Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Explosion im Zuge der türkischen Militäroperation im Nordirak gegen die PKK.

Foto: Reuters

Mit massiven Luftangriffen, Kampfhubschraubern und Fallschirmjägern, die aus Hubschraubern abgesetzt wurden, greift die türkische Armee seit Anfang der Woche Stellungen der kurdischen PKK im Nordirak an. Laut türkischer Armee sind bislang 26 PKK-Milizionäre getötet worden, auf türkischer Seite erlag ein Offizier seinen Verwundungen.

Der grenzüberschreitende Militäreinsatz ist offenbar mit der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak abgesprochen worden. Am Freitag vergangener Woche traf sich Masrur Barzani, derzeitiger Regierungschef der kurdischen Autonomiezone im Nordirak, in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Regierung in Bagdad hat in Ankara Protest eingelegt.

Bodentruppen im Einsatz

Vor dem Einsatz ihrer Bodentruppen hatte die Luftwaffe in den nordirakischen Grenzprovinzen Zap, Avasin und Metina massiv mutmaßliche Stellungen der PKK bombardiert. Zusätzlich wurde von der türkischen Seite der Grenze aus stundenlang mit schwerer Artillerie in das Gebiet gefeuert. Dann übernahmen Kampfdrohnen und Hubschrauber den Luftraum, Letztere setzten auch Bodentruppen ab, die das Gebiet jetzt durchkämmen.

Die türkische Regierung macht für die Militärintervention Selbstschutzgründe geltend. Angeblich habe es Erkenntnisse gegeben, dass die PKK sich mit der Schneeschmelze zu Frühlingsbeginn auf neue Angriffe auf türkisches Territorium vorbereitet habe. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar behauptete im Fernsehen, der Angriff sei schon jetzt ein voller Erfolg. Die PKK werde aus der grenznahen Region zurückgedrängt.

Keine größeren PKK-Anschläge in der Türkei

Immer im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze in den Bergen entlang der türkisch-irakischen Grenze einsetzt, kam es in den vergangenen Jahren zu ähnlichen Einsätzen wie jetzt. Die türkische Regierung führt immer dieselben Argumente für ihre Militäreinsätze an, obwohl es schon seit Jahren keine größeren Anschläge der PKK innerhalb der Türkei mehr gegeben hat.

Wenn die Operation für die türkische Armee gut läuft, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Radius der Angriffe ausgeweitet wird. Zumindest aus der Luft hat die türkische Armee schon mehrfach das Hauptquartier der PKK in den Kandil-Bergen, gut 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, angegriffen. Letztlich ist und bleibt das Ziel, die kurdische bewaffnete Bewegung ganz zu vernichten.

Erdoğans besseres Image

Die Gelegenheit scheint günstig, weil die Welt gerade auf die Ukraine schaut und Präsident Erdoğan durch seine Vermittlung im Krieg zwischen der Ukraine und Russland gerade wieder ein besseres internationales Image genießt. Europa und die USA scheinen im Moment bereit, über den Angriff im Nordirak hinwegzusehen.

Dazu kommt, dass die kurdisch-irakische Autonomieregierung unter Führung der Barzani-Familie – Präsident ist Nechirvan Barzani, während sein jüngerer Cousin Masrur Regierungschef ist – mittlerweile in offener Gegnerschaft zur PKK steht.

Vorsicht bei Zivilisten versprochen

Das hat verschiedene Gründe: Zum einen braucht die kurdische Autonomieregierung ein gutes Verhältnis zur Türkei, um wirtschaftlich überleben zu können. Alle Wege aus dem Nordirak heraus führen über die Türkei. Zum anderen werden Anhänger der Barzani-Partei DPK in Nordsyrien, wo die von der PKK dominierte PYD das Sagen hat, verfolgt und unterdrückt. Schon länger will ein großer Teil der Kurden im Nordirak die PKK deshalb gerne loswerden. Um sich die Unterstützung von Präsident Barzani nicht zu verscherzen, hat die türkische Armee größtmögliche Vorsicht gegenüber Zivilisten versprochen.

Seit Jahren ist der türkische Geheimdienst MIT im Nordirak in großer Stärke vertreten. Die türkische Armee kennt deshalb die potenziellen Ziele im Nachbarland sehr gut. Seitdem immer mehr Kampfdrohnen eingesetzt werden, können kurdische Guerillakämpfer im bergigen Gelände auch leichter identifiziert und angegriffen werden als früher. Das nährt in Ankara die Vorstellung, man könne jetzt den Kampf gegen die PKK militärisch gewinnen. Entsprechend gering ist bei Erdoğan die Bereitschaft, noch einmal eine Verhandlungslösung anzustreben. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 20.4.2022)