16 Jahre von Tür zu Tür in Sachen Rundfunkgebühr: Alexander Hirschbeck (40) wurde nach 22 Jahren bei der ORF-Gebührentochter GIS mit Jänner ihr Geschäftsführer.

Foto: Robert Newald

Wien – Alexander Hirschbeck (40) ist seit Jahresbeginn dafür verantwortlich, dass sich der öffentlich-rechtliche ORF sein Programm und seine rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Generaldirektor abwärts leisten kann. An die 700 Millionen Euro sollte die GIS 2022 nach der jüngsten Gebührenerhöhung pro Jahr an ihren Mutterkonzern ORF überweisen, rund 300 weitere über Abgaben an Bund und Länder.

GIS vor Verfassungsgericht

Bisher erspart sich die – je nach Landesabgaben unterschiedlich – 22,45 bis 28,65 Euro im Monat, wer kein empfangsbereites Rundfunkgerät daheim hat und TV und Radio nur streamt. Der ORF hat den Verfassungsgerichtshof angerufen, ob die Unterscheidung dem Gleichheitsgrundsatz entspricht. Mit einer Entscheidung ist im Herbst zu rechnen.

Hirschbeck sorgt schon länger für die Finanzierung des ORF: 16 Jahre ging er für die GIS im Außendienst von Tür zu Tür, um über die Gebührenpflicht, wie die GIS sagt, zu informieren. Seit 2016 leitete der Steirer den Außendienst. Seit 1. Jänner ist er Geschäftsführer der GIS neben dem für Finanzen zuständigen Christian Kerschbaumsteiner – mit großen Hoffnungen in den Verfassungsgerichtshof in Sachen Streaming.

"63 Prozent des ORF-Budgets sind riesige Verantwortung"

STANDARD: Sie sind seit Jahresbeginn Geschäftsführer der GIS, verantwortlich für die wichtigste Einnahmequelle des gesamten ORF. Wie trägt sich die Verantwortung?

Hirschbeck: Je häufiger ich das gefragt werde, wird die Last ein bisschen größer (lacht). Natürlich sind 63 Prozent des ORF-Budgets eine riesige Verantwortung.

STANDARD: Warum tut man sich das an? Wenn man zugleich von den Kunden vermutlich wenig Freundliches hört ...

Hirschbeck: Ich muss wahrscheinlich nicht erklären, dass ich die unabhängige Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sehr wichtig finde. Ich arbeite seit 22 Jahren für die GIS, habe im Außendienst in der Steiermark angefangen, zuletzt den Außendienst geleitet. Jetzt habe ich die Gelegenheit, die Verantwortung als Geschäftsführer zu übernehmen, gerne wahrgenommen.

STANDARD: Wie erklärt man den Menschen da draußen, dass sie für Rundfunkempfang, de facto für den ORF, GIS bezahlen sollen?

Hirschbeck: Wir lesen natürlich auch negative Stimmen – etwa in den Postings auf derStandard.at/Etat. Die Realität unterscheidet sich davon. Natürlich hört man Kritik, wenn man von Tür zu Tür geht – was ich 16 Jahre gemacht habe. Aber: In gefühlten neun von zehn Fällen nehmen es die Menschen mit Humor und sagen: Okay, jetzt haben Sie mich erwischt. Oder: Gut, dass Sie da sind, wie geht das jetzt. Oder: Wie bekommt man eine Befreiung? – Auch da unterstützen meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Oft geht man auch positiv aus so einem Gespräch heraus.

STANDARD: Wie viele sogenannte Schwarzseherinnen gibt es denn?

Hirschbeck: Ich traue mir dazu keine Zahl zu. Aber wir haben im Moment 3,65 Millionen angemeldete Standorte, inklusive Firmen. Die Zahlen haben sich über die Jahre gesteigert, jetzt sind wir auf einem sehr hohen Niveau.

STANDARD: Warum keine Schwarzseherquote mehr?

Hirschbeck: Wir können oft Leerstand nicht beurteilen. Wir können nicht beurteilen, ob Menschen tatsächlich keine Rundfunkempfangsgeräte haben, die sagen, sie streamen nur. Wir schauen nicht in Häuser oder Wohnungen hinein.

Wir sehen uns nicht als Kontrollore, sondern als Informationsdienstleister.

STANDARD: Dürfen Sie auch nicht.

Hirschbeck: Stimmt, und wir tun es derzeit auch pandemiebedingt nicht, wenn wir hineingebeten werden. Wir sehen uns nicht als Kontrollore, sondern als Informationsdienstleister. Man fragt, redet das aus, macht eine Anmeldung, und die Angelegenheit ist erledigt. Aber es gibt auch Menschen, die sagen: Gut, dass Sie da sind, schauen Sie nach, ich habe wirklich keine Empfangsgeräte. Da gibt es natürlich auch Überraschungen – etwa einen großen Fernseher.

