Das Büro des Vorarlberger Wirtschaftsbundes zierte der Titel des Mitgliedermagazins, mit dem über die Jahre mehrere Millionen Euro eingenommen wurde.

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Der Vorarlberger Wirtschaftsbund war lange eine Blackbox, damit ist nun Schluss: Dem U-Ausschuss wurden diese Woche zahlreiche Dokumente aus dem Finanzministerium zu der Causa geliefert. Sie liegen auch dem STANDARD und dem ORF Vorarlberg vor. Es handelt sich dabei unter anderem um die Bilanzen der ÖVP-Teilorganisation, aber auch die übermittelten Selbstanzeigen und einzelne Kontoauszüge sind dabei. Die Dokumente legen nahe, dass der Wirtschaftsbund Vorarlberg mehr als eine Million Euro an Steuern nicht überwiesen hat. Dabei geht es auch um Zuwendungen an die ÖVP – diese sind offenbar höher, als es die Partei eingeräumt hatte.

Die Steuerprüfung in der Teilorganisation dauert weiterhin an. Für Dienstag war eine Besprechung zwischen den Prüfern und den ehemaligen Geschäftsführern des Wirtschaftsbunds angesetzt.

Selbstanzeige womöglich wirkungslos

Dass die Selbstanzeige des Wirtschaftsbunds voll greife, also strafmildernd wirke, sei laut den Prüfern "fraglich", wie sie in einer Sachverhaltsdarstellung an das Amt für Betrugsbekämpfung schreiben. Zwar sei die Selbstanzeige noch vor Anmeldung oder sonstiger Bekanntgabe der Prüfung erfolgt, allerdings hätten die Finanzprüfer zu dem Zeitpunkt bereits über die Inseratenerlöse des Wirtschaftsbundes Bescheid gewusst. Der Prüfung in der ÖVP-Organisation waren nämlich Prüfungen beim mittlerweile zurückgetretenen Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler und seinem Vorgänger Walter Natter vorausgegangen. Sowohl Tathandlung als auch Tatmodalität seien "jedenfalls bereits zum Teil entdeckt" gewesen, den Anzeigern – Kessler und Natter – sei das auch bekannt gewesen.

Fehlende Umsatz- und Körperschaftssteuer

Was wird dem Wirtschaftsbund von den Prüfern nun konkret vorgeworfen? Es geht dabei um zweierlei: Aus den Bilanzen geht hervor, dass zwischen 2016 und 2021 rund 4,5 Millionen Euro über Inserate im Mitgliedermagazin "Vorarlberger Wirtschaft" eingenommen wurden. Der Gewinn liegt laut Schätzung der Prüfer bei 1,4 Millionen Euro, "welche der Körperschaftssteuer unterliegen". Das wären laut Berechnung der Prüfer dann rund 342.000 Euro. Allerdings habe der Wirtschaftsbund diese Abgaben noch nie geleistet, auch Umsatzsteuer wurde bis dato keine gezahlt, die Werbeabgabe für Inserate allerdings schon. Dieser Betrag dürfte sich auf rund 746.000 Euro belaufen.

Der Steuerberater des Wirtschaftsbunds schreibt dazu in der Selbstanzeige, dass man davon ausgegangen sei, dass steuerlich nur die Werbeabgabe zu leisten sei. Eine neue Rechtslage diesbezüglich sei "übersehen" worden.

Fehlende Abgabe von Zuwendungen

Es geht neben den Inseratenerlösen aber auch um die Zuwendungen an die ÖVP. Diese Zahlungen – die Prüfer schreiben von 1.226.500 Euro, die der Wirtschaftsbund im Zeitraum 2015 bis 2021 an die ÖVP überwiesen habe – würden der "Abgabe von Zuwendungen" unterliegen, dabei handelt es sich um eine monatlich abzuführende Abgabe in der Höhe von 15 Prozent. Zweck dieser Abgabe sei "die Verhinderung einer steuerlich abzugsfähigen indirekten Parteienfinanzierung".

Die 1,2 Millionen an die ÖVP sind dabei aber nicht die einzigen Zuwendungen des Wirtschaftsbunds. Denn darüber hinaus seien jährlich zusätzlich schätzungsweise 40.000 Euro durch direkte Kostenübernahmen für die Partei oder einzelne ÖVP-Politiker als Zuwendung der ÖVP zugeflossen. Die Prüfer schreiben in dem Zusammenhang von "verdeckten Ausschüttungen", ein Beispiel ist die Übernahme von Kosten für personalisierte Wahlwerbung.

