Es ist an der Zeit, über Ortsnamen zu reden, sagt die Übersetzerin Ganna Gnedkova im Gastkommentar.

Illustration: Fatih Aydogdu

Wort, dich allein will als Waffe ich wahren, / Wir zwei dürfen niemals Vernichtung erfahren! / Vielleicht wirst als Waffe in stärkerer Hand / Du ein besserer Schutz für mein leidendes Land!

Diese Zeilen schreibt 1896 Lessja Ukrainka, eine der berühmtesten ukrainischen Autorinnen in ihrem Gedicht Wort, warum bist du nicht harter Granit. Ihr Pseudonym "Ukrajinka" kommt noch aus der Zeit, als die Ukraine von zwei Imperien aufgeteilt wurde und man den Teil, den das russische Imperium beherrschte, abwertend "Kleinrussland" nannte.

Seitdem hat die Ukraine viel erlebt und viel gekämpft. 1991 wurde ihre Unabhängigkeit offiziell anerkannt. Der Name "Kleinrussland" ist schon lange Geschichte. Genauso wie der Name "Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik" und der Name der Kolonialmacht "UdSSR". Man verwendet sie nicht mehr, denn die Ukraine hat sich das Recht zur Selbstbestimmung erkämpft, und die UdSSR ist zerfallen.

Im 21. Jahrhundert wird die Ukraine vom ehemaligen russischen Imperium gezwungen, erneut für ihre Unabhängigkeit und Souveränität zu kämpfen. Man kämpft nicht nur für das Territorium, sondern auch wie zu Lebzeiten Ukrajinkas um Worte.

Geringe Bereitschaft

Auf die 2018 gestartete Kampagne #KyivNotKiev des ukrainischen Außenministeriums haben englische Medien schneller und sensibler reagiert als die deutschen: Die BBC und die New York Times haben Kiev durch Kyiv ersetzt. Im deutschsprachigen Raum ist die Bereitschaft, Ortsnamen zu ändern, noch sehr gering. Oft ist es Eigeninitiative, wie die Übersetzung des ukrainischen Reiseführers Streifzüge. Ukraine im Jahre 2017 zeigt. Damals haben wir uns nach der Absprache mit der ukrainischen Botschaft in Berlin an der ukrainischen Version orientiert und uns auf folgende Schreibweisen geeinigt: Kyjiw, Krym, Charkiw. Jeder Fall war Einzelfall, und wir mussten uns entscheiden, "wie weit" wir gehen können.

Die breite Diskussion über ukrainische Ortsnamen verharrt leider auf der Ebene von Whataboutismen. Oft hört man: Was ist denn mit Warschau/Warschawa, Moskau/Moskwa? Doch der ukrainische Fall unterscheidet sich davon: Bei den ukrainischen Namen geht es um ehemalige Kolonialnamen; hier geht es um Eigennamen, die nicht direkt vom Ukrainischen, sondern vom Russischen abgeleitet und eingedeutscht wurden; die oben genannten Städtenamen bedürfen einer eigenen Debatte. Und schließlich noch ein Argument: Diese Städte kämpfen nicht gegen ein Imperium, das Sprache instrumentalisiert.

2020 hat die Plattform "Kiewer Gespräche" ihren Namen durch "Kyjiwer Gespräche" ersetzt. In einer Diskussion über Sprache und Identität ("Kyjiw statt Kiew. Muss das wirklich sein?") kamen die drei Teilnehmer – der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan, die deutsche Grünen-Politikerin Rebecca Harms und der Historiker Wilfried Jilge – überein, dass "Kyjiw" die richtige Transliteration sei.

Historische Beispiele

Der Fall ukrainischer Ortsnamen ist nicht der erste in der Geschichte der Toponomastik: Die Umbenennung von Bombay zu Mombai oder dass Belarus in den Medien auch nicht mehr Weißrussland genannt wird. Ein historisch durchaus problematisches Beispiel für Toponomastik, das aber nicht ausgespart werden soll, wäre auch die Italienisierung Südtirols.

Seit dem 24. Februar 2022, dem Beginn des großangelegten Krieges, gibt es kleine Erfolge im Bereich der Transliteration auch in deutschsprachigen Medien. Das Katapult-Magazin veröffentlichte eine neue Karte der Ukraine mit neuer deutscher Transliteration: Kyjiw statt Kiew, Charkiw statt Charkow, Odesa statt Odessa. Diese Karte ist ein Fortschritt, aber noch nicht die Lösung.

Nicht unproblematisch

Klar ist, die Loslösung ukrainischer Namen von ihrem postkolonialen Erbe wird nicht unproblematisch sein, vor allem bei Städtenamen wie Tschornobyl/Tschernobyl, die mit ihren bisherigen Namen tief im Bewusstsein verwurzelt sind. Da bräuchte man eine Übergangszeit, schlägt die Ukrainisch-Deutsch-Übersetzerin Claudia Dathe vor. Und beim Namen Odesa solle man im Deutschen das zweite s behalten, sonst würde das s zwischen zwei Vokalen stimmhaft ausgesprochen, was mit der ukrainischen Aussprache nicht übereinstimme.

Auch der ukrainische Historiker und Professor der Europa-Universität Viadrina Andrij Portnow ist Umbenennungsbefürworter. "Sind russische geografische Namen wirklich ‚neutral‘ und ukrainische – ‚nationalistisch‘? Ich schlage vor, dass wir alle ernsthaft über diese Logik nachdenken", betont er. Allerdings solle man sich nicht nur mit dem russischen, sondern auch mit dem österreichisch-ungarischen Erbe auseinandersetzen und sich fragen, warum man die ukrainische Stadt Lwiw immer noch Lemberg nennt.

Für den Professor für slawische Sprachwissenschaft und Textphilologie an der Universität Wien Michael Moser wäre die Transliterationsänderung nicht nur "an der Zeit", sondern notwendig. Moser erinnert daran, dass die deutsche Form "Kiew" nicht allzu alt ist: Sie verbreitete sich erst, nachdem ein Teil der Ukraine Teil des Moskauer und später des Russischen Reiches wurde. Überhaupt fiele die Aussprache der Namen Dnister, Dnipro einer deutschsprachigen Muttersprachlerin leichter als Dnestr, Dnepr.

Eine Solidaritätsgeste

Der Wandel mag nicht einfach sein. Jedenfalls wäre er eine Geste der Solidarität. Sprache ist auch eine Ausübung von Macht. Für Ukrainerinnen und Ukrainer ist sie ein Symbol der Selbstbestimmung. Die österreichische Botschaft in Kyjiw hat sich bereits offiziell umbenannt, aber es ist noch ein langer Weg, bis die korrekte Transliteration überall angekommen ist. Deshalb: #KyjiwNichtKiew. (Ganna Gnedkova, 21.4.2022)