Neuer Stiftungsrat im Mai: ORF-General Roland Weißmann und der stellvertretende Ratsvorsitzende Franz Medwenitsch im Sitzungssaal des obersten ORF-Gremiums.

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Wien – Wer sitzt künftig im wichtigsten Gremium des ORF, von Österreichs weitaus größtem Medienkonzern? Diese Woche noch sollte Medienministerin Susanne Raab die erste Etappe zum neuen Stiftungsrat nehmen, wenn der Zeitplan halten soll. Und auch dann wird es schon ziemlich knapp.

Fix ist auch im künftigen Stiftungsrat von einer ÖVP-nahen Mehrheit auszugehen. Für den – den Grünen von der ÖVP zugesagten – Vorsitz des Gremiums indes kursieren mehrere Varianten. Der wegen öffentlicher Aufträge kritisierte Grüne Berater Lothar Lockl hat jedenfalls noch nicht abgesagt.

Es wird knapp für den Publikumsrat ...

Bis Donnerstag 12 Uhr noch können Organisationen, die gesellschaftliche Gruppen vertreten, der Medienministerin Kandidatinnen und Kandidaten für den ORF-Publikumsrat vorschlagen. Die Medienministerin bestellt dann aus den Vorschlägen von Jugend- und Seniorenorganisationen, Sport-, Tourismus- und Mobilitätsverbänden 17 der künftig 30 Mitglieder dieses Gremiums in Vertretung des Bundeskanzlers.

Das sollte Raab relativ rasch erledigen – wenn man den bisherigen Zeitplan einhalten will. Denn der neue ORF-Publikumsrat soll sich am 5. Mai konstituieren. Einladungen sollten laut Geschäftsordnung zehn Tage vorher verschickt werden, also am kommenden Montag. Dafür sollte man wissen, wen man einlädt. Beim Publikumsrat ist das eine Soll-Bestimmung – sieben Tage vor der Sitzung aber sollten die Einladungen schon hinausgehen.

... und dann auch gleich für den Stiftungsrat

Gewichtigste Funktion dieses ORF-Publikumsrats: Er entsendet sechs Mitglieder in den entscheidenden ORF-Stiftungsrat – mit einfacher Mehrheit, die das Bundeskanzleramt bestimmt.

Für eine konstituierende Sitzung des Publikumsrats am 5. Mai spricht der geplante Termin für den neuen Stiftungsrat, der am 19. Mai zusammentreten soll. Die Einladungen dafür sollten – damit termingerecht – am 6. Mai hinausgehen.

Wenn die Termine nicht halten, ist das nicht dramatisch für Österreichs weitaus größten und gebührenfinanzierten Medienriesen: Bis ein neuer Stiftungsrat zusammentritt, ist einfach der alte im Amt.

Steger gab seinen Schlüssel ab

Der bisherige Stiftungsratschef Norbert Steger, entsandt von der FPÖ, hat allerdings schon bei der jüngsten Sitzung im März seine Büroschlüssel zurückgegeben und sich verabschiedet. Aber Steger hat ja einen Stellvertreter, den bürgerlichen Stiftungsrat und Vertreter der Musikwirtschaft Franz Medwenitsch.

Vorsitzende gesucht

Franz Medwenitsch, zugleich Vorsitzender des Programmausschusses und langjähriges Mitglied im Stiftungsrat, wird auch als Möglichkeit für den künftigen Vorsitz gehandelt – etwa von der SPÖ zugerechneten Räten.

Bei den Regierungsverhandlungen von ÖVP und Grünen sowie zwischen den Fraktionsvorsitzenden im Stiftungsrat wurde – teils in Sidelettern dokumentiert – für den ORF vereinbart: Die Aufteilung der Regierungsmandate im laut Gesetz unabhängigen Stiftungsrat (fünf ÖVP, zwei unabhängige, von der ÖVP nominiert, zwei Grüne). Die ÖVP bestimmt 2021 den ORF-Generaldirektor und zwei Direktoren, die Grünen nominieren zwei Direktorinnen. Und: Die Grünen bekommen den Vorsitz im Stiftungsrat – im Blick: Lothar Lockl.