Steuerlast bei mehr als einer Million Euro

Zieht man von den über die Jahre gezahlten Zuwendungen die 15 Prozent an Abgaben ab, dürfte sich die Steuerlast laut Berechnungen des STANDARD und des ORF Vorarlberg auf rund 226.000 Euro belaufen. Insgesamt könnte der Wirtschaftsbund also Steuern in der Höhe von rund 1,314 Millionen Euro bisher nicht gezahlt haben.

Karlheinz Rüdisser betont, dass es noch keinen Abschlussbericht gebe. Einige Fragen seien bei einer abschließenden Besprechung mit den Steuerprüfern Anfang Mai noch zu klären, erst danach könne er genauere Angaben machen. Die vom STANDARD und dem ORF Vorarlberg errechneten 1,3 Millionen Euro Steuerlast überraschen den interimistischen geschäftsführenden Obmann. Er gehe aktuell von 700.000 Euro aus, die als Nachzahlungen möglich sein könnten.

Was dem Wirtschaftsbund droht

Wenn das Amt für Betrugsbekämpfung die Einschätzung der Prüfer teilt und die Selbstanzeige als nicht wirksam einstuft, hätte das womöglich weitreichende strafrechtliche Folgen für den Wirtschaftsbund bzw. seine Vertreter: Beim Delikt der vorsätzlichen Abgabenhinterziehung bemisst sich die Geldstrafe am Hinterziehungsbetrag – in dem Fall die rund 1,3 Millionen Euro – und kann dann bis zum Doppelten davon gehen. Außerdem ist auch eine Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren möglich. Bei der Frage nach dem Vorsatz ist zu erörtern, ob es einen entschuldbaren Irrtum seitens des Steuerpflichtigen gab. Wenn das nicht der Fall ist, gilt man laut entsprechendem Gesetz grundsätzlich schon als strafbar. Es gilt die Unschuldsvermutung.

In den Selbstanzeigen des Wirtschaftsbunds – kurz vor Prüfbeginn wurde eine Erweiterung der ersten Selbstanzeige eingereicht – werden als mögliche Täter Kessler und Natter, aber auch der aktuelle bzw. ehemalige Finanzreferent – Jürgen und Franz Rauch – sowie der mittlerweile zurückgetretene Obmann Hans-Peter Metzler genannt.

Wie die ÖVP unterstützt wurde

Erfolgt sein dürften diese direkten Zuwendungen an die ÖVP höchst unterschiedlich. So gibt es auch Belege über Barauszahlungen für einzelne Politiker, unter anderem an den Wirtschaftslandesrat Marco Tittler (1.000 Euro), aber auch an den ehemaligen Landesstatthalter (also Landeshauptmannstellvertreter) Karlheinz Rüdisser, der bekanntlich in der derzeitigen Übergangsphase den Wirtschaftsbund leitet. Insgesamt sind in zehn Barauszahlungen zwischen Mai 2016 und Februar 2019 5.000 Euro an den ÖVP-Mann gegangen. Zum Zweck heißt es auf dem Dokument jeweils nur "diverse Ausgaben". Unterzeichnet wurden die Auszahlungsbelege von Natter bzw. Kessler.

In einer Stellungnahme an die Prüfer heißt es vonseiten des Wirtschaftsbundes dazu lapidar: "Besagte Barauszahlungen sind natürlich nicht GF Natter und GF Kessler zugeflossen. Der jeweilige Geschäftsführer hat lediglich die Entnahme aus der Kassa bestätigt. Wer sollte das auch sonst tun." Die Barauslagen seien von Tittler bzw. Rüdisser, beides Vorstandsmitglieder im Wirtschaftsbund, im Rahmen ihrer politischen Tätigkeit verwendet worden.

Auf die Zahlungen angesprochen sagt Rüdisser selbst, dass es dabei um Veranstaltungskosten gegangen sei, etwa für einen Umtrunk. Es habe sich nicht um direkte Zahlungen an Politiker gehandelt.

Neben solchen Barauszahlungen übernahm der Wirtschaftsbund Veranstaltungskosten für die ÖVP, etwa als Sebastian Kurz im Ländle auf Wahlkampftour war (11.000 Euro), oder für ein Grillfest, aber auch Veranstaltungsfotografie oder Druckkosten wurden für die Partei übernommen.

