden. Lieferkettenprobleme – aufgrund Rückstaus in Handelshäfen und scharfer Lockdowns in China – sowie die Verwerfungen durch den russischen Angriffskrieg in der unabhängigen Ukraine ergeben eine gefährliche Diskrepanz des Angebots zur gesellschaftlichen Nachfrage, welche sich in gewaltigen Preissteigerungen vor allem bei fossiler Energie ausdrückt.

In Europa wurden erste direkte staatliche Eingriffe bei Energiepreisen und -abgaben verabschiedet, auch in Österreich liegt die Forderung auf dem Tisch. Man gewinnt jedoch den Eindruck, dass weder deren kurz- noch langfristigen Folgen in der österreichischen Diskussion ausreichend einbezogen werden.

Fundamental wichtig

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Für alle am Existenzminimum lebenden Menschen, etwa Bezieherinnen und Bezieher der Sozialhilfe, sind Entlastungen fundamental wichtig. Jedoch aus dem Grund der Mindestsicherung und nicht aus einem paternalistischen Verständnis, dass der Sozialstaat grundsätzlich alles für jeden abzufedern hat. Denn was hätte eine undifferenzierte und gar gänzliche Abfederung der gestiegenen fossilen Energiepreise über Abgabensenkungen für alle zur Folge?

In "normalen" Zeiten ermöglichen flexible Preise, Just-in-time-Produktion und Konsum enorme Wohlstandsgewinne. Der Blick auf historische Energiepreissteigerungen führt zur ernüchternden Erkenntnis, dass die Erhöhung der Systemresilienz in unseren Antworten bislang zu kurz gekommen ist.

Erste naheliegende Reaktion ist die Bestandsaufnahme anhand typischer Risikomanagementstrategien, welche die Informationsbeschaffung (Wer ist Handelspartner bei Fossilen?), die Diversifikation (Wie viele Handelspartner?) und Versicherungen umfassen (strategische Ausrichtung der Eigentümerstruktur von Erdgasspeichern). Haben wir so unsere Hausaufgaben erfüllt, oder hat der Wohlstand uns zu Schlafwandlern gemacht?

Kurzfristige und langfristige Ziele

Für den orientierenden Blick nach vorne ist der erste wichtige Schritt die Festlegung kurz- und langfristiger Ziele. Verfügbarkeit von Gütern, Dienstleistungen, Mobilität, leistbar-komfortablem Wohnraum, qualitativ hochwertigen Lebensmitteln sowie Gesundheits- und Bildungseinrichtungen dürfte dazugehören. Die zweite Frage betrifft Strukturen, die diese Ziele zu erreichen ermöglichen. Österreich hat sich zur Klimaneutralität 2040 bekannt, sie bezieht nun auch ein von Russland unabhängigeres Energiesystem mit ein. Letztlich gilt es auszuhandeln, wie wir dort hinkommen. Die Forderung nach Abgabensenkungen oder gar Preisdeckelungen bei fossiler Energie ist in diesem vorausschauenden Kontext zu diskutieren.

Halten wir fest, dass hohe Preise nicht per se problematisch sind. Knappheit, Unterversorgung und Mangel sind die Probleme. Preise signalisieren dieses darunterliegende Problem. Der Preismechanismus ist eines unter vielen Werkzeugen, die eingesetzt werden können, um Ziele zu erreichen. Man kann sogar behaupten, hohe Preise sind die Feinde hoher Preise, weil findige Menschen sich dem Mangel nicht ergeben wollen, sondern handeln.

Wohlstandsverluste

Nochmals ist zu betonen, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen und Unternehmen über dieselben Reaktionsmöglichkeiten verfügen. Jenen mit wenig Möglichkeiten kann und soll durch direkte Transfers oder Instrumenten wie der Kurzarbeit unter die Arme gegriffen werden, denn diese sind anreizkompatibel.

Hingegen würde die Senkung von fossilen Energieabgaben in der aktuellen Situation zukunftsfähige Strukturen nicht nur verhindern, sondern die derzeitigen problematischen verfestigen, wenn nicht sogar vertiefen. Kurzfristig steht diese Forderung nach fossiler Energieabgabensenkung deshalb im direkten Konflikt mit der Versorgungssicherheit im kommenden Winterhalbjahr, langfristig wird die Resilienz unseres Zusammenlebens weiter ausgehöhlt.

Der Schaden ist ohnehin angerichtet. Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck und der Oppositionsführer Friedrich Merz weisen bereits ehrlich auf entstandene Wohlstandsverluste hin. Ein gesamthafter Blick richtet sich also nicht nur auf Energiepreise, sondern auch auf die Abnehmer österreichischer Exportgüter. Ein laut Weltbank erwarteter massiver wirtschaftlicher Einbruch bei Handelspartnern im euro-zentralasiatischen Raum führt zu einer weiteren Diskrepanz zwischen Industriegüterangebot und -nachfrage, welche nicht durch Energieabgabensenkungen zu schließen sein wird.

Fiskalisches Pulver

Anpassungen wird es somit geben (müssen) und sind dann besser adressierbar, wenn fiskalisches Pulver nicht für das Festhalten an der Situation vor dem 24. Februar 2022 verschossen wird. Die kurzfristige Linderung ist verlockend, steht aber ursächlich mit dann absehbar stärkerer rezessiver Entwicklung im Zusammenhang. Die zuvor genannten Ziele nicht aus den Augen zu verlieren ist schon deshalb wichtig, weil auch das Zeitbudget bis 2040 knapp ist. Temporäre Preissteigerungen werden wir, da zu großen Teilen importiert, als Gesellschaft hinnehmen müssen, durch differenzierte Ausgestaltung der fiskalischen Antworten aber auch aushalten, vor allem weil der Staat durch florierende Einnahmen immensen Spielraum hat und diesen auch anreizkompatibel nutzen sollte. (Jakob Mayer, Karl W. Steininger, 19.4.2022)