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Emmanuel Macron konnte sich im TV-Duell als fachkundig präsentieren, wirkte dabei aber bisweilen arrogant. Marine Le Pen war zwar nicht immer sattelfest, sie erschein aber immerhin als fast "normale" Kandidatin.

Foto: Reuters / Hartmann

Nationalismus gegen Europa, Xenophobie gegen Weltoffenheit – Putin gegen Nato: Mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron traten am Mittwochabend zwei absolut gegensätzliche Gesellschaftsmodelle und Visionen für die Welt zum TV-Duell gegeneinander an. Es war das erste und einzige Aufeinandertreffen vor der Präsidentschaftsstichwahl am Sonntag.

Auch in Stil und Strategie erwiesen sich die beiden als sehr unterschiedlich. Le Pen, früher als Poltererin bekannt, gab sich ruhig und zurückhaltend. Macron wirkte zu Beginn recht gespannt hinter einer Lockerheitsfassade; fast etwas zu selbstsicher lehnte er sich öfters mit verschränkten Armen zurück und lächelte süffisant über die Worte seiner Rivalin.

Video: Die wichtigsten Zitate aus dem Duell.
DER STANDARD

Um zu verhindern, dass er von Le Pen auf die wenig glorreiche Bilanz seiner fünfjährigen Amtszeit festgenagelt wurde, ging Macron selber zum Angriff über. Immer wieder fiel er ihr ins Wort, auf die Gefahr hin, als selbstgefällig und rechthaberisch durchzugehen. "Ich informiere Sie ...", sagte der amtierende Präsident mehrmals von oben herab. Le Pen lächelte dazu nur. Im Unterschied zu ihrem ersten, völlig verpatzten Duell im Jahre 2017 war sie gut in Form und ständig bemüht, ihr Stigma eines politischen Schreckgespensts loszuwerden.

Abhängig von Putin

In der Sache gelang es Macron immerhin, Le Pen in die Enge zu treiben. So hielt er ihr vor, sie habe von einer russischen Bank aus dem Umfeld von Präsident Wladimir Putin im Jahr 2015 einen Millionenkredit erhalten. Das sei wohl die Belohnung dafür gewesen, dass Le Pen zuvor die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim anerkannt habe. "Frau Le Pen, Sie sind von der russischen Staatsführung abhängig", erklärte der Staatschef mit Nachdruck. Damit verband er ungesagt die Frage, wie Le Pen Präsidentin Frankreichs werden wolle, wenn sie den Kredit nicht zurückbezahlt habe und damit bei Putin nach wie vor in der Schuld stehe.

Le Pen verteidigte sich, sie habe im "Ausland" einen Kredit aufnehmen müssen, weil keine französische Bank ihren Wahlkampf finanzieren wollte. "Ich bin eine völlig freie Frau", erklärte sie weiter. Macron habe Putin nach der Krim-Annexion seinerseits in Versailles und sogar in seiner Sommerresidenz an der Côte d'Azur empfangen. Macron unterbrach sie mit der Feststellung, viele ihrer Stellungnahmen im Ukraine-Krieg erklärten sich durch ihre Abhängigkeit von Russland.

Le Pen gegen Deutschland

In der Europafrage warf Macron Le Pen vor, sie arbeite im Verdeckten auf den Ausstieg Frankreichs aus der EU hin; der deutsch-französischen Kernbeziehung wolle sie ein Ende bereiten. Le Pen stellte das nicht in Abrede. Bilaterale Rüstungsprojekte will sie aufkünden.

Beherrscht wurde die Debatte vom Thema Kaufkraft. Le Pen benützte es, um sich in der fast dreistündigen Diskussion regelmäßig als Vertreterin des verarmenden Volkes auszugeben. Das Reizthema Immigration und Islamismus kam erst nach 23 Uhr aufs Tapet, als viele Zuschauer ihr Fernsehgerät bereits abgeschaltet hatten. Als Le Pen erklärte, sie sei für ein Verbot des islamischen Kopftuchs auf der Straße, erklärte Macron dies für unmöglich: "Frankreich wäre das erste Land der Welt, das ein Kopftuchverbot einführen würde." Wenn Le Pen dieses Verbot durchziehe, löse sie damit einen "Bürgerkrieg" aus.

Kein Sieger in der Presse, aber in Umfragen

Die französischen Medien kommentierten am Donnerstag, die Debatte sei inhaltlich hochstehend gewesen, ohne je auszuarten. Die Gretchenfrage, wer das Duell gewonnen habe, wurde nicht unisono beantwortet. Mehrere Pressestimmen sprachen von einer "eher ausgeglichenen Debatte". Laut dem Chefkommentator des Radiosenders France-Inter, Thomas Legrand, gab es "keinen Sieger". Macrons lässige Entspanntheit habe fast arrogant gewirkt; Le Pen sei dafür so versessen auf ihre präsidiale Statur gewesen, dass sie ganz vergessen habe, Macrons Schwachstellen anzugreifen.

In einer Blitzumfrage kürten 59 Prozent der Befragten Macron zum Sieger, 39 Prozent Le Pen. Unbestritten ist, dass die Herausforderin bedeutend besser abschnitt als bei ihrem Fiasko vor fünf Jahren. Ihr zweites Duell gegen Macron war schon insofern ein Erfolg für sie, als sie sich keine eklatante Blöße gab. Auch der zivilisierte Umgangston nützte eher ihr. Denn trotz ihrer Herkunft aus dem rechtsextremen Front National konnte sich Le Pen als gesittete, rundum normale Kandidatin inszenieren. Das TV-Duell war so ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Banalisierung ihrer Ideen und ihrer Person. Auf dem Weg in den Élysée-Palast hat Le Pen am Mittwochabend die vorletzte Stufe genommen. Die letzte wartet am Sonntag im zweiten Wahlgang. (Stefan Brändle aus Paris, 21.4.2022)