Hier war die Trassenführung des Lobautunnels unter das Naturschutzgebiet geplant.

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Wiens Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck (Mitte) will, dass der Lobautunnel gebaut wird. Verfassungsjurist Heinz Mayer (links) bezeichnete die Weisung des Verkehrsministeriums an die Asfinag zur Einstellung des Straßenprojekts als rechtswidrig. Anwalt Jörg Zehetner bezeichnete die Weisung als "aktienrechtlich unzulässig".

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Die Wirtschaftskammer Wien (WKW) kämpft weiterhin vehement um die Umsetzung des Milliardenprojekts Lobautunnel. Dieses hatte Verkehrsministerin Leonore Gewessler von den Grünen im Herbst 2021 nach einem Klimacheck ihres Ministeriums abgesagt. Am Mittwoch präsentierte die Kammer zwei Gutachten, die von ihr beauftragt wurden: In einem kommt Verfassungsjurist Heinz Mayer zum Schluss, dass die Weisung des Ministeriums an die Asfinag zur Einstellung des Straßenprojekts "rechtlich nicht möglich und außerdem rechtswidrig" sei. Der Lobautunnel samt Wiener S1-Nordostumfahrung sei genehmigt, sagte Mayer am Mittwoch. "Wenn Gewessler sagt, der Tunnel kommt nicht, dann handelt sie außerhalb ihrer Zuständigkeit."

Der Verfassungsjurist hielt auch eine Ministeranklage gegen Gewessler im Bereich des Möglichen. Laut Mayer könnte der Nationalrat mit einfacher Mehrheit Anklage wegen schuldhafter Rechtsverletzung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) erheben. Aktuell sei das aber "nicht sehr realistisch", räumte er auf Nachfrage ein. So müsste dem Vorgehen im Nationalrat auch der Koalitionspartner ÖVP zustimmen, was wohl mit dem Ende von Türkis-Grün verbunden wäre.

Ende des Vorjahres hatte die FPÖ bereits eine Ministeranklage gegen Gewessler wegen des Lobautunnel-Stopps beantragt. Diese wurde auch von der ÖVP klar abgelehnt. "Nicht jede politische Meinungsverschiedenheit ist gleich ein Fall für einen Misstrauensantrag oder eine Ministeranklage", sagte Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger Mitte Februar.

Weisung Gewesslers "aktienrechtlich unzulässig"

Jörg Zehetner von der Kanzlei KWR Rechtsanwälte stellte in einem ebenfalls von der Kammer beauftragten weiteren Gutachten fest, dass die Weisung von Gewessler gegen die Aktiengesellschaft Asfinag "aktienrechtlich unzulässig" und auch "inhaltlich rechtswidrig" sei, wie er am Mittwoch sagte. Zudem sei der Lobautunnel im Bundesstraßengesetz verankert. Es gebe die gesetzliche Verpflichtung, die Straße zu bauen. Natürlich könne man das Gesetz auch abändern, so Zehetner. "Aber das muss der Gesetzgeber tun, nicht die Ministerin."

Mayer verwies auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) aus dem Jahr 1990, in dem es um die Pyhrn-Autobahn ging. Aus diesem gehe hervor, dass es eine klare Entscheidung gibt, "dass Straßen im Bundesgesetz ehestens zu errichten sind". Rechtsexpertin Dragana Damjanovic von der TU Wien hielt hingegen fest, dass aus dem Bundesstraßengesetz keine Verpflichtung abzuleiten ist, die angeführten Straßen im Gesetz innerhalb einer bestimmten Frist umzusetzen.

Verkehrsministerium verweist auf "rechtskonforme Vorgehensweise"

In einer Stellungnahme zum STANDARD führte das Verkehrsministerium in Replik auf die Wirschaftskammer-Gutachten aus, dass auch das Ministerium "umfassende Gutachten" eingeholt habe. "Die bestätigen, dass diese Vorgehensweise rechtskonform ist."

Das Ministerium habe die Aufgabe, mit der Asfinag jährlich ein Bauprogramm abzustimmen. "Genau das haben wir auch beim aktuellen Bauprogramm auf Basis der Evaluierung getan. Mit diesem Bauprogramm können wir jetzt auch die Planungen für bessere Alternativen fortführen."

Klimaschutzgründe führten zu Gewesslers Entscheidung

Gewessler hatte im Vorjahr nach der Evaluierung des Asfinag-Bauprogramms bekanntgegeben, dass das Projekt Lobautunnel nach 20 Jahren Vorarbeiten und bereits getätigten Millioneninvestitionen nicht mehr weiterverfolgt wird. Sie führte vor allem Klimaschutzgründe für diese Entscheidung an. Damit wäre auch der geplante Autobahnring um Wien Geschichte: Es fehlen nur noch 19 Kilometer zwischen Schwechat und Süßenbrunn, der Tunnel unter Donau und Naturschutzgebiet ist mit etwa 8,2 Kilometern Länge projektiert. Alternativkonzepte, darunter auch ein angekündigter massiver Ausbau des öffentlichen Verkehrs, wurden noch nicht präsentiert.

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70 Millionen Euro Wertberichtigungen durch Asfinag

Walter Ruck, Präsident der Wiener Wirtschaftskammer, meinte am Mittwoch, dass bereits jetzt mit der Absage des Tunnelprojekts Wertberichtigungen in Höhe von mehr als 70 Millionen Euro auf die Asfinag zukämen. Die frustrierten Aufwendungen – das sind Ausgaben, die bei Nichterrichtung nutzlos sind – würden sich auf mehr als 180 Millionen Euro belaufen.

Ruck verwies auch darauf, dass für das Streichen des Lobautunnel-Projekts aus dem Asfinag-Bauprogramm noch das notwendige Einvernehmen mit dem Finanzministerium unter Minister Magnus Brunner (ÖVP) hergestellt werden müsste. Eine Frist dafür gebe es aber nicht, räumte Anwalt Zehetner ein. Dieser vertrat aber die Rechtsansicht, dass ohne dieses Einvernehmen noch das alte Bauprogramm der Asfinag gelten müsste – wo der Lobautunnel noch angeführt ist. "Der Ball liegt beim Finanzminister und dann beim Asfinag-Vorstand", sagte Ruck. Er forderte den Asfinag-Aufsichtsrat auf, den Baustopp zurückzunehmen.

Ludwig kritisiert "willkürliche Entscheidung" Gewesslers

Die Gutachten der Wirtschaftskammer würden "die Rechtsauffassung der Stadt Wien eindeutig bestätigen", sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) in einer ersten Reaktion. Der Lobautunnel-Stopp sei eine "willkürliche Entscheidung" Gewesslers gewesen. Die Ministerin bleibe zudem die angekündigten Alternativvorschläge für den Verkehr in der Ostregion weiter schuldig. Ludwig hatte Anfang Dezember angekündigt, rechtliche Schritte gegen die Gewessler-Entscheidung zu prüfen. Ob es diese auch geben wird, darauf nahm Ludwig am Mittwoch aber keinen Bezug.

Die Wiener Grünen führen hingegen ins Treffen, dass die Klimaziele der Stadt Wien mit dem Lobautunnel nicht in Einklang zu bringen sind. "Wer also nun gegen die Absage des Lobautunnels klagt, klagt gegen das Pariser Klimaabkommen", sagte der Parteivorsitzende Peter Kraus. Umweltorganisationen verwiesen unter anderem auf Öffis statt neuen Straßen. (David Krutzler, 20.4.2022)