Einen Blick in die biologische Zukunft des noch ungeborenen Nachwuchses zu werfen ist längst nicht mehr Science-Fiction. Die sogenannte Pränataldiagnostik umfasst medizinische Verfahren, die Krankheiten, Anomalien und Behinderungen voraussagen können.

Das Erkennen potenzieller Risikofaktoren ermöglicht es Expertinnen und Experten, gegebenenfalls Therapien einzuleiten. Erhalten werdende Eltern einen auffälligen Befund, stehen sie vielfach vor einer moralisch schwierigen Entscheidung.

Für präzise Prognosen stehen heute verschiedene Optionen zur Verfügung.
Illustration: Fatih Aydogdu

Wenn schwerwiegende kindliche Erkrankungen oder Beeinträchtigungen nachgewiesen werden, gibt es in Österreich keine formale Beschränkung für einen Schwangerschaftsabbruch. In der Praxis kommen sehr späte Abtreibungen jedoch kaum vor, sagt Philipp Klaritsch von der Medizinischen Universität Graz.

"Spätabbrüche gibt es nur hin und wieder, wenn zum Beispiel Untersuchungen verabsäumt wurden oder eine Problematik schwer erkennbar ist", sagt Klaritsch. Inzwischen existiere eine Vielzahl von zuverlässigen medizinischen Screening-, Test- und Prognoseverfahren, um solche Extremsituationen zu vermeiden.

Startschuss mit Ultraschall

1958 gelang dem britischen Gynäkologen Ian Donald die erste sonografische Abbildung eines Ungeborenen. Gemeinsam mit seinem Kollegium der University of Glasgow entwickelte er die radiologische Anwendung, die bis heute als Basis aller vorgeburtlichen Kontrollen gilt.

Mithilfe von Ultraschallwellen untersucht das Verfahren organisches Gewebe – ein Startschuss für die Entwicklung vieler Formen der pränatalen Diagnostik. Oft reicht die Sonografie aber allein nicht aus, um ausführliche Information zu liefern.

Für präzisere Prognosen stehen heute verschiedene Optionen zur Verfügung. Zu den bekanntesten Methoden zählt etwa die Fruchtwasserbiopsie, bei der Fruchtwasser aus der Fruchtblase entnommen wird. Die darin enthaltenen Zellen des Kindes werden auf Chromosomenabweichungen und vererbbare Erkrankungen untersucht.

Sehr wohl mit Ultraschall funktioniert hingegen die Nackenfaltenmessung. Die Nackenfalte ist eine Flüssigkeitsansammlung zwischen der Haut und dem Weichteilgewebe im Nacken des Fötus. Eine verdickte Nackenfalte kann auf genetische Störungen oder Erkrankungen beim Ungeborenen hinweisen.

Risiko für Downsyndrom

Am häufigsten wird allerdings der Combined Test in Anspruch genommen. Dieser wird zwischen der elften und 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt und besteht aus zwei Untersuchungsschritten: einer Ultraschalluntersuchung des Babys sowie einer Blutuntersuchung der Mutter.

Mithilfe dieses Verfahrens kann etwa das Downsyndromrisiko eingeschätzt, aber auch Organfehlbildungen wie Herzfehler frühzeitig erkannt werden. Genetische Faktoren, die mütterliche Vorgeschichte und das Alter der Schwangeren werden dabei ebenfalls berücksichtigt.

Das Downsyndrom, auch als Trisomie 21 bekannt, ist die bei Menschen am häufigsten auftretende genetische Anomalie. Zwar gebe es tausende genetische Probleme, die potenziell auftreten könnten, sagt Klaritsch. "Trotzdem hat es sich eingebürgert, dass die Leute die Information zu Trisomie 21 am meisten haben wollen."

Eine Methode, die helfen kann, eine sehr große Anzahl möglicher Fehlbildungen oder gravierender Erkrankungen zu erkennen, ist das Organscreening. Auch diese Untersuchung beruht auf der Verwendung von Ultraschall. Der beste Zeitpunkt für dieses medizinische Verfahren liegt zwischen der 20. und der 23. Schwangerschaftswoche. Zu diesem Zeitpunkt sind Gehirn, Wirbelsäule, Herz, Lungen, Bauchorgane, Nieren, Harnblase wie auch das Skelett bereits einsehbar.

Autonomie der Frau

Bei allen potenziellen medizinischen Vorteilen sorgt die Pränataldiagnostik auch für Diskussionen. Kritische Stimmen verweisen auf den Schutz der Würde des Menschen sowie die Wahrung des Grundrechts auf Nichtdiskriminierung von Behinderten. In Bezug auf die gesellschaftlichen Folgen besteht die Befürchtung einer zunehmenden Diskriminierung kranker und behinderter Menschen.

Aus feministischer Perspektive wird ein anderer Aspekt betont: die Autonomie der Frau. Schließlich gehe es um das mütterliche Recht auf Selbstbestimmung, um persönliche, körperliche und psychische Integrität und um die Gesundheit des ungeborenen Kindes.

Doch wer bestimmt letztendlich, wie der ethisch vertretbare Weg aussieht? Die Juristin und Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission Christiane Druml schreibt in einem wissenschaftlichen Beitrag zu seltenen Erkrankungen: "Es ist keine Aufgabe der Ethik, eine bestimmte moralische Position zu verteidigen, sondern verschiedene Gesichtspunkte zu analysieren und zu bewerten."

Die Philosophin Anne Siegetsleitner von der Universität Innsbruck steht den Verfahrensweisen, die zu ethischen Beschlüssen führen sollen, skeptisch gegenüber: "Unter dem Deckmantel der Ethik werden nicht selten unreflektiert die Moral einer bestimmten Gruppe oder persönliche moralische Haltungen als ‚die‘ Moral oder eben ‚die‘ Position der Ethik vorgegeben und auch durchgesetzt."

Transparente Werte und Normen

Die Debatte über die Zulässigkeit pränataler Diagnostik sieht Siegetsleitner eher als eine moralische denn als ethische. Ethische Forschung im Bereich der Pränataldiagnostik bestehe eher, "wenn sie sich als philosophischer Beitrag in einer pluralistischen Gesellschaft versteht".

Dies betreffe vor allem die Herausarbeitung relevanter moralischer Aspekte bei Verfahren der Pränataldiagnostik. "Dabei werden herangezogene Werte und Normen stets offengelegt und keine Urteile in Stellvertretung der Betroffenen gefällt", erklärt Siegetsleitner. (Julia Dvorin, 25.4.2022)