STANDARD: Was sagen Sie als GIS-Vertreter jemandem, der beharrlich argumentiert: Ich schaue nicht ORF, warum soll ich zahlen?

Hirschbeck: Wir berufen uns auf das Gesetz, das GIS-Gebühr für empfangsbereite, stationäre Rundfunkgeräte vorsieht. Natürlich ist es leichter, jemanden zu überzeugen, wenn er oder sie dafür etwas Zusätzliches bekommt – und man nicht Entgelt für etwas einfordern muss, das die Person schon bisher nutzen kann. Aber wir können uns im Außendienst nicht auf Diskussionen einlassen, warum der ORF diese oder jene Filme bringt oder nicht, diese oder jene Sportereignisse zeigt oder nicht. Das ist nicht unsere Aufgabe.

STANDARD: Ein Anbieter von Streamingmonitoren hat Ihre Mitarbeiter in einem Spot auf Tiktok, vorsichtig formuliert, als Volldodel dargestellt. Lassen Sie sich das so einfach gefallen?

Hirschbeck: Das Ziel ist natürlich Aufmerksamkeit, und den Gefallen weiterer Aufmerksamkeit, etwa durch rechtliche Schritte, wollen wir dem Anbieter nicht tun. Sie können davon ausgehen, dass meine Mitarbeiterinnen sehr gut geschult sind und sehr firm in den gesetzlichen Vorgaben.

Da wird es schwierig mit der Aufkommensgerechtigkeit.

STANDARD: Der Hintergrund dieses Geschäftsmodells mit TV-Geräten ohne TV-Empfangsteil: 2015 hat der Verwaltungsgerichtshof entschieden: GIS fällt laut Gesetz auf Rundfunk an, Streaming ist kein Rundfunk – und damit nicht gebührenpflichtig.

Hirschbeck: Damit stehen wir vor einer unfairen Situation: Ein Haushalt schaut die "Zeit im Bild" über Satellit, Kabel oder Antenne und muss dafür GIS zahlen. Der Nachbarhaushalt schaut die "ZiB" zeitgleich über die TVthek, hat keinen Fernseher und kein Radio – und muss nicht GIS zahlen. Da wird es schwierig mit der Aufkommensgerechtigkeit.

STANDARD: Ich könnte auch einen Fernseher haben und keine Sekunde ORF-Programm schauen und muss GIS zahlen – das zu zwei Dritteln als Programmentgelt an den ORF geht. Und ich kann ohne Fernseher ORF-Programme streamen und brauche keine GIS zu zahlen.

Hirschbeck: Das ist natürlich absurd, und es macht's uns nicht wirklich einfach. Ich bin nicht sicher, ob der Verwaltungsgerichtshof heute so entscheiden würde, wo die Streamingnutzung derart zugenommen hat – aber ich bin kein Jurist. Ich gehe davon aus, dass die Streamingnutzung noch wesentlich zunehmen wird.

Derzeit ist eine Schräglage im System.

STANDARD: Nun liegt die Frage ohnehin beim Verfassungsgerichtshof – der ORF wüsste gerne von diesem Höchstgericht, ob diese GIS-Unterscheidung zwischen Rundfunk und Streaming dem Gleichheitsgrundsatz entspricht. In der Frühjahrssitzung des Verfassungsgerichts wurde es aber offenbar nichts mit einer Entscheidung, Sie müssen wohl bis Herbst warten.

Hirschbeck: So höre ich das jedenfalls. Aber das ist ein laufendes Verfahren. Derzeit ist eine Schräglage im System.

STANDARD: Im Jänner und Februar 2022 gab es ungewöhnlich viele Abmeldungen, mehr als bei den vorangegangenen Gebührenerhöhungen. Die Entwicklung hat den ORF-Stiftungsrat beschäftigt. Haben Sie schon eine Erklärung?

Hirschbeck: Gebührenerhöhungen führen immer zu höheren Abmeldungen, aber das erklärt diese Entwicklung nicht ganz. Wir sind in der Analyse, gehen den Abmeldungen nach. Was wir schon wissen: Die Zahl der Gebührenzahler ist auf einem sehr hohen Niveau, da geht es nicht mehr viel weiter nach oben. Schwankungen von 10.000 im Monat bei insgesamt 3,65 Millionen sind ein geringer Anteil – aber natürlich ernst zu nehmen. Auch die Pandemie kann eine Rolle gespielt haben.

Wir haben während Corona den Außendienst ausgesetzt, das haben wir schon in den Zahlen gespürt.

STANDARD: Inwiefern?

Hirschbeck: In Lockdowns zogen die Menschen weniger um – danach steigen die Umzugszahlen wieder, und nicht immer denkt man daran, gleich die GIS neu anzumelden. Dazu kommen die Todesfälle durch Corona. Und wir haben den Außendienst ausgesetzt, das haben wir schon in den Zahlen gespürt.