Der oder die Vorsitzende bestimmt die Tagesordnung und den Sitzungsverlauf wesentlich, und bei Stimmengleichstand etwa bei Generalswahlen entscheidet seine oder ihre Stimme.

Öffentliche Auftritte, Präsidentschaftswahl

Lockl stand in den vergangenen Wochen in der Kritik wegen Aufträgen insbesondere des Infrastrukturministeriums (Klimarat) an seine Agentur. Er hat zudem den Präsidentschaftswahlkampf von Alexander Van der Bellen 2016 gemanagt und diesen beraten. Eine Beratung für eine Wiederkandidatur wäre schwer mit der Funktion des Stiftungsratschefs des öffentlich-rechtlichen, unabhängigen Rundfunks vereinbar. Ob Lockl Van der Bellen bei einem Wahlkampf 2022 berät, soll noch nicht fix sein.

Lockl wäre, so sagen Stiftungsräte auch aus der Opposition, für viele grundsätzlich wählbar. In Gesprächen mit Mitgliedern des obersten ORF-Gremiums verschiedener Couleurs zeigt sich aber eine gewisse Skepsis gegenüber der Bestellung einer der beiden anderen Grünen im Stiftungsrat – der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz und Andrea Danmayr, Leiterin der Medienkommunikation der Wiener Universität für angewandte Kunst.

Eine möglichst breite Unterstützung im ORF-Gremium gilt als auch grünes Ziel für den Vorsitz. Zudem empfiehlt sich eine Erfahrung in den ORF-Gremien – was es für allfällige grüne Neueinsteiger in der Funktion schwieriger macht.

Als Alternativvariante, wenn Lockl nicht bereit ist oder den Stiftungsrat mit der Neubestellung verlassen sollte, kursiert der Name Hildegard Aichberger, Vorständin der oekostrom AG. Aichberger sitzt auf einem Mandat der grünen Bildungswerkstatt Freda im ORF-Publikumsrat, hat also zumindest Gremienerfahrung, wenn auch nicht im entscheidenden ORF-Stiftungsrat. Aichberger zeigte sich auf Anfrage überrascht, sie habe davon bisher nicht gehört. Die Managerin war auch schon Geschäftsführerin der als Verein organisierten ORF-Umweltinitiative "Mutter Erde".

Hildegard Aichberger, Vorstand der oekostrom AG und derzeit im Publikumsrat des ORF, wird als mögliche Stiftungsratsvorsitzende gehandelt.
Foto: oekostrom ag / thomaskirschner.com

FPÖ-Kandidat, neue Länder-Räte

Einige Neubesetzungen für den Stiftungsrat sind schon bekannt – oder im Gespräch. Wie der für aktuelle und ehemalige FPÖ-Mandatare tätige Wiener Medienanwalt Niki Haas, der etwa von "Österreich" als künftiger ORF-Stiftungsrat auf dem blauen Parteimandat gehandelt wird. Haas bestätigt auf STANDARD-Anfrage, dass es darüber Gespräche gebe, in den nächsten Tagen sei mit einer Entscheidung zu rechnen. Er könne sich das Mandat im Stiftungsrat vorstellen, sagt er.

Das Land Tirol hat nach dem Abschied von Josef Resch den PR-Agenturchef Stefan Kröll entsandt. Er führt die Innsbrucker PR-Agentur ProMedia, an der auch die große Tiroler Mediengruppe Moser Holding ("Tiroler Tageszeitung") beteiligt ist.

Kärnten hat Kinderhotelier Siggi Neuschitzer neuerlich entsandt. Oberösterreich bestätigte am Dienstag Katharina Hofer, Professorin und stellvertretende Institutsvorständin am Institut für Handel, Absatz und Marketing an der Linzer Johannes Kepler Universität.

