Jürgen Kessler (rechts) begann seine Karriere als Büroleiter von Landeshauptmann Herbert Sausgruber, dem Vorgänger von Markus Wallner (beide ÖVP) – das Bild zeigt eine Sitzung im Jahr 2009. Wallner, der Ende 2011 Landeshauptmann wurde, übernahm Kessler nicht. Ab 2013 war der Jurist dann stellvertretender Geschäftsführer des Wirtschaftsbunds, ab 2018 schließlich Direktor. Diese Funktion musste er Anfang April nach medialem und politischem Druck zurücklegen.

Foto: APA/Stiplovsek

Dass der Vorarlberger Wirtschaftsbund über keine finanziellen Engpässe klagen musste, lässt sich nicht nur in internen Dokumenten, die an die Finanzprüfer übermittelt wurden, nachlesen. Wie berichtet wurden seit 2016 rund 4,5 Millionen Euro über Inserate eingenommen, der Gewinn des Wirtschaftsbunds lag 2019 bei 615.000 Euro, die Rücklagen der ÖVP-Organisation beziffern die Wirtschaftsprüfer mit fünf Millionen Euro.

Deutlich wird der Reichtum des Wirtschaftsbunds auch am Umgang führender Obleute mit dem Geld. Wie berichtet kam es des Öfteren zu – nicht besonders gründlich dokumentierten – Barauszahlungen. Diese gingen sowohl an Politiker – der derzeitige Wirtschaftsbund-Geschäftsführer und ehemalige Landesstatthalter Karlheinz Rüdisser ließ sich beispielsweise zehnmal je 500 Euro ausbezahlen – als auch an das Rote Kreuz oder an einen Fußballverein, bei dem einer der ehemaligen Direktoren Nachwuchstrainer ist. Belege, dass das Geld tatsächlich dort angekommen ist, fehlen in der Regel.

Darlehen, Autos, Lebensversicherung

Verglichen mit dem, was sich die ehemaligen Geschäftsführer Jürgen Kessler und Walter Natter offenbar ausbezahlten, sind das allerdings Peanuts: Ein Darlehen in der Höhe von 250.000 Euro für Kessler und 24.000 Euro Lebensversicherung für Natter sind unter anderem dokumentiert. Die Finanzprüfer beschäftigen sich mit diesen Ausgaben, aber auch mit Reisekosten, Spesen und Autos der beiden Ex-Direktoren der ÖVP-Organisation.

Das 250.000-Euro-Darlehen wurde im "Dezember 2020" vom Wirtschaftsbund als "Anerkennung für seinen Arbeitsaufwand" an Kessler ausbezahlt. Von Zinsen ist in dem Dokument nichts vermerkt. Als Zweck wird eine "private Immobilieninvestition" genannt. Der Betrag verstehe sich als "Unterstützungsleistung". Die Rückzahlung wurde in monatlichen oder jährlichen Teilbeträgen festgesetzt und muss in längstens 15 Jahren abgeschlossen sein. Sollte Kessler davor ausscheiden, muss er den Betrag innerhalb von drei Monaten zurückzahlen. Mehr enthält die Vereinbarung nicht. Unterzeichnet wurde diese "Vereinbarung" vom damaligen Obmann Hans-Peter Metzler und von Finanzreferent Jürgen Rauch.

Geld für Immobilien

Immobilieninvestitionen hat es nachweislich gegeben: Im Sommer 2020 kaufte Kessler in seiner Heimatgemeinde Wolfurt über seine Firma 3L Consulting ein 1.728 Quadratmeter großes Grundstück für 1,9 Millionen Euro. Unterzeichnet wurde der Kaufvertrag am 8. Juni. Die Verbücherung ist datiert mit Juli 2020. Das Darlehen könnte aber auch für einen anderen Immobilienkauf verwendet worden sein, denn Kessler kaufte nicht nur das Grundstück in Wolfurt, sondern wenige Monate vorher auch eine Wohnung in Götzis. Diese Immobilie erwarb er allerdings nicht über die 3L, sondern über die MT Vermietungs GmbH, an der er 50 Prozent hält. Kostenpunkt: 297.000 Euro für 111 Quadratmeter.

Es dürfte sich dabei um die Büroräume jenes Unternehmens handeln, an dem Kessler bis Anfang des Jahres noch zu 50 Prozent beteiligt war: Das Media Team wickelt das Anzeigengeschäft für zahlreiche Magazine des Landes ab, unter anderem für die Magazine der Wirtschaftskammer. Die Doppelrolle als Wirtschaftsbund-Chef und Anzeigenschalter für die Kammer (Kesslers Vorgänger Natter hatte übrigens die gleiche Doppelrolle) musste Kessler nach medialem und schließlich politischem Druck schlussendlich aufgeben. Einen Großteil seiner Anteile übernahm der Russmedia-Konzern, dem unter anderem die Vorarlberger Nachrichten gehören. Etwa 25 Prozent gehören dem Geschäftsführer der Firma Media Team, dem auch die anderen 50 Prozent der MT Vermietungs GmbH gehören.

Günstiger BMW

Das Darlehnen stellt die Prüfer offenbar vor einige Fragen – sie erkundigen sich nicht nur nach Zinsen, konkretem Fälligkeitsdatum und Konsequenzen, falls die Rückzahlung nicht erfolge, sondern auch nach allen seit Abschluss des Darlehnensvertrages getätigten Rückzahlungen. In einem Antwortschreiben sieht der Wirtschaftsbund aber "keine offenen Fragen". Das Darlehnen sei als Dienstgeberdarlehnen ausbezahlt worden und nach Konsultation mit dem Steuerberater als Barvorlage verbucht worden.

