Mit einer Informationskampagne möchte Justizministerin Alma Zadić das Bewusstsein für die neuen Rechtsmittel stärken.

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Als das Gesetzespaket gegen Hass im Netz im September 2020 von Justizministerin Alma Zadić (Grüne) präsentiert wurde, sorgte dies für viel Aufsehen. Endlich sollten vor allem Frauen einen angemessenen Schutz gegen Angriffe im Web erhalten. Nun, im Frühjahr 2022, macht sich Ernüchterung breit. Denn aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch Zadić geht hervor, dass die entsprechenden Rechtsmittel nicht einmal annähernd so stark genutzt werden, wie ursprünglich intendiert wurde.

Nur 65 Personen machten bisher von der Möglichkeit Gebrauch, anonyme Täter von Behörden ausforschen zu lassen. Die Möglichkeit, Ansprüche über ein Mandatsverfahren niederschwellig via Formular bei Bezirksgerichten geltend zu machen, hatte bei den Gerichten ursprünglich Sorgen bezüglich einer schier unbewältigbaren Flut von Verfahren ausgelöst – diese Bedenken waren wohl unbegründet, wenn man sich die aktuellen Zahlen ansieht.

11.500 statt drei Millionen Euro

Von den insgesamt über drei Millionen Euro Budget für die psychosoziale Prozessbegleitung wurden insgesamt nur knapp 11.500 Euro genutzt. Lediglich 16 Personen nahmen dieses Angebot in Anspruch – und bei genauer Betrachtung dieser Anfrage fällt gar auf, dass knapp die Hälfte dieser 16 Personen männlich war.

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"Im Bereich des Opferschutzes blieben die Fälle von Prozessbegleitung bei Hass-im-Netz-Delikten bislang noch hinter den Erwartungen zurück", heißt es dazu offen in der parlamentarischen Anfrage. Auch auf direkte Anfrage des STANDARD heißt es aus dem Justizministerium, dass das Gesetzespaket ein "wichtiger Meilenstein" sei, die Maßnahmen aber erst zu greifen beginnen und es "noch weiterer Sensibilisierungsarbeit" bedarf.

Dementsprechend startet man im ersten Halbjahr 2022 eine Informationskampagne, um vor allem das Angebot psychosozialer und juristischer Prozessberatung bekannter zu machen. "Personen, die Opfer von Hass im Netz geworden sind, sollen wissen, dass sie in Österreich kostenfreie Prozessbegleitung in Anspruch nehmen können und wo sie Informationen zur Inanspruchnahme erhalten", heißt es aus dem Ministerium.

Materielles vs. geltendes Recht

Doch reichen Informationskampagnen aus, oder muss man noch weiter an der Wurzel ansetzen? Denn das Thema ist weniger eines des materiellen Rechts ("was gilt"), sondern vielmehr des geltenden Rechts, wie Nikolaus Forgó, Institutsvorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien, erläutert: Es ist für Betroffene schlicht ein zu großer Aufwand, sich zur Wehr zu setzen, in jedem Einzelfall irgendwohin zu gehen und eine strafrechtliche Verfolgung von jemandem einzumahnen, den man nicht oder kaum kennt.

Die Verdrängung der Thematik von Hass im Netz scheitere weniger an der vermeintlichen Anonymität im gefühlt "rechtsfreien Raum", als an der Mischung aus wehrlosen Opfern, die nicht die Energie haben, sich zu wehren, und einem insgesamt verrohten Umgangston mit vielen Grenzfällen, die auszustreiten in vielen Fällen schlichtweg zu aufwendig erscheint, so der Experte.

Eine Frage der Expertise

Doch das Problem liegt auch in System selbst, wie Anwältin Maria Windhager ergänzt. Sie vertrat unter anderem Eva Glawischnig in der Klage rund um ein Hassposting auf Facebook und vertritt auch den STANDARD in medienrechtlichen Angelegenheiten. Unter anderem ist laut Windhager unklar, welche Anforderungen an die juristische und die psychosoziale Prozessbegleitung gestellt werden – denn hier braucht es eine Fachexpertise, die längst nicht bei allen Juristinnen und Juristen vorhanden ist.

Zudem nennt sie andere Fälle, in denen schlichtweg ineffizient agiert wird. Stellt eine betroffene Person etwa bei Gericht einen Antrag auf die Ausforschung von Personen hinter Pseudonymen, so liegen diese Anträge teils monatelang unbearbeitet herum – bis dahin kann der Täter seine Spuren längst verwischt haben.

"Wie das Schwarze unter dem Fingernagel"

Wieder an anderer Stelle fehlt die Awareness der Richter. So soll es bereits vorgekommen sein, dass diese gerade in ländlichen Regionen anmerkten, sie bräuchten das frisch hereingekommene Hass-im-Netz-Verfahren so sehr "wie das Schwarze unter dem Fingernagel". Da es bei den Verfahren meist nicht um Leib und Leben geht, fehlt das entsprechende Bewusstsein für die Grenzüberschreitung.

Summa summarum lässt sich sagen: Es braucht mehr Information und Ausbildung – und zwar nicht nur in der Bevölkerung selbst, sondern im gesamten System. Und noch eine Sache zeigt die parlamentarische Anfrage deutlich, da sind sich Windhager und Forgó einig: Zumal Zadić auf einige Fragen nicht konkret antworten konnte, da das entsprechende Datenmaterial fehlte, braucht es dringend eine weitere Digitalisierung der Justiz und eine darauf aufbauende Empirie. Denn nur wenn man weiß, wo der Fehler liegt, kann man diesen auch ausbessern. (Stefan Mey, 21.4.2022)