Am Sonntag wählen die Franzosen ihren Präsidenten. An Emmanuel Macrons Sieg bestehen wenig Zweifel, aber was vielen Sorgen macht ist die Tatsache, dass die Wähler der extremen Rechten und Linken in den Umfragen gemeinsam eine solide Mehrheit bilden.

Zufriedenheit mit dem Staat und seinen Institutionen sieht anders aus. Wenn man dazu bedenkt, dass vor kurzem Viktor Orbán in Ungarn mit einem populistischen Programm hoch gewonnen hat und in den USA die ebenfalls rechtspopulistischen Republikaner auf einen Erfolg bei den Senatswahlen im Herbst zusteuern, so ergibt das eine eindeutige Diagnose: Der Populismus ist im Aufwind.

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Marine Le Pen ist im Rennen um die französische Präsidentschaft, dem Favoriten Emmanuel Macron dicht auf den Fersen.
Foto: AP Photo/Christophe Ena

Was haben alle diese grundverschiedenen Strömungen von ganz rechts bis ganz links gemeinsam? Vor allem wohl eine Abneigung gegen die Eliten im Lande, die Gutmenschen und Internationalisten, die als abgehoben und privilegiert wahrgenommen werden und vermeintlich für die Sorgen und Anliegen der "gewöhnlichen Menschen" keinen Sinn haben. Bei den Rechtswählern spielt die Angst vor Zuwanderern und andersstämmigen Minderheiten eine große Rolle, die "unseren Leuten" Jobs und Fördergelder streitig machten.

Alle Populisten wenden sich vorrangig an die armen Teufel in der Gesellschaft, die Abgehängten und Zukurzgekommenen.

Mit gutem Grund. Wer nicht weiß, wie er die Miete bezahlen, die Wohnung heizen und das Essen für die Familie herbeischaffen soll, dem sind die "großen Fragen", die die Eliten beschäftigen – der Weltfriede, die Meinungsfreiheit, der Klimawandel –, herzlich egal. Man wählt diejenigen, die eine unmittelbare Besserung der eigenen Lebensumstände versprechen.

Rennen um Präsidentschaft

In Frankreich hat Marine Le Pen, die als Zweitplatzierte im Rennen um die Präsidentschaft dem Favoriten Macron dicht auf den Fersen ist, denn auch die Kaufkraft zum Hauptthema ihres Wahlkampfes gemacht. Dass mehr Geld für arme Franzosen weniger Geld für arme Zuwanderer bedeutet, erwähnt sie nicht. Den Kampf gegen das "grand remplacement", die "Umvolkung", hat sie dem noch weiter rechts stehenden Éric Zemmour überlassen. Im zweiten Wahlgang könnte sie dessen Stimmenpotenzial erben.

Bleibt der Altlinke Jean-Luc Mélenchon, der mit seiner Bewegung "La France insoumise" die alten revolutionären Traditionen des Landes aufrechterhält und in den Umfragen als Dritter ebenfalls knapp an die beiden Vorngereihten herangekommen ist. Für ihn ist Macron der "Präsident der Reichen", aber er hat seinen Wählern die Losung "Keine Stimme für Le Pen" vorgegeben. Manche werden wohl nolens volens im zweiten Wahlgang Macron wählen, aber viele werden, so sagen die Experten, vermutlich zu Hause bleiben.

Und was lässt sich aus alldem für Österreich lernen? In erster Linie wohl, dass in Zeiten steigender Inflation das Thema Armut nach wie vor das Allerwichtigste ist. Wer zu wenig Geld zum Leben hat, ist für viele andere wichtige Fragen kaum erreichbar. Menschen, die den Eindruck haben, "auf uns hört keiner", sind leichte Beute für Populisten und damit eine ernste Gefahr für die Demokratie. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 20.4.2022)