Julia Steiner (links) von Avos entwickelt mit Christine B. Tipps für Angehörige.

Foto: Avos/Grill

Christine B. hat sich sechs Jahre lang um ihre demenzkranke Mutter gekümmert. "Als die Altersdemenz offensichtlich wurde, kam meine Mutter zunächst ins Heim", schildert die Salzburgerin. Nach zwei Jahren hieß es vom Pflegeheim, für ihre Mutter sei es bald Zeit zu sterben. "Mein Gatte hat dann gemerkt, wie ich unter der Situation leide, und wir haben sie zu uns geholt", erzählt die Flachgauerin. Ihre Mutter habe dann noch sechs Jahre bei ihnen gelebt, bis sie 2006 schließlich starb. "Es waren intensive, schöne Jahre mit großen Herausforderungen", sagt die vierfache Mutter, die auch für die Tierarztpraxis ihres Mannes arbeitete.

Zwei Jahre lang sei sie mit der Pflege ihrer Mama zu Hause komplett alleine gewesen. Kein Urlaub, keine Pause, kein Treffen mit Freundinnen. "Ich merkte, so kann es nicht weitergehen. Ich war dabei, auszubrennen", sagt Christine B. Als die demenzkranke Mutter schließlich einen gesundheitlichen Einbruch hatte, nicht mehr trinken oder essen wollte, holte sich die pflegende Angehörige Hilfe. Sie ging zu einer Selbsthilfegruppe der Diakonie für Angehörige von Demenzerkrankten. Die Mutter wurde dort in der Zwischenzeit betreut.

Die Pflegeaufgabe wurde dann auf mehrere Schultern verteilt und lastete nicht nur auf jenen von Christine B. Jeden Freitag brachte sie die alte Frau zur Tagesbetreuung, ihr Bruder und ihre Schwägerin übernahmen Betreuungszeiten, und auch eine mobile Betreuung kam von Zeit zu Zeit. Plötzlich war wieder ein Stadtbummel mit ihrer Freundin, ein Friseurbesuch, oder eine Chorprobe in diesen dringend benötigten Pausen möglich. "Die Tagesbetreuung war Gold wert", betont die Flachgauerin.

Abstand, Pause, Erholung

Auch nach dem Tod der Mutter ist Christine B. weiter regelmäßig zur Selbsthilfegruppe gegangen, wo sie Freunde gefunden hat. Bis heute gibt die 72-Jährige ihre Erfahrungen als pflegende Angehörige weiter, was ihr sehr am Herzen liege. Zusätzlich engagiert sie sich im Dachverband. Der Salzburgerin ist es ein Anliegen, andere Betroffene zu unterstützen, sich selbst und ihre Gesundheit nicht zu vergessen.

Abstand, Pausen und Erholung zu nehmen ist für Menschen, die ihre Verwandten zu Hause pflegen, leichter gesagt als getan und doch essenziell. "Diese zeitintensive Aufgabe ist nur machbar, wenn es einem selbst gut geht", sagt die Gesundheitstrainerin Julia Steiner von der Avos-Gesellschaft für Vorsorgemedizin.

Hilfe zur Selbsthilfe

In Österreich werden mehr als 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause versorgt. Jeder Zehnte in Österreicher pflegt ein Familienmitglied. "Speziell diese Gruppe braucht gesundheitsfördernde Schulungen", sagt Steiner, die für Avos das Projekt "AuGeN weiter auf" betreut. Ziel des Projekts ist es, pflegende Angehörige mit leicht umsetzbaren Ideen für ihre Gesundheit zu erreichen. In einem nächsten Schritt werden Gemeinden beraten, welche Angebote Pflegende benötigen. Steiner hat Christine B. und weitere Pflegende zu Rate gezogen, um eine Broschüre mit Tipps und einem Selbstfürsorge-Plan für Betroffene zu erstellen.

Es gebe zwar viele Kursangebote, aber wenig Nachfrage, sagt die Gesundheitstrainerin, "weil die Leute keine Zeit haben". Viele Angehörige würden sich zudem nicht selbst eingestehen, dass sie mit ihrer Kraft am Limit seien, hätten Schuldgefühle und Hemmungen, sich helfen zu lassen. "Es ist keine Niederlage, wenn pflegende Angehörige bei ihrer anspruchsvollen Aufgabe auf Unterstützung zurückgreifen. Ganz im Gegenteil", betont Steiner.

"Selbstvorwürfe braucht es nicht", ergänzt Christine B. "Viele wollen Hilfe annehmen, aber woher nehmen bei dem Betreuungsmangel?" Mobile Dienste seien extrem ausgelastet, nicht alle könnten sich die Zusatzkosten leisten. Eine Anstellung von pflegenden Angehörigen, wie sie es im Burgenland gibt, hält Christine B. daher für ideal. (Stefanie Ruep, 22.4.2022)