Die Kuh wird oft als Klimakillerin dargestellt. Dabei kann sie auch dazu beitragen, dass Böden CO2 speichern.

Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Das Rind hat in Zeiten der Klimakrise einen miesen Ruf. Denn es furzt und rülpst Methan aus – ein Gas, das langfristig 28-mal, kurzfristig sogar 80-mal klimaschädlicher ist als CO2. Fast ein Sechstel der globalen Treibhausgasemissionen entfallen auf die Viehwirtschaft, ein großer Teil davon wiederum kommt von der fast eine Milliarde Rinder, die es weltweit gibt. Auch siebzig Prozent der Amazonas-Regenwald-Rodungen gehen auf das Konto der Kühe.

Weniger der Tiere, so die simple Schlussfolgerung, bedeute eine bessere CO2-Bilanz. Einige Forschende entgegnen jedoch: Wir brauchen noch mehr Rinder. Richtig gehalten und gefüttert, könnten sie helfen, die Landwirtschaft an die Folgen der Klimakrise an zupassen.

"Es gibt viel zu wenige Weiderinder", ist Nutztierwissenschafter Manuel Winter überzeugt. Er forscht an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein an einer Weidestrategie namens Mob-Grazing. Dabei bekommt eine große Herde mehrere kleine Flächen täglich zu fressen. "Auf einen Hektar kommen hundert Tonnen Vieh", rechnet Winter hoch. "Allerdings nur für wenige Stunden." Die Kühe fressen einen Teil der Gräser ab und treten den Rest davon als Mulchschicht nieder. Diese schützt den Boden davor, auszutrocknen oder zu erodieren. Die Gräser können zudem tiefere Feinwurzeln ausbilden, an denen Regenwasser abfließen kann. Feinwurzeln helfen auch, Humus aufzubauen, welcher wiederum Wasser speichert und es in Dürrezeiten an die Pflanzen abgibt. In den weiten Flächen der USA, Argentiniens und Uruguays verbreitet sich Mob-Grazing immer mehr.

Fruchtbar durch Trampeln

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Riesige Herden etwa von Bisons oder Auerochsen verwandelten zum Beispiel die Böden der südamerikanischen Pampas, der nordamerikanischen Prärien, der heute chinesischen und mongolischen Mandschurei oder des Weinviertels in die fruchtbarsten der Erde.

"Gräser und Weidetiere entwickelten sich über Millionen Jahren in Ko-Evolution", erklärt Anita Idel. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich die Tierärztin und Agrarwissenschafterin mit dem Thema, 2010 erläuterte Idel in ihrem Buch Die Kuh ist kein Klimakiller, warum das Rind seinen schlechten Ruf nicht verdient. "Gräser sind die erfolgreichste Pflanzengesellschaft. Andere Pflanzen wehren sich mit Stacheln, Dornen oder Bitterstoffen dagegen, von Weidetieren abgebissen zu werden. Gräser hingegen bekommen dadurch einen Wachstumsimpuls, das bedeutet auch mehr Photosynthese", sagt Idel. Außerdem bilden sie Feinwurzeln. Verrotten diese, entsteht Humus, der zu 58 Prozent aus Kohlenstoff besteht. Dadurch speichern nachhaltig beweidete Böden Kohlenstoff ein. Beißt das Rind den Halm aber zu kurz ab, bildet das Gras seine Feinwurzeln wieder zurück. Deren Energie steckt es dann in die oberirdische Blattmasse, so Idel.

Zehn Milliarden Tonnen CO2 weniger

70 Prozent der globalen Graslandschaften sind bereits degradiert. Rinder könnten nicht nur sie gesund, sondern sogar Wüsten wieder fruchtbar machen, propagiert der simbabwische Viehzüchter und Ökologe Allan Savory. "Holistic Planned Grazing" nennt er seine Methode, mit der das natürliche Weideverhalten von Herden nachgestellt wird. Fast 16 Millionen Hektar werden weltweit so beweidet.

Würde man seine Methode auf fünf Milliarden Hektar anwenden, könnte man mindestens zehn Gigatonnen atmosphärischen Kohlenstoff einspeichern, so Savory. Dazu brauchte es allerdings viel mehr Rinder.

