Im Sommer 1252 wurde in Himberg südöstlich von Wien eine politisch brisante Hochzeit gefeiert: Gertrud von Österreich vermählte sich mit Roman, dem Sohn des Fürsten Danylo von Halytsch (Galizien). Gertrud war die Tochter des Heinrich von Österreich und der Agnes von Thüringen und eine Nichte des Herzogs Friedrich II. "des Streitbaren", mit dessen Tod 1246 die männliche Linie der Babenberger, die seit 976 in Österreich und seit 1192 in der Steiermark regiert hatten, ausstarb. Nun versuchten verschiedene Fürsten aus der näheren oder weiteren Nachbarschaft durch Eheschließungen mit den weiblichen Verwandten Friedrichs II., darunter seine Schwester Margarete und eben Gertrud, Anspruch auf das reiche Erbe der babenbergischen Länder zu gewinnen.

Ehen, Erben und verräterische Absichten?

Gertrud heiratete 1246 zuerst den Sohn des böhmischen Königs Wenzel I., Vladislav von Mähren, der zwar als Herzog beim österreichischen Adel Anerkennung fand, aber schon im Jänner 1247 starb. Um ihre Stellung neuerlich zu stärken, ehelichte Gertrud im Sommer 1248 den Markgrafen Hermann VI. von Baden, der allerdings seinen Anspruch auf die Herzogswürde kaum durchsetzen konnte und im Oktober 1250 ebenfalls verstarb. Bald sah sich Gertrud, die in der Burg auf dem Kahlenberg residierte, durch Ottokar (II.) Přemysl, den zweiten Sohn Königs Wenzel I., herausgefordert, der im Februar 1252 ihre Tante Margarete heiratete. Gertrud wandte sich deshalb an einen weiteren Interessenten am babenbergischen Erbe, den ungarischen König Bela IV. Im Kampf gegen ihn war Friedrich II. 1246 gefallen.

Bela IV. vermittelte darauf die Ehe zwischen Gertrud und Roman von Galizien. Das Motiv Belas, der eigentlich selbst Anspruch auf die österreichische und steirische Herzogswürde, die jetzt Roman zukam, erhob, ist unklar. Vermutlich wollte er sich die Unterstützung durch Romans Vater Danylo gegen die gefährlichen böhmischen Rivalen sichern. Die wichtigste Quelle für die Geschichte Galiziens in dieser Zeit, die Hypatius-Chronik, unterstellt dem ungarischen König jedenfalls vom Beginn an eine verräterische Absicht.

Die Fürsten der Rus und Österreich

Romans Vater Danylo war damals einer der mächtigsten Fürsten aus der Familie der Rurikiden, die seit dem späten 9. Jahrhundert das Gebiet der Rus in Osteuropa beherrschten. Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts war das ursprünglich von Kiew aus regierte Reich der Rus in ein gutes Dutzend Fürstentümer zerfallen, deren Vertreter um die Kontrolle des noch symbolischen Zentrums stritten. Auch Danylo war es für einige Zeit gelungen, von seiner Machtbasis in den Fürstentümern Halytsch und Wolhynien (um die Stadt Volodymyr) ganz im Südwesten der Rus aus seinen Anspruch auf Kiew durchzusetzen. Allerdings wurde die Stadt 1240 von den Mongolen erobert, die auch die anderen Fürstentümer der Rus verwüsteten und dazu zwangen, ihre Oberhoheit anzuerkennen. Danylo musste ihnen ebenso Tribut leisten, kam aber mit geringeren Verlusten davon als die anderen Rurikiden und konnte deshalb seine aktive Außenpolitik in Richtung Westen fortsetzen.

Karte der erwähnten Orte.
Foto: J. Preiser-Kapeller, ÖAW, 2022

Im Jahr 1253 unternahm Fürst Danylo zusammen mit seinem Sohn Lew und dem verbündeten polnischen Herzog Bolesław VI. von Gniezno-Kalisz sogar einen Feldzug weit nach Westen in das Gebiet des Königreichs Böhmen um Opava (Troppau). Als Motive dafür nennt die Hypatius-Chronik neben der Unterstützung für Bela IV. und Danylos Sohn Roman das "Streben nach Ruhm; denn vor dieser Zeit hatte niemand aus dem Land der Rus Krieg gegen das böhmische Land geführt". Nach Plünderungen zog sich die mit Beute beladene Armee wieder nach Polen und Galizien zurück. Für die Stellung Gertruds und Romans in Österreich war die Aktion nur von begrenztem Nutzen. Als auch der ungarischen König nicht die versprochene Waffenhilfe gewährte, erkannte Roman, dass er gegen die Böhmen auf verlorenem Posten stand, verzichtete im Sommer 1253 auf die österreichische Herzogswürde, trennte sich von Gertrud (die von ihm schwanger war) und kehrte nach Galizien zurück.

Gertruds Schicksal und der neue König der Rus

Im Jahr darauf musste deshalb auch Gertrud gegenüber Ottokar II. Přemysl, der jetzt böhmischer König war, und Bela IV. auf ihre Ansprüche verzichten. Bela IV. hatte sich über ihren Kopf hinweg mit Ottokar auf eine Teilung des babenbergischen Erbes geeinigt. Gertrud wurde mit Besitzungen in der Steiermark, das (vorerst) dem Ungarnkönig zufiel, abgefunden, darunter die Stadt Judenburg. Fürst Danylo von Halytsch hingegen profitierte von seinen politischen Bemühungen in Richtung lateinisches Europa und wurde von Papst Innozenz IV. 1253/1254 sogar mit dem Titel eines "Rex Russiae" (König des Landes der Rus) ausgezeichnet. Bis heute gilt er in der ukrainischen Nationalgeschichtsschreibung als Beleg für die lange Tradition der Westausrichtung des Landes; Danylos Bildnis ziert Münzen, 2012 wurde sogar der Flughafen von Lwiw (Lemberg) nach ihm benannt. Auf jeden Fall wird mit ihm die Vielfalt des Erbes der mittelalterlichen Rus deutlich, von denen keineswegs nur eine einzige Traditionslinie ins heutige Russland und nach Moskau (das erst im 15. Jahrhundert zur Vormacht im Nordosten der Rus aufstieg) führt.

Gertrud von Österreich in der Darstellung des Babenbergerstammbaums in Klosterneuburg (um 1490) und eine moderne Büste ihres kurzzeitigen Schwiegervaters, Fürst Danylo von Halytsch, im seit 2012 nach ihm benannten Flughafen von Lwiw in der Ukraine.
Foto: Gemeinfrei

Beziehungsgeflechte zwischen Österreich und der Rus

Besondere Verdienste um die Erforschung dieser Frühgeschichte der Beziehungen zwischen Österreich und dem Gebiet der Rus erwarb sich Prof. Aleksey Martyniouk von der Universität Minsk in Belarus. Sein mehr als 500 Seiten starkes Buch mit dem Titel (in Übersetzung) "Vor Herberstein: Österreich und Osteuropa im System persönlicher Verbindungen und kultureller Kontakte, 13. bis frühes 16. Jahrhundert" liegt seit 2019 in russischer Sprache vor und wird hoffentlich übersetzt werden, um die historische Tiefendimension der überregionalen Beziehungen gerade in Zeiten, wo sich neue Trennlinien zu etablieren scheinen, auch für ein österreichisches Publikum stärker zu beleuchten. (Johannes Preiser-Kapeller, 21.4.2022)