Vergesslichkeit bei älteren Menschen kann ein Hinweis auf Prädemenz sein. Eine Studie am AKH untersucht nun ein neues Medikament, auf dessen Wirksamkeit große Hoffnungen gesetzt werden.

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Eine gewisse Vergesslichkeit ist beim Älterwerden ein natürliches Phänomen. Aber bei nicht wenigen ist diese Entwicklung ein erstes Anzeichen für eine Demenzerkrankung. Mindestens 100.000 Menschen, wahrscheinlich mehr, sind in Österreich von einer demenziellen Erkrankung betroffen, Tendenz steigend. Für das Jahr 2050 rechnet man mit zumindest 250.000 Betroffenen.

Das liegt auch daran, dass die Menschen immer älter werden. Während bei den unter 70-Jährigen weniger als drei Prozent der Menschen erkranken, ist bei den ab 85-Jährigen im Schnitt jede fünfte Person betroffen. In der Altersgruppe 90 plus erkrankt sogar jede dritte Person. Frühe Anzeichen für eine Demenzerkrankung sind ein schlechter werdendes Kurzzeitgedächtnis sowie ein vermindertes Gefühl für Zeit und Ort. Das alles überschattende Problem dabei: Es gib bei dieser Diagnose keine Heilung. Und auch die medikamentöse Behandlung kann den Verlauf im besten Fall verlangsamen.

Vorstufe mit kognitiven Gedächtnisdefiziten

Für Alzheimer-gefährdete – das ist die häufigste Demenzform, sie macht zumindest 50 Prozent der Fälle aus – testet die Med-Uni Wien nun einen neuen, vielversprechenden Behandlungsansatz. Dieser kann jenen helfen, die an einer Vorstufe zur Demenz leiden, dem Mild Cognitive Impairment (MCI). Studien zeigen, dass davon Betroffene ein deutlich höheres Risiko haben, später tatsächlich eine klinisch diagnostizierte Demenzerkrankung auszubilden.

Von MCI Betroffene haben zwar kognitive Gedächtnisdefizite, ansonsten gibt es aber keine Einschränkungen im Alltag. "Sie können zum Beispiel selbst einkaufen und schaffen den Bezahlvorgang ohne Probleme. Das ist ja ein enormer Stress an der Supermarktkasse, da werden hohe Anforderungen an die Konzentration und die exekutiven Fähigkeiten gestellt", erklärt Dietmar Winkler, Psychiater und Leiter der Gedächtnisambulanz am AKH Wien.

Unter seiner Leitung wird dort jetzt der neue Behandlungsansatz getestet. Verwendet wird dafür kein neu zugelassenes Medikament, sondern ein Antidepressivum, das es bereits seit einigen Jahren gibt. Bereits bei der Zulassung dieser neuen Klasse von Antidepressiva war ersichtlich, dass sich bei den depressiven Anwendern auch die kognitiven Leistungen, die Konzentration und das Gedächtnis besserten. "Daraus entstand die Vermutung, dass das Medikament auch bei einem Vorläuferstadium von Demenz helfen kann", erklärt Winkler.

Bessere Konzentration durch Antidepressivum

Bei Menschen mit Depressionen sind bestimmte Botenstoffe wie Serotonin gehemmt. Auch viele Alzheimer-Betroffene haben aufgrund der Degeneration im Gehirn Serotonin-Probleme und entwickeln dadurch oft auch eine Depression: "Das stärkt die Annahme, dass ein serotoner Regulator in der Therapie hilfreich sein kann." Dieser Ansatz soll nun in einer mehrjährigen klinischen Studie überprüft werden.

Das Studiendesign läuft wie folgt ab: Als Erstes wird überprüft, ob bei den Betroffenen eine objektivierbare, kognitive Beeinträchtigung vorliegt. Winkler erklärt: "Viele Gedächtnisbeschwerden sind ja subjektiv, manchmal sind sie objektiv nicht feststellbar oder so leicht, dass sie noch nicht auffallen." Weiters wird zu Beginn der Behandlung und jeweils nach vier und nach zwölf Wochen eine funktionelle Magnetresonanztomografie, mit der man die Hirnfunktionen darstellen kann, gemacht. Dieses bildgebende Verfahren zeigt, ob die Vernetzung in den Hirnarealen für Gedächtnis und Konzentration durch die Medikamenteneinnahme zunimmt.

Gute Verträglichkeit der Therapie

Abgesehen von der realen Hoffnung auf Besserung des Krankheitsbilds sind diese Art der Antidepressiva auch deutlich besser verträglich als frühere Medikamente. So gibt es damit etwa kaum noch sexuelle Dysfunktionen. Und sie sind ein echter Hoffnungsträger, dass so der Übergang in das manifeste Stadium der Demenz verlangsamt oder sogar gestoppt werden kann. Denn, erklärt Winkler: "Bisher hatten wir kaum Optionen bei diesen Patienten, wir konnten nicht viel machen außer einem sogenannten Watchful-Waiting – und Mittel wie Ginko biloba oder Omega-3-Fettsäuren verschreiben. Bei diesen Präparaten ist aber die Evidenz bezüglich der Wirksamkeit gering."

Für die Studie werden noch weitere Probandinnen und Probanden gesucht. An der Gedächtnisambulanz im AKH Wien melden können sich Menschen ab 50, die erste Gedächtnisprobleme bemerken, bis maximal 80-Jährige. In höherem Alter werden die Symptome zu unspezifisch, um für die Studie ausgewertet werden zu können. Die große Hoffnung: dass man mit dem neuen Medikament die Diagnose Alzheimer zumindest verzögern und im Alltag belastende Symptome wie Vergesslichkeit und Zerstreutheit mildern kann. (Pia Kruckenhauser, 20.4.2022)