ÖVP bis dato mit anderen Angaben

Mit den Angaben der Vorarlberger Volkspartei stimmt die Auflistung der Prüfer nicht überein. Landesgeschäftsführer Dietmar Wetz gab gegenüber dem STANDARD an, dass es zwei Zahlungen des Wirtschaftsbundes an die ÖVP gegeben habe – 2014 und 2019 –, insgesamt seien es 900.000 Euro gewesen. Auch Landeshauptmann Markus Wallner sprach von dieser Summe, die er nicht als "Spenden" bezeichnet wissen wollte. Wallner nannte die Zahlungen stattdessen "Unterstützungsleistungen". Diese 900.000 seien im Rechenschaftsbericht der ÖVP vermerkt gewesen. Was mit den auf die Angaben der Prüfer fehlenden rund 600.000 Euro ist, bleibt unklar.

Bei den bisher nur geschätzten Inseratenerlösen war der Wirtschaftsbund bis dato zu keiner Bestätigung bereit, obwohl die "Vorarlberger Nachrichten" mit einer Schätzung von fünf Millionen Euro – wie man nun weiß – relativ knapp am tatsächlichen Betrag lagen. Mit dem Betrag konfrontiert, sagte der wenige später zurückgetretene Direktor Kessler aber noch, diese Zahl sei "viel zu hoch".

Inseratenerlöse steigerten sich enorm

Seit Kessler die Geschäftsführung im Wirtschaftsbund übernahm, steigerten sich die Inseratenerlöse enorm. Wurden zuvor noch jährlich rund 300.000 Euro erzielt, waren es unter ihm zunächst 700.000 und schließlich über eine Million Euro. Diese Einnahmen sind für den Wirtschaftsbund die wichtigste Einnahmequelle, wie aus der Gewinn- und Verlustrechnung hervorgeht. Die Erlöse durch Mitgliedsbeiträge betragen demnach jährlich etwas mehr als 300.000 Euro, über die Wirtschaftskammer kamen 2020 rund 570.000 Euro, in den Jahren davor waren es jeweils rund 250.000 Euro.

Erste Reaktionen

"Es ist offensichtlich, dass es hier nicht um ein System eines Wirtschaftsbund-Mitarbeiters geht. Das war über die Jahrzehnte das System des ÖVP-Wirtschaftsbund", sagt der Neos-Mandatar Gerald Loacker in einer ersten Reaktion. Die Wirtschaftsbund-Obleute, Vize-Obleute und Finanzreferenten seien "voll verantwortlich für die Methoden, mit denen da Geld an die ÖVP verschoben wurde", sagt der Vorarlberger, der sich schon seit längerem mit dem Wirtschaftsbund beschäftigt.

Nina Tomaselli, Fraktionsführerin der Grünen im ÖVP-U-Ausschuss sieht "mehrere aufklärungsbedürftige Vorgänge". Erstens sei leichtfertig mit großen Bargeldbeträgen hantiert worden. "Zweitens widersprechen die Prüfer den Darstellungen der ÖVP. Und drittens verstehe ich nicht, warum der Wirtschaftsbund geglaubt hat, dass für ihn andere Regeln geltem als für einen Handwerker in Niederösterreich. Steuern müssen wir alle zahlen."

Christian Hafenecker, FPÖ-Fraktionsvorsitzender im Untersuchungsausschuss, forderte erneut, dass der "tief im Vorarlberger Wirtschaftsbund verwurzelte" Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) für die Aufklärung der Causa "sofort einen Schritt zur Seite machen" und sein Amt interimistisch einer unbefangenen Persönlichkeit übergeben müsse.

Ländle-Opposition legt personelle Konsequenzen nahe

Rasch kamen auch Reaktionen in Vorarlberg. Neos-Parteichefin Sabine Scheffknecht sowie die stellvertretende SPÖ-Klubobfrau Manuela Auer forderten beide unabhängig voneinander ÖVP-Landesparteichef Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) auf, die Karten auf den Tisch zu legen. "Es ist Zeit für die ganze Wahrheit", richtete Scheffknecht aus. Wallner gebe immer nur das zu, "was nicht mehr zu verstecken ist", so Auer. FPÖ-Landesparteiobmann Christof Bitschi zufolge werde "der ÖVP-Skandal immer noch größer" und die Schlinge um Landeshauptmann Wallner ziehe sich weiter zu. Sollte sich bewahrheiten, dass Wallner die Unwahrheit gesagt habe, müsse es personelle Konsequenzen geben, forderte Bitschi. Wallners Namen nannte er aber nicht explizit. (Lara Hagen, 20.4.2022)