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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einem Fundraising-Event für die Ukraine Anfang April.

Foto: Reuters/Kacper Pempel

In einem Interview mit Bild am Sonntag forderte Ursula von der Leyen die EU-Staaten auf, bei den Waffenlieferungen an die Ukraine schneller zu werden. Das mochte am Osterwochenende, an dem der Papst in Rom zum Frieden aufrief, nicht so ganz dazupassen. Aber die Präsidentin der EU-Kommission hat in der Sache nicht unrecht.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat in Reden und Schriften bekräftigt, dass er diesem Land und seiner Bevölkerung die Existenzberechtigung abspricht. Wenn man den Ukrainerinnen und Ukrainern jetzt nicht hilft, sich zu verteidigen, sind sie verloren.

Das Recht, sich zur Wehr zu setzen

Das Völkerrecht ist in einem solchen Fall eindeutig. Das Land und seine Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj haben das Recht, sich zur Wehr zu setzen. Insofern ist von der Leyens Aufruf mitten in der deutschen Debatte, ob und wie das reichste EU-Land Waffen liefern soll – Kanzler Olaf Scholz zögert noch immer –, mehr als angebracht.

Die Chefin der Kommission will das gemeinsame Vorgehen der EU bekräftigen, auch weil die Einigkeit brüchiger ist, als es scheint. Die Kommission bereitet die nächste Stufe von harten Wirtschaftssanktionen gegen Moskau vor, inklusive eines Ölembargos. Damit scheint klar, wohin die Reise im Gleichschritt mit den USA gerade geht – nur in eine Richtung, zu weiterer militärischer Eskalation. Da weder EU-Staaten noch USA noch Nato bereit sind, selbst für die Ukraine in den Krieg zu ziehen und mit eigenen Soldaten zu kämpfen, scheint gar keine andere Wahl zu bestehen. Putin darf diesen Krieg auf keinen Fall gewinnen.

Plan B

Die gute Frage ist dennoch, ob das allein in dieser Eindimensionalität – so berechtigt es auch ist – auch eine kluge europäische Strategie ist. Oder ob es einen Plan B braucht, eine Alternative, eine Doppelstrategie, sollte der Plan A, ein Scheitern Putins, nicht so bald gelingen. Von der Leyen sagt, der Krieg könnte "noch Monate und Jahre dauern". Für den Herrscher im Kreml ist jedenfalls klar: Er darf den Krieg auf keinen Fall verlieren. In Woche acht des Krieges sieht es so aus, als sei Putin bereit, dafür jeden Preis zu zahlen, auch den von zigtausend Toten durch Städtebombardements, Vertriebene im zweistelligen Millionenbereich. Wenn das kommt, wird es für die EU-Staaten sehr schwer werden. Man erinnere sich an Ex-Jugoslawien in den 1990er-Jahren, den Bosnienkrieg, den Genozid von Srebrenica 1995. Die Folge war Entsetzen, es erfolgte trotzdem kein entschlossenes militärisches Eingreifen der EU-Staaten.

Auch die USA zogen nicht gleich in den Krieg. Präsident Bill Clinton setzte mit Richard Holbrooke einen Sondervermittler ein, der mit dem Kriegsherrn Slobodan Milošević Gespräche begann. Sie mündeten im Dayton-Vertrag, dem Einstellen der Kampfhandlungen, auch wenn von Frieden keine Rede sein konnte. Das Szenario heute: Putin wird den Krieg weder gewinnen noch verlieren. Es bleibt ein eingefrorener Konflikt, als Ausweg die Rückkehr zur Diplomatie. Von einem "Kalten Frieden" spricht der frühere SPD-Außenminister Sigmar Gabriel: Auf Dauer könnten Panzer und Raketen Außenpolitik und Diplomatie nicht ersetzen.

Klare Botschaft

Die EU muss Moskau daher eine klare Botschaft zukommen lassen: Wir legen bei Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen kräftig nach, sind aber auch bereit zum Gespräch über politische Lösungen. Vorbedingung ist ein Waffenstillstand. Die EU braucht eine realistische Doppelstrategie. (Thomas Mayer, 18.4.2022)