Woher weiß man, ob das eigene Gehalt fair ist und wie man Fairness einfordern kann? Gehaltsexpertin Martina Ernst gibt Tipps.

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Viele Firmen haben Fairness in ihren Unternehmenswerten verankert und bemühen sich, eine Kultur der Inklusion zu leben, wo sich jeder in seiner Individualität abgeholt fühlt. Nur eines ist klar: Was eine einzelne Person als fair empfindet, ist ein höchst subjektives Gefühl und kann durchaus von einer anderen als unfair beurteilt werden.

Um den Wert Fairness gerade beim Thema Gehalt für die Mitarbeiterinnen spürbar und erlebbar zu machen, braucht es objektive Kriterien und Prozesse, die transparent, klar und nachvollziehbar beschreiben,

  • wie Verantwortungsbereich und Gesamtvergütung zusammenhängen,
  • wann und wie man einen Gehaltssprung machen kann,
  • wie die Bonusregeln funktionieren (falls es einen Bonus gibt) und
  • ob die Benefits für alle gleich sind oder ob es eine Differenzierung je nach Funktion gibt.

Was konkret bedeutet das für die einzelnen Personen im Unternehmen? Woher weiß man, ob das eigene Gehalt fair ist und wie man Fairness einfordern kann? Auch hier gilt: je weniger Emotionen, desto besser. Stattdessen offen mit den Vorgesetzten die Kriterien besprechen, die generell zu einer Gehaltserhöhung führen können.

Und sicherstellen, dass sich die eigenen Ziele, die man im Job verfolgt, mit den Unternehmenszielen decken. Nicht selten steckt man viel Zeit und Engagement in ein Thema, was vielleicht für die Firma zum gegebenen Zeitpunkt weniger relevant ist.

Marktwert kennen

Generell kann man sich am Marktwert der Position, die man bekleidet, orientieren. Wenn man ein für die Position marktübliches Gehalt bekommt und seit Beginn der Tätigkeit mehr oder minder den gleichen Aufgaben- und Verantwortungsbereich innehat, dann sollte alles in Ordnung sein.

Und spätestens, wenn der Marktwert sich deutlich höher entwickelt als das eigene Gehalt, ist es ein guter Zeitpunkt, um über eine Gehaltsanpassung zu sprechen. Schließlich würde eine neu eingestellte Arbeitskraft ebenfalls diesen erhöhten Marktwert gezahlt bekommen.

Aber Achtung: nüchtern überprüfen, ob die eigenen Kompetenzen noch komplett markttauglich sind oder ob es nicht Zeit für eine Weiterqualifizierung ist. Wenn das Unternehmen Zeit und Geld dafür ermöglicht, ist das bereits der erste Schritt der Gehaltsanpassung.

Weniger Gehalt

Was ist, wenn man als neue Führungskraft herausfindet, dass eine Mitarbeiterin im Team deutlich mehr verdient? So ein Fall ist gar nicht unüblich und kann mehrere Gründe haben:

  1. Man ist eine eher unerfahrene Führungskraft und an der unteren Bandbreite des möglichen Gehaltsspektrums für die Position, und die besserverdienende Mitarbeiterin ist eine sehr erfahrene und wichtige Expertin in ihrem Bereich, für die auch der Markt mehr zahlen würde.
  2. Die Mitarbeiterin ist Topverkäuferin und verdient in manchen Monaten durch hohe variable Provisionszahlungen mehr als die Vorgesetzte.
  3. Die ursprüngliche höher qualifizierte Position der Mitarbeiterin ist durch eine Fusion oder Umstrukturierung weggefallen und ein adäquater Job ist noch nicht verfügbar.

In diesen drei Fällen ist es also besser, sich Klarheit zu verschaffen, bevor man sich unfair behandelt fühlt.

Teilzeit

Von Teilzeitkräften hört man immer wieder, dass sie automatisch für spannende Aufgaben und letztendlich auch bei Gehaltserhöhungen nicht berücksichtigt werden. Hier braucht es objektive Parameter und ein Gespräch mit den Vorgesetzten, um gemeinsam zu nachvollziehbaren Kriterien zu gelangen. Und ein Unternehmen, das Fairness in seinen Werten hat, wartet nicht, bis sich die frustrierte Mitarbeiterin meldet, sondern spricht die Themen proaktiv an.

Faires Gehalt für alle beginnt mit der Bereitschaft beider Seiten zum offenen Dialog. Und diese Offenheit werden wir auch brauchen, um die derzeit üblichen Marktwerte mancher top dotierter Jobs im Vergleich zum Niedriglohnsektor gesellschaftlich zu hinterfragen. (Martina Ernst, 21.4.2022)