70 Prozent der globalen Graslandschaften sind bereits degradiert.
Foto: AFP/PHILIPPE DESMAZES

Kritiker entgegnen: Savory habe nicht ausreichend valide Daten, mehr Rinder bedeute nicht gleich mehr Klimaschutz. Trotz der Kritik hat Allan Savory geholfen, Graslandschaften als Kohlenstoffsenken in den Fokus zu rücken. Ihr Potenzial ist ebenso enorm wie unerkannt. "Weltweit speichern die Böden von Graslandökosystemen um die Hälfte mehr Kohlenstoff ein als Waldböden", sagt Anita Idel. Doch Statistiken unterschieden häufig nicht zwischen Dauergrünland und Mooren. Dabei geht das Potenzial des Graslandes unter: Denn entwässerte Moore sind massive Treibhausgasquellen.

Gras bis zu den Ohren

In Österreich gibt es 1,3 Millionen Hektar sogenanntes Dauergrünland, mehr als die Hälfte davon besteht aus Mähweiden oder -wiesen. Nicht überall macht eine Umstellung der Beweidung Sinn, erklärt Manuel Winter. Wichtig seien vor allem jene Regionen, in denen kaum noch Vieh gehalten wird. So brauche etwa die Region Marchfeld dringend Wiederkäuer.

Dasselbe gilt für das nördliche Burgenland, wo Viehwirtschaft nur eine marginale Rolle spielt. Dort, genauer in Neudorf bei Parndorf, eröffnet sich Spaziergängern im Frühling und Sommer ein ungewöhnlicher Anblick. Eine Mutterkuhherde, bestehend aus 26 hellbraunen Aubrac-Rindern, grast hinter dem dünnen Elektrozaun. Den Kühen wachsen die Ackergräser bis zu den Ohren hoch, die Kälbchen scheinen darin zu versinken. Die kleine Herde gehört Georg Prantl: Pionier der nachhaltigen Weidewirtschaft in seiner Region.

Kuh hält Boden kühl und fruchtbar

"Betriebsziel war, die Wiederkäuer in die Fruchtfolge zu integrieren", erklärt Prantl sein Weidekonzept. Biolandwirte wie er sind seit Ende des Jahres laut EU-Bio-Verordnung verpflichtet, Pflanzenfresser weiden zu lassen, "wenn immer es die Umstände gestatten".

Auf Prantls Hof gibt es allerdings keine Weiden, sondern nur Ackerflächen. Auf diesen wachsen laufend neben Ölkürbis, Speisehafer und Speisesoja auch sogenannte Untersaaten, Begrünungen und Zwischenfrüchte, welche die Rinder abfressen. Die kleine Herde grast jeweils einen Tag auf einer rund zehn mal sechzig Meter kleinen Parzelle. Sie macht dem Ackerbau keine Konkurrenz, sondern hilft indirekt, mehr Lebensmittel zu produzieren. Denn was die Herde nicht frisst, tritt sie nieder. Dadurch entsteht Mulch, der den Boden kühl hält, und die wertvollen Feinwurzeln. Damit das System funktioniert, braucht es eine angepasste Mischung aus Klee und Gräsern und laufende Evaluation.

Landwirt Georg Prantl lässt seine Rinder täglich auf einer anderen Parzelle grasen. Der Boden wird dadurch fruchtbarer, ertragreicher – und speichert mehr CO2.
Foto: Georg Prantl

Das Fleisch der Rinder vermarktet Prantl direkt, die weiblichen Kühe behält er zur Aufzucht. Kraftfutter bekommen die Tiere nicht, nur drei Monate im Winter gibt es Heu. Dadurch ist er unabhängiger von schwankenden Weltmarktpreisen für Weizen, Soja oder Düngemittel, die Region bekommt heimisches Fleisch und Feldfrüchte. Eine Win-win-Situation, meint der Biolandwirt.

So viel Potenzial es auch gibt, in den Mägen österreichischer Rinder entstehen immer noch fünf Prozent der heimischen Treibhausgasemissionen. Auch das könnte sich durch nachhaltige Beweidung ändern, meint Anita Idel. Sie kritisiert: Grundfutter vieler Rinder ist Silage, die nur aus wenigen Gräserarten besteht. Mikroorganismen im Rindermagen bauen sie ab – und bilden dabei Methan.

Versuche mit Algen und Zitronengras

Schon in den 1970er-Jahren forschte man deshalb mit gentechnisch manipulierten Mikroorganismen, erfolgreich allerdings nur im Labor. Fressen Rinder Kraftfutter aus Mais oder Soja, ist der Methanausstoß zwar geringer. "Dadurch konkurriert das Rind aber mit dem Menschen um Nahrung und Ackerflächen", kritisiert Anita Idel. Auch setzt die Kraftfutterkost mehr CO2 und klimaschädliches Lachgas frei, was die Methan-Einsparung teilweise wieder zunichtemacht. In Studien bekommen Rinder deshalb versuchsweise auch Algen oder Zitronengras zu fressen, was die Klimabilanz weiter drücken soll.

