Die Ukraine brauche dringend weitere Waffen – und zwar rasch: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein Interview mit der deutschen Bild am Sonntag dazu genützt, die EU-Partner zum Handeln zu bewegen: Entschlossener und stärker als bisher müsse man den Verteidigern der Ukraine mit Waffenlieferungen helfen. "Für alle Mitgliedsstaaten gilt, wer kann, sollte schnell liefern, denn nur dann kann die Ukraine in ihrem akuten Abwehrkampf gegen Russland bestehen", sagte die EU-Spitzenpolitikerin.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ursula von der Leyen am 8. April in Butscha.
Foto: AP Photo/Efrem Lukatsky

Indirekt reagierte sie damit auf einen von Wolodymyr Selenskyjs fast täglichen Appellen: "So wie die russischen Truppen Mariupol zerstören, wollen sie auch andere Städte und Gemeinden in den Gebieten Donezk und Luhansk dem Erdboden gleichmachen." Das Schicksal "dieser Schlacht" hänge von Waffenlieferungen der ukrainischen Verbündeten ab, so der ukrainische Präsident.

Eine Debatte über die Definition, was leichte und was schwere Waffen seien, und darüber, ob man Letztere überhaupt liefern dürfe, hält von der Leyen nicht für zielführend: "Wir müssen alles tun, dass der Krieg so schnell wie möglich endet. Und wir müssen uns zugleich darauf vorbereiten, dass er schlimmstenfalls noch Monate, gar Jahre dauern kann."

Außerdem kündigte die Kommissionspräsidentin ein weiteres – das bereits sechste – Sanktionspaket gegen Russland an. Stoßrichtung diesmal: Banken und Erdöl.

Unterdessen erhielt Brüssel erneut Annäherungssignale aus Kiew: Es mag ja sein, dass es sich dabei nur um Symbolpolitik handelt. Aber auch symbolische Handlungen bekommen dieser Tage einen Stellenwert in der Ukraine, wo sich Militär und Zivilisten sehr konkret und sehr allein auf den Schlachtfeldern gegen die russischen Angriffe verteidigen.

EU-Fragenkatalog beantwortet

Folgerichtig war es dem ukrainischen Präsidentschaftsbüro wichtig, am Sonntag auf ein bürokratisches Detail hinzuweisen: Die Ukraine habe den von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in Kiew überreichten Fragebogen für den Antrag auf EU-Mitgliedschaft vollständig ausgefüllt.

Wie der stellvertretende Leiter des Präsidentenbüros, Ihor Schowkwa, mitteilte, sei nun die Europäische Kommission an Zug, um zu klären und zu erklären, ob die Ukraine die EU-Kriterien erfülle. "Wir erwarten, dass die Empfehlung positiv ausfallen wird – und dann liegt der Ball bei den EU-Mitgliedsstaaten", zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Schowkwa.

In Kiew kennt man natürlich die langwierigen Prozeduren und diffizilen Weichenstellungen in Brüssel. Dennoch hofft man darauf, bereits beim Gipfel des Europäischen Rates am 23. und 24. Juni den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu erhalten.

Von der Leyen war am 8. April überraschend mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nach Kiew gereist und hatte dort Präsident Selenskyj eine "beschleunigte Entscheidung" über die Aufnahme des Landes in die Staatengemeinschaft versprochen. Als Gastgeschenk hatte sie einen Fragenkatalog zum angestrebten EU-Beitritt überreicht, und der Präsident versprach, das Dokument in kürzestmöglicher Zeit zu bearbeiten und zurückzusenden. Die Ukraine hatte kurz nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine die Mitgliedschaft in der EU beantragt.

Bisher letzte Erweiterung 2013

Die bisher letzte Erweiterung der Europäischen Union erfolgte 2013, als Kroatien aufgenommen wurde; andere Staaten in der Balkanregion bemühen sich schon seit Jahren um die EU-Mitgliedschaft, Serbien zuletzt aber nur noch auf dem Papier: Das Land gilt als eines der wenigen in Europa, dessen Führung sich nicht vom russischen Angriff auf die Ukraine distanziert. Auch in anderen Bereichen (unter anderem Kosovo) bleiben Probleme bisher ungelöst.

Ein anderes Land, die Türkei, hat zwar seit dem Jahr 1999 den Kandidatenstatus, führt aber seit 2005 de facto keine Beitrittsverhandlungen mehr. Aber auch wenn alle Verhandlungskapitel erfolgreich abgeschlossen werden sollten, haben schon vor Jahren mehrere EU-Staaten angekündigt, aus prinzipiellen Gründen ein Veto einzulegen. (Gianluca Wallisch, 18.4.2022)