Stark gestiegene Energiepreise beunruhigen Verbraucherinnen und Verbraucher. Der Staat kann sich dagegen über Mehreinnahmen freuen.

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Wer einen Wochenendeinkauf macht, zur Tankstelle fährt oder seine Gasrechnung bezahlt, spürt mittlerweile, was Statistiken bereits seit Monaten abbilden: Die Inflation steigt, das Leben wird teurer – wenn auch nicht überall gleich stark.

Was den Einzelnen dazu zwingt, seinen Gürtel enger zu schnallen, hat für den Staat allerdings nicht nur Nachteile: Aufgrund der hohen Inflation könnte die Republik laut dem Thinktank Agenda Austria in den nächsten zwei Jahren bis zu elf Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Auch die Abgabenquote, das Verhältnis der Steuereinnahmen zur Wirtschaftsleistung, ist zuletzt gestiegen und lag 2021 bei 44 Prozent.

Zwar bedeuten die zusätzlichen Einnahmen nicht, dass der Staat automatisch mehr Spielraum im Budget hat – schließlich ist er auch selbst von der hohen Inflation betroffen. Die Republik profitiert allerdings von der schleichenden Erhöhung der Einkommenssteuer durch die kalte Progression und davon, dass viele staatliche Leistungen nicht automatisch an die Inflation angepasst werden.

Klingelnde Kassen

Am schnellsten bemerkbar machen sich die zusätzlichen Einnahmen bei der Umsatzsteuer: Steigt der Preis für ein Kilo Mehl etwa um zehn Prozent, nimmt der Staat auch um zehn Prozent mehr Steuern ein. Im Jänner und Februar 2022 brachte die Umsatzsteuer, auch Mehrwertsteuer genannt, etwa 13,5 Prozent mehr ein als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor.

Etwas zeitverzögert steigen auch die Einnahmen aus der Lohnsteuer, wenn sich die Gehälter an die Inflation anpassen. In den ersten beiden Monaten des Jahres spülte sie um 7,4 Prozent mehr Geld in die Staatskassen als 2021. Dieses Jahr wird sich der Trend weiter verstärken, worauf Anfang April auch der Fiskalrat hingewiesen hat.

Die Agenda Austria errechnete nun, wie sich die Einnahmen in den kommenden Jahren weiter entwickeln könnten. Da schwer abzuschätzen ist, ob die Inflation auf hohem Niveau bleibt, spielte der Thinktank drei verschiedene Szenarien durch. Im Ergebnis kommt er auf eine Bandbreite von 7,5 Milliarden bis elf Milliarden Euro Mehreinnahmen, wobei er an der oberen Grenze eine Inflation von sieben Prozent für 2022 und fünf Prozent für 2023 annimmt. Die Schätzung der Statistik Austria für März 2022 lag bei 6,8 Prozent.

Staatliche Mehrausgaben

In den kommenden Jahren kann die Regierung daher mit satten Mehreinnahmen rechnen. Das zusätzliche Geld führt allerdings nicht automatisch zu mehr Flexibilität im Budget. "Auch der Staat hat inflationsbedingt höhere Ausgaben", sagt Margit Schratzenstaller, Ökonomin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) dem STANDARD.

Bestimmte Sozialausgaben werden an die Inflation angepasst. Absehbar sind auch höhere Gehälter im öffentlichen Dienst. Der Staat muss zudem mehr für Güter und Dienstleistungen bezahlen, wenn er etwa Bauprojekte in Auftrag gibt.

Abgesehen davon gibt es Steuern, die nicht mit Prozentsätzen, sondern anhand absoluter Zahlen bemessen werden, erklärt Schratzenstaller. Dazu zählt etwa die Mineralölsteuer oder der CO2-Preis. Passt der Staat diese Steuern nicht an die Inflation an, bleiben die Einnahmen nominell zwar gleich hoch, werden real aber weniger wert.

Laut Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) gibt es durch die Inflation "gewisse Mehreinnahmen durch den Staat". Demgegenüber stehen aber auch "höhere Ausgaben, zum Beispiel im Bereich der Pflege oder der Pensionen." Berücksichtige man die Steuerreform und die beiden bereits geschnürten Entlastungspakete, so werde die Bevölkerung bis 2023 bereits um rund elf Milliarden Euro entlastet.

Schleichende Erhöhung

Laut Marcell Göttert, Ökonom bei der Agenda Austria, wird der Staat trotz höherer Ausgaben insgesamt dennoch profitieren. Grund dafür ist vor allem die schleichende Erhöhung der Einkommenssteuer durch die kalte Progression, sagt Göttert dem STANDARD.

Österreichs Einkommenssteuer wird nach fixen Stufen bemessen. Wer mehr verdient, unterliegt höheren Steuersätzen. Wird das Einkommen an die Inflation angeglichen, rutscht man daher automatisch in höhere Prozentsätze. Die Last wird also größer, obwohl das Gehalt de facto nicht steigt.

Werden die Löhne im kommenden Jahr an die hohe Inflation angepasst, wird dieser Effekt voll zum Tragen kommen. Die Lösung wäre eine automatische Anpassung der Steuerstufen an die Teuerungsrate. Politisch lassen sich einzelne Steuerreformen aber besser verkaufen, weil sie der Regierung gezielte Entlastungen ermöglichen.

Im Finanzministerium tagt laut Brunner derzeit eine Arbeitsgruppe, die sich mit den Folgen der Inflation für die Steuerzahler beschäftigt. Bis Sommer sollen mögliche Szenarien durchgerechnet werden. Auch die Abschaffung der kalten Progression wäre laut Brunner eine "Möglichkeit". (Jakob Pflügl, 20.4.2022)