Dabei wäre es viel einfacher, meint Idel. Man müsse zurück zu den Wurzeln. "Grasen Rinder eine diverse Mischung aus Gräsern, Kräutern und Leguminosen, sinkt deren Methanausstoß so sehr, dass es die Wissenschaft regelrecht erstaunt", sagt die Tierärztin. Eine Studie zeigt: Würden Rinder auf diversen Wiesen grasen, statt Kraftfutter zu fressen, stießen sie bis zu 40 Prozent weniger Treibhausgase aus.

Rinder grasen zu lassen könnte auch die Biodiversität steigern. Denn im Pansen der Kuh entsteht neben Methan auch Dung – eine Kinderstube für Insektenlarven. "Eine Kuh produziert durch ihren Dung etwa hundert Kilo Biomasse an Insekten", erklärt Manuel Winter. Insekten wiederum ziehen Vögel an. Seit in den Auen rund um das niederösterreichische Marchegg Konik-Pferde grasen, brüten dort Störche mehr Eier aus, wie man mit einer Studie herausgefunden hat. Ähnliche Erkenntnisse gibt es auch mit Rindern.

Trotz der genannten Vorteile werden die Effekte von nachhaltigem Weidemanagement auf die Biodiversität, das Kohlenstoffeinspeicherungspotenzial und den Methanausstoß von Rindern noch nicht ausreichend wahrgenommen, meint Anita Idel.

Guter Boden entscheidet

Und doch tut sich langsam etwas in der Agrarwissenschaft: In Deutschland forscht etwa die Christian-Albrechts-Universität in Kiel an nachhaltigen Weidesystemen wie Mob Grazing. In Österreich ist die HBLFA Raumberg-Gumpenstein Vorreiter. Deren Mitarbeiter Manuel Winter holte sich viel seines Wissens aus Übersee, er arbeite im Sommer bei auf Mob Grazing spezialisierten Rinderfarmen in Kanada, Uruguay und Argentinien mit. Heute wird seine Auftragsliste immer länger. Viele Landwirte, die ihn als Berater anfragen, spüren die Auswirkungen der Klimakrise.

Im Vorjahr verursachte die Dürre massive Ernteausfälle, der März 2022 war der trockenste seit 80 Jahren. Guter Boden könnte über das Überleben von Betrieben entscheiden. Dennoch hören angehende Landwirte an der Fachschule wenig über nachhaltiges Weidemanagement. Auch Biolandwirt Georg Prantl musste eigeninitiativ werden, Hofbesuche organisieren, Fachbücher lesen, Kurse besuchen. Eine Notwendigkeit, meint er. Denn auf der Parndorfer Platte, wo Prantls Äcker liegen, fallen nur rund 600 Millimeter Niederschlag im Jahr.

"Wir merken seit Jahren, dass wir Probleme mit der Wasserhaltefähigkeit des Bodens haben", sagt auch Josef Schwarzenberger. Sein Hof steht allerdings nicht im trockenen Osten, sondern in Seekirchen am Wallersee im regenreichen Salzburger Flachgau. Die 18 Pinzgauer Milchkühe des Biolandwirts grasen dieses Jahr das erste Mal im Mob-Grazing-Verfahren. Dafür hat der 33-Jährige eine Wiese in Koppeln von weniger als einen Hektar aufgeteilt.

Dort sollen die Tiere jeweils einen Tag lang grasen, bevor sie weiterwandern. Die Mehrarbeit des Ein- und Umzäunens der Koppeln wird sich lohnen, meint Schwarzenberger. Er denkt langfristig, will seine Böden mulchen und langfristig Humus aufbauen. Das wird wichtig werden, wenn die Folgen der Klimakrise – Dürre und Starkregen – auch den Flachgau stärker treffen. "Die Dürreperioden werden immer länger. Wenn es regnet, regnet es stark", sagt Schwarzenberger, der das Phänomen bereits seit drei Jahren beobachtet.

Josef Schwarzenberger und Georg Prantl sind Jungväter. Sie beide wollen ihre Böden auch für ihre Nachfahren produktiv erhalten. "Ich möchte meinen Betrieb einmal an die nächste Generation weitergeben. Dazu muss ich mich spezialisieren, klimafitter und unabhängiger werden", erklärt Prantl. Dabei helfen ihm seine 26 Aubrac-Rinder, die auf den Äckern grasen. Hielte man die Rinder richtig, ist der Biolandwirt überzeugt, seien sie keine Klimakiller, sondern Komplizen im Kampf gegen die Klimakrise. (Laura Anninger, 25.4.2022)