Auch ein die Übergabe eines BMW an den ehemaligen Direktor Natter am Ende seiner Amtszeit im Dezember 2017 wirft bei den Prüfern Fragen auf. Der Neuwert des Fahrzeugs habe rund 60.000 Euro betragen, knapp ein Jahr nach dem Kauf sei Natter eine Forderung von nur 33.000 Euro gestellt worden, bezahlt wurde offenbar nie. Laut den Prüfern lag der Buchwert des Autos weit höher, nämlich bei rund 49.000 Euro.

Lebensversicherung vom Wahlen-Konto

Noch während Natters Amtszeit, im Februar 2016, wurden 24.000 Euro an die Donau Versicherungs AG überwiesen. Verwendungszweck: Lebensversicherung Walter Natter. Verbucht worden sei diese Zahlung auf das Aufwandskonto "7780 Wahlen". Der Ausdruck des Kontoauszugs wurde handschriftlich geändert. Daten der Versicherung wurden durchgestrichen und durch "Gemeindevertretungswahl 15" ersetzt. Die Frage, weshalb eine Zahlung an eine Versicherung auf dieses Konto verbucht wurde, beantwortet der Wirtschaftsbund den Prüfern folgendermaßen: "Die aktuelle Geschäftsführung hat dazu keine Informationen."

Auch für die Provisionen, die sich Kessler und Natter zusätzlich zu ihrem Gehalt als Direktoren ausbezahlten, interessieren sich die Finanzbeamten, wie aus den Dokumenten hervorgeht, die dem STANDARD und dem ORF Vorarlberg vorliegen. Für Natter waren dies 15 Prozent des Inseratenaufkommens – also zwischen 40.000 Euro im Jahr 2015 und 44.363 Euro 2017. In einem Gedächtnisprotokoll an die Finanz beschreibt Natter die 15 Prozent Provision als "branchenüblich".

Finanzprüfung bei Natter und Kessler

Der Finanzprüfung beim Wirtschaftsbund waren Prüfungen bei Kessler und Natter vorausgegangen. Die Finanzbeamten waren deswegen auch bereits über Sachverhalte informiert, welche der Wirtschaftsbund in seiner Selbstanzeige einräumte. Die Prüfer beschreiben es deswegen als "fraglich", dass die Selbstanzeige strafmildernd wirken könnte. Was Ausgangspunkt für die Prüfungen bei den ehemaligen Wirtschaftsbund-Geschäftsführern war, geht aus den Dokumenten nicht hervor.

Während Kessler am 1. April als Wirtschaftsbund-Direktor zurücktrat, ist Natter weiterhin für die Teilorganisation tätig. Beide ehemaligen Geschäftsführer ließen Anfragen von STANDARD und ORF Vorarlberg zu den Zahlungen unbeantwortet.

Tomaselli sieht "erschreckende Machenschaften"

Die Fraktionsführerin der Grünen im U-Ausschuss, Nina Tomaselli, beschreibt das "Wirtschaftsbund-Tool" als "Selbstbedienungsladen für Funktionäre". Auf der einen Seite sei "auf dubiose Art und Weise" von Unternehmern Geld via Inserate eingesammelt worden, "um sich im Anschluss selber dafür fürstlich zu entlohnen", so die Vorarlbergerin. Die Akten, die dem U-Ausschuss geliefert wurden, würden "erschreckende Machenschaften" innerhalb des Wirtschaftsbunds belegen. Tomasellis Schlussfolgerung: "Umfassende Aufklärung ist noch notwendiger geworden." Am Montag wird es dazu Gelegenheit geben, denn dann findet in Vorarlberg ein Sonderlandtag zum Thema Wirtschaftsbund statt.

Meinl-Reisinger fordert Wallner-Rücktritt

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger zeigte sich im Puls24-Interview "entsetzt" über die Causa Wirtschaftsbund und forderte den Rücktritt von ÖVP-Landeshauptmann Markus Wallner. Es sei ihr "Verständnis von politischer Verantwortung, dass der Landesparteiobmann, Landeshauptmann die Verantwortung übernehmen muss", so Meinl-Reisinger.

SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch sieht wiederum Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) in der Ziehung: "Der türkise Sumpf muss vollständig trockengelegt werden. Nehammer muss zu den skandalösen Machenschaften in seiner Partei Stellung beziehen." Der Versuch des Kanzlers, durch diese Affäre durchzutauchen, sei nicht länger tragbar, so Deutsch.

Indes brachten die Oppositionsfraktionen SPÖ, FPÖ und Neos im ÖVP-Korruptionsausschuss ergänzende Beweisanforderungen zum Wirtschaftsbund ein, wie die "Vorarlberger Nachrichten" berichteten. Diese ergehen an alle Bundesministerien, die Wirtschaftskammer, die Österreichische Gesundheitskasse und die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen. Das Verlangen wurde am Donnerstagabend eingebracht. Innerhalb von zwei Wochen müssen nun alle Akten und Unterlagen in Zusammenhang "mit Inseraten in der Zeitung des Vorarlberger Wirtschaftsbunds" geliefert werden. (Lara Hagen, red, APA, 21.4.2022)