Es war Mitte März, als Pascale Vayers Telefon klingelte. Der Leiter einer ukrainischen Hilfsorganisation war am Apparat. "Pascale, ich habe hier einen Notfall", sagte er. "Wärst du bereit, ein Kinderheim aufzunehmen?" Vayer sagte zu.

Pascale Vayer, eine Frau mit dunklen Haaren und gewinnendem Lachen, ist Gründerin des Vereins Kleine Herzen. Sie hat selbst vier Kinder adoptiert, von denen zwei aus Russland stammen. Dadurch, sagt Vayer, sei sie auf die Situation in den dortigen Kinderheimen aufmerksam geworden. "Es war mir wichtig, dass ich helfe." Seit 15 Jahren engagiert sie sich mittlerweile ehrenamtlich für russische und ukrainische Waisenkinder.

Was sie tut, berührt sie, das merkt man der gebürtigen Französin gleich an. Wenn sie bei einem Espresso von den vergangenen Wochen spricht, sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus. Sie erzählt von der spektakulären Rettungsaktion, bei der die 63 Waisenkinder, ihre Betreuerinnen und der Leiter des Kinderheims aus der Ukraine nach Österreich gebracht wurden: in zwei Reisebussen über Polen und Tschechien hierher ins südburgenländische Burgauberg-Neudauberg im Bezirk Güssing. Sie erzählt von der Fahrt, die 40 Stunden dauerte und von Rettungswagen, dem Bundesheer und der Cobra begleitet wurde. Und sie erzählt von der schwierigen Suche nach einer Unterkunft, die groß genug ist für 96 Geflüchtete. Vayer telefonierte ihre Kontakte durch. "Es hätte einige Möglichkeiten gegeben, aber immer nur für eine temporäre Zeit." Sie jedoch suchte eine Bleibe auf Dauer. Denn niemand weiß, wie lang der Krieg noch dauern wird.

Nach anfänglicher Lethargie sei den meisten Kindern wieder zu lachen zumute. Auf Wunsch der Verantwortlichen wurden die Augen der Kinder auf den Fotos verpixelt.
Foto: Lexi

Ehemaliges Golfhotel

Die Pflegeheimgruppe Senecura stellte schließlich ein stillgelegtes Golfhotel zur Verfügung. Es ist ein weißes, in einen Hang hineingebautes Gebäude, das Senecura kaufte, um daraus ein Zentrum für seelische Gesundheit zu machen. Als hier noch Golfgäste residierten, hieß es "Das Gogers". Davon zeugen jetzt nur noch einzelne Lettern am Eingang: zwei G, ein O und ein R. Die anderen Buchstaben sind mit der Zeit abgefallen, als hätten sie gewusst, dass sie nicht mehr gebraucht werden – dort, wo früher Hobbygolfer ihr Frühstücksei serviert bekamen, essen nun Kleinkinder. Und wo früher vielleicht Golfschläger lehnten, stapeln sich jetzt Windelpackungen.

"Kommen Sie, wir drehen eine Runde", sagt Vayer, springt von einem Fauteuil in der ehemaligen Cafeteria des Hotels auf und führt durch das Gebäude. Durch die lichten Gänge, vorbei an der Kantine, wo Holztische und Sessel im Miniaturformat stehen. Auf den weißen Fliesen parkt ein Buggy hinter dem anderen, als stünden sie im Stau. In den Räumen schlafen Babys in Gitterbetten oder krabbeln auf Spielteppichen. Kleinkinder sitzen nebeneinander auf einer Stufe, fuchteln wie wild mit einem Spielzeug herum oder klatschen im Takt zu einem Lied.

Wieder Appetit

Der Großteil der Kinder ist unter drei Jahre alt, einige haben eine Behinderung. Vayer kennt alle ihre Namen, ihr Alter und ihre Vorlieben. Sie weiß, wer immer gute Laune hat, wer schnell gewachsen ist und wer besonders gerne Musik mag. Sie weiß das, weil die Kinder ihre "Lieblinge" sind. Im Vorbeigehen spricht sie mit ihnen oder zwinkert ihnen zu. Ein Baby streichelt sie am Bauch.

In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft seien die Kinder müde gewesen, lethargisch, sagt Vayer. Mittlerweile spielen sie wieder und laufen durch die Gänge. "Sie haben auch wieder Appetit, das ist ein gutes Zeichen." Die Kinder kommen aus einem Waisenhaus in Kropywnyzkyj, einer Stadt in der Zentralukraine. Zum Schutz vor den russischen Bomben haben sie die Wochen vor der Flucht mit ihren Betreuerinnen im Keller verbracht.