Wer beschickt den Stiftungsrat?

Insgesamt 35 Mandate gibt es im obersten ORF-Gremium, das Mandat ist laut Verfassungsbestimmungen und ORF-Gesetz weisungsfrei und unabhängig von den entsendenden Institutionen auszuüben. Dennoch gibt es im Stiftungsrat – vor allem parteipolitische – Fraktionen, genannt "Freundeskreise". Der ÖVP-nahe Freundeskreis hat schon bisher die Mehrheit, mit der sie etwa auch Generalswahlen bestimmt.

Neun Mandate bestimmt die Bundesregierung, derzeit fünf ÖVP-nahe plus zwei unabhängige, aber ebenso ÖVP-nahe und zwei unabhängige Grüne – eines davon hat bisher Lothar Lockl inne.

Sechs Mandate besetzen die Parteien im Nationalrat – derzeit und künftig hat die ÖVP als stimmenstärkste von fünf Fraktionen zwei dieser Parteimandate. ÖVP-Fraktionssprecher Thomas Zach hat eines davon, SPÖ-Sprecher Heinz Lederer das der Sozialdemokraten.

Neun Mandate haben die Bundesländer im Stiftungsrat. Sie bilden gelegentlich einen eigenen "Freundeskreis" für regionale Anliegen.

Sechs Mandate beschickt der ORF-Publikumsrat mit Mehrheit.

Fünf Mandate hat der ORF-Zentralbetriebsrat im obersten ORF-Gremium, sie sind auch bei Generalswahlen gleichermaßen stimmberechtigt wie die Kapitalvertreter. Die Zusammensetzung mit zwei der SPÖ zugerechneten, zwei zu den Bürgerlichen tendierenden und einer Unabhängigen dürfte unverändert bleiben. Der Zentralbetriebsrat wird erst 2025 neu gewählt.

Die voraussichtlichen Kräfteverhältnisse im künftigen ORF-Stiftungsrat.
Foto: STANDARD Grafik

Warum ist der ORF-Stiftungsrat so entscheidend?

Das oberste ORF-Gremium muss alle grundlegenderen unternehmerischen Entscheidungen und Vorhaben des ORF-Generaldirektors absegnen – jährliche Budgets und Programmschemata inklusive.

Und der Stiftungsrat bestellt den ORF-Alleingeschäftsführer – den Generaldirektor – und seine Direktoren. Allerdings hat das der bisherige Stiftungsrat gerade 2021 getan und Alexander Wrabetz an der ORF-Spitze durch Roland Weißmann ersetzt. Bestellt für fünf Jahre (und nur mit Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat abwählbar) ab 1. Jänner 2022.

Weil der Stiftungsrat nur vier Jahre amtiert, dürfte die Besetzung ab Mai den nächsten General gerade nicht mehr bestellen. Auszuschreiben ist der General regulär mit 1. Juli 2026, bestellt wird er üblicherweise in der ersten Augusthälfte. Es sei denn, die dann amtierende Regierung bestellt keinen neuen Stiftungsrat, dann bleibt bis zur Neubestellung einfach der alte im Amt.

Verfassungsfragen

Zuletzt schloss ORF-Anchorman Armin Wolf in einem Blogeintrag aus Aussagen des heutigen Verfassungsgerichtshofpräsidenten Christoph Grabenwarter in einem Beitrag über öffentlichen Rundfunk in Deutschland, die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats wäre "offenkundig verfassungswidrig" wegen eines hohen Einflusses staatlicher Stellen auf die Besetzung. Der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt widersprach der Interpretation.

Ein Drittel der Abgeordneten zum Nationalrat oder auch eine Landesregierung könnte diese Rechtsfrage über den ORF-Stiftungsrat vor den Verfassungsgerichtshof bringen. (fid, 19.4.2022)