Foto: Imago Images / Miguel Frias
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Wien – Die jüngsten Wortmeldungen aus der Start-up-Szene lassen es erahnen: Türkis und Grün ziehen bei den im Regierungsprogramm angekündigten Erleichterungen bei der Gründung von Kapitalgesellschaften nicht an einem Strang – und sie sind noch nicht handelseins.

Das sollte angesichts des umfangreichen Wunschzettels von Wirtschaftsministerium und Wirtschaftskammer nicht überraschen. Denn bei weitem nicht alles, was modern und gut für Unternehmensgründer klingt, erachtet man im fachlich zuständigen Justizministerium als vorteilhaft. Das lässt sich aus den von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) verfassten Eckpunktepapier zur geplanten neuen Kapitalgesellschaft (FlexKapG) ablesen.

Aus Sicht des Justizministeriums sind für Start-ups, also innovative Klein- und Mittelbetriebe (KMU), folgende Erleichterungen geplant:

  • Digitale Gründung Die Gründung einer solchen FlexCo soll einfach, digital und kostengünstig sein. Die Mindeststammeinlage des einzelnen Gesellschafters soll statt bisher 70 Euro nur noch einen Euro betragen, das Stammkapital niedrig sein, wie es heißt, also wohl nicht höher sein als bei der bereits bestehenden gründungsprivilegierten GmbH. Deren Stammeinlage ist auf 10.000 Euro beschränkt, davon die Hälfte ist sofort einzuzahlen, die zweite Hälfte binnen zehn Jahren. "Die Stammeinlage soll nicht komplett entfallen", betont ein Sprecher des Justizministeriums. "Denn diese ist auch als Seriositätsschwelle zu sehen und dient dem Gläubigerschutz." Darauf haben Gläubigerschutzverbände gedrängt. Sie sahen durch einen Entfall des Stammkapitals den letzten Haftungsfonds entschwinden.
  • Mitarbeiterbeteiligung Mitarbeiter sollen am Unternehmen unbürokratisch beteiligt werden können. Zu diesem Zweck soll die Flexco eigene Anteile halten können, die sie gegebenenfalls in Form von Unternehmenswertanteilen an Beschäftigte abgeben kann. Um allfällige Nachschusspflichten auszuschließen, haben diese Stückanteile kein Stimmrecht.
    Letzteres sehen nicht nur Gesellschaftsrechtsexperten kritisch, denn dabei laufen Angestellte Gefahr, einen Verlust des Realeinkommens zu erleiden, weil sie einen Teil der jährlichen Gehaltserhöhung in Form von Stückanteilen erhalten. Diese Firmenanteile sind aber, anders als börsennotierte Aktien, de facto unverkäuflich. Mangels Gewinnen gibt es bei Start-ups mit hohem Investitionsbedarf in der Regel keine Dividendenausschüttungen, eine Gewinnbeteiligung als Ersatz für eine Lohnerhöhung kann also nicht lukriert werden.
    Viel wichtiger für Start-ups wäre es hingegen, wenden Experten ein, dass die Unternehmenswertanteile steuerfrei ausgegeben werden können. Das mache einen Einstieg für Investoren attraktiv.
  • Virtuelle Generalversammlungen In der Pandemie hat sich die Abhaltung virtueller General- und Hauptversammlungen bewährt, nun wird die Möglichkeit zur Tele-Versammlung offiziell gesetzlich erlaubt. Dabei soll auch ein Split Voting möglich sein, also die uneinheitliche Ausübung des Stimmrechts. Aus dem Eckpunktepapier des Justizministeriums erschließt sich weiters, dass flexible Kapitalmaßnahmen ermöglicht werden, etwa die bedingte Kapitalerhöhung und das genehmigte Kapital. Außerdem soll eine GmbH einfacher in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden (und umgekehrt).

Handelseins sind sich Koalitionäre und Sozialpartner allerdings nicht in allen Punkten. Laut Recherchen des STANDARD blieb so manches vom Wunschzettel unerfüllt.

  • Notariatsakte Anders als vom Wirtschaftsministerium und Brutkasten-Betreibern ersehnt, sollen kostenpflichtige Notariatsakte nicht gänzlich entfallen. In diesem Punkt haben sich die Notare durchgesetzt. Allerdings wird die Notwendigkeit zur Beglaubigung stark zurückgedrängt, etwa auf die Feststellung der Identität der handelnden Personen und Investoren, die Einhaltung der Geldwäschebestimmungen und zur Feststellung, ob der Rechtsakt gemäß Gesellschaftsvertrage bzw. der Satzung zulässig ist. Auch die Belehrung über die mit dem Rechtsgeschäft einhergehenden Rechte und Pflichten hat ein Notar durchzuführen.
  • Firmenbuchgericht Auch die unter dem Schlagwort Entbürokratisierung geforderte Reduktion der Prüfpflichten am Firmenbuchgericht dürfte ein Wunsch bleiben. Sie sei aber ohnehin nicht das große Problem, betonen Aktienrechtler. Das koste gerade einmal zwei Tage Zeit und verzögere eine Unternehmensgründung somit nicht maßgeblich. Das österreichische Firmenbuch sei digital, schnell und vorbildhaft in Europa. Eine Mehrfach-Qualitätssicherung beim Firmenbuch verzögere Eintragungen und gerade der zeitliche Faktor sei für Start-ups von großer Bedeutung, betont man im Wirtschaftsministerium.

Zankapfel Firmenbuch

Hintergrund dieser Kontroverse ist das Bestreben, Investoren von der Pflicht zur Firmenbucheintragung ihrer Anteile komplett zu entbinden. Die Gesellschaft selbst sollte ein Register über die Anteilseigner führen, nicht das Firmenbuchgericht. Gläubigerschützer Gerhard Weinhofer von Creditreform sieht das kritisch, ein Kommen und Gehen von Anteilseignern wäre die Folge, und niemand hätte den Überblick. "Quick and dirty eine Gesellschaft gründen, Anteilseigner kommen und gehen – wo bleibt da die Transparenz?", fragt Weinhofer im Gespräch mit dem STANDARD.

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Nicht nur für potenzielle wertvolle Einhörner ein flexibleres Gesellschaftsrecht, sondern für alle GmbHs, fordern Rechtsexperten.
Foto: dpa / Thomas Kienzle

Gesellschaftsrechtsprofessorin Susanne Kalss von der Wirtschaftsuniversität Wien begrüßt die geplanten Reformen "als ersten Schritt", wie sie betont. Nun müsse aber dringend die Reform der allgemeinen GmbH folgen. "Es darf nicht sein, dass wir für Start-ups etwas machen und auf die alten, privaten und volkswirtschaftlich wertvollen Unternehmen vergessen." Es gibt 170.000 Ges.m.b.H.s in Österreich, "das sind die Stützen der Wirtschaft". Sie brauchen ebenso dringend ein modernes GmbH-Recht wie die Aktiengesellschaft, die ebenfalls viel zu kompliziert ist und bremsend wirkt", sagt Kalss. (Luise Ungerboeck, 22.4.2022)