Dort wo früher Hobbygolfer verköstigt wurden, essen jetzt Kleinkinder. Die Flucht setzte ihnen zu, aber nun haben sie wieder Appetit.
Foto: Lexi

Umso wichtiger seien jetzt viel Struktur und ein geregelter Tagesablauf. "Die Kinder leben hier genauso, wie sie im Kinderheim gelebt haben." Um sieben Uhr wachen die ersten auf, um acht gibt es Frühstück. Um elf Uhr machen die Betreuerinnen mit ihnen einen kurzen Spaziergang. Um zwölf Uhr wird mittaggegessen, danach ein Schläfchen gemacht. Nach einer Jause in den Zimmern "spielen wir und werden laut". Von den Menschen in der Gegend hätten die Kinder Puppenbuggys bekommen, mit denen sie durch die Gänge flitzen. Bis alle ausgepowert sind. Um sieben Uhr abends geht es nach einem Abendessen ins Bett.

Wenn die Kinder schlafen, sitzen ihre Betreuerinnen noch zusammen. An manchen Abenden werde über den Krieg geredet, an anderen werde das Thema bewusst ausgespart. "Der Schmerz ist aber immer da", sagt Vayer. Von einer Betreuerin sind sowohl der Sohn als auch der Mann als Soldaten im Krieg. "Das ist schwer. Täglich hat sie Angst, dass etwas passiert." Wie anstrengend die letzte Zeit war – und immer noch ist –, ist den Frauen anzumerken. Ihre Gesichter sind fahl, ihr Blick ist müde.

Wohnlich einrichten

Die Zimmer des ehemaligen Viersternehotels sind großzügig, haben einen Parkettboden und einen Balkon. Jeweils eine Betreuerin ist dort mit drei Kindern untergebracht. "Sie haben eine Art kleine Wohnung für sich, das ist toll. Es ist genug Platz, dass man bequem leben kann", sagt Vayer. Die Frauen würden sich immer mehr einrichten. "Immer öfter sagen sie: Pascale, ich brauche dies, ich brauche das."

Die Zimmer des ehemaligen Viersternehotels sind großzügig und hell. Die Betreuerinnen und Kinder würden sich dort immer wohler fühlen.
Foto: Lexi

Weil das Gebäude jedoch einige Jahre leer stand, war vor der Ankunft der Kinder viel zu tun. "Nichts in dem Haus hat funktioniert", sagt Senecura-Direktor Johannes Wallner. In wenigen Tagen habe man das Hotel hergerichtet. Die Baufirma schickte Arbeiter, die einen Wasserschaden behoben und die Räume sanierten. Der Rest war die Leistung vieler Freiwilliger. Die Bevölkerung spendete Kinderbetten, Kinderwagen, Spielzeug, Windeln und Lebensmittel. Die Hilfsbereitschaft war enorm.

Auch jetzt kommt noch täglich etwas an. "Die Gemeinde hier ist großartig. Wenn wir etwas brauchen, kommt es zehnfach", sagt Vayer. Nun hoffe sie aber insbesondere auch auf Geldspenden, um langfristig planen zu können.

Rückkehr nach dem Krieg

Sobald der Krieg vorbei ist und es wieder möglich wird, sollen die Kinder in die Ukraine zurückkehren. Dieses Versprechen musste der Bürgermeister Wolfgang Eder (ÖVP) dem ukrainischen Staat geben. Die Kinder dürfen nicht zur Adoption freigegeben werden oder in eine Pflegefamilie kommen, das gebietet das sogenannte Haager Übereinkommen zu ihrem Schutz.

"Wir haben die Verantwortung, gut für sie zu sorgen", sagt Vayer noch, bevor sie weitermuss. Sie hat zu tun. Vor dem Haus errichten einige Männer gerade einen Spielplatz. Dafür wurde ein Bereich abgezäunt, weil rund um das Hotel lauter Golfplätze sind, auf denen Menschen ihre Bälle abschlagen. In den nächsten Tagen kommen außerdem weitere Betreuerinnen aus der Ukraine an. Gemeinsam mit einer Freundin, einer Psychologin, organisiert Vayer Kunsttherapie und Yoga für die Frauen, "damit sie sich erholen können, wenn die Kinder schlafen". Auch weitere Unterkünfte für ukrainische Kinder und ihre Mütter sind noch geplant.

Als sie einem die Tür aufhält und man ihr zum Abschied noch alles Gute wünscht, lacht Pascale Vayer nur, winkt ab und sagt: "Ich bin Mama von 63 Kindern. Ich bin eine reiche Frau." (Lisa Breit aus Burgauberg-Neudauberg, 17.5.2022)