STANDARD: Hat sich der Trend der Abmeldungen nach Februar fortgesetzt?

Hirschbeck: Im März haben wir deutlich höhere Anmeldungen, die zweitmeisten seit 2010.

STANDARD: Nach dem Motto: Jö, es gibt eine GIS-Gebührenerhöhung, da möchte ich dabei sein?

Hirschbeck: Eher nicht. Das kann etwa auf wieder mehr Umzüge und damit mehr Neuanmeldungen zurückzuführen sein.

STANDARD: Wiegen sie die Abmeldungen grob auf?

Hirschbeck: Anmeldungen wie Abmeldungen waren im März sehr stark, aber ein kleines Minus von rund 1.000 gibt es noch in Summe. Eine Steigerung ist derzeit nicht drinnen. Aber das kann im April schon wieder anders aussehen.

STANDARD: Wie erklärt man den Menschen, wenn das kommt, dass sie für webbasierte Nutzung, für Streaming auch zahlen sollen?

Hirschbeck: Wie man es bisher erklärt – ein Entgelt für ein Angebot, dann auch für diesen technischen Zugang.

STANDARD: Wie viel bringt es eigentlich dem ORF, wenn Streaming gebührenpflichtig würde?

Hirschbeck: Das ist schwer zu beziffern. Wenn GIS für Streaming kommt, können wir die Entwicklung der Zahl der Gebührenstandorte in den vergangenen Jahren fortschreiben.

Da wird es Zeit für eine Klärung.

STANDARD: Soll heißen: Die steigende Linie zum aktuellen Stand von 3,65 Millionen Zahlenden würde andernfalls auf Sicht spürbar zurückgehen, Sie würden merkbar Zahlende verlieren? Und der ORF dann Gebühreneinnahmen, die nach der Gebührenerhöhung im März 700 Millionen Euro erreichen dürften bei einer Milliarde Gesamtbudget.

Hirschbeck: Ohne diese Maßnahme würde die Zahl der Zahlenden wahrscheinlich zurückgehen. Wenn das Zukunftsszenario stimmt, dass immer mehr Menschen Audio und Video über Streaming nutzen, dann wird das schwierig. Da wird es Zeit für eine Klärung.

STANDARD: Deutschland und die Schweiz haben statt der Rundfunkgebühr eine Haushaltsabgabe – grob gesagt: Jeder Haushalt, unabhängig von Empfangs- und Nutzungsmöglichkeiten, zahlt für das öffentlich-rechtliche Angebot, wenn er nicht aus sozialen oder sonstigen Gründen davon befreit ist. Würde ein solches Modell Ihre Arbeit erleichtern? Sie bräuchten dann womöglich 100 Außendienstmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht mehr, die von Tür zu Tür gehen.

Hirschbeck: Das liegt natürlich an der konkreten Regelung einer solchen Abgabe. Den Außendienst bräuchte man vielleicht nicht mehr in dieser Dimension. Aber wir bräuchten weiterhin ein Callcenter, um die vielen Fragen, etwa zu Vorschreibungen, zu beantworten. Wir brauchen weiterhin IT. Wir müssten weiterhin die Befreiungen managen – und das sind derzeit 400.000 Anträge pro Jahr für die GIS und 100.000 weitere für Befreiungen und Zuschüsse für Telekom und Strom, die wir für die Republik abwickeln.

STANDARD: Private Medienhäuser und der ORF arbeiten an einem gemeinsamen Login für Onlineangebote. Würde es Ihnen in Ihrer Arbeit helfen, wenn etwa ein Teil der ORF-Onlineangebote nur noch mit einem GIS-Zugangscode zugänglich wäre?

Hirschbeck: Das kann ich nicht abschätzen. Es wäre jedenfalls eine zusätzliche Aufgabe für die GIS, diesen Code bereitzustellen.

STANDARD: Neben dem vom ORF betriebenen Verfahren beim Verfassungsgerichthof läuft schon eine Weile eine Sammelklage gegen die Umsatzsteuer auf die GIS, da hat der Verwaltungsgerichtshof gerade den EU-Gerichtshof um rechtliche Klärung ersucht. Die müsste, im Fall des Falles, der Bund zurückzahlen.

Hirschbeck: Die Umsatzsteuer führen wir an den Bund ab, klar.

STANDARD: Geht die Klage durch, würde der ORF aber die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs verlieren, das dürfte in relevante Millionenbeträge gehen.

Hirschbeck: Das ist eine Frage an den ORF, nicht an die GIS.

STANDARD: Was haben Sie sich eigentlich als neuer GIS-Geschäftsführer vorgenommen?

Hirschbeck: Unsere Kernaufgabe ist unser Beitrag zur Finanzierung des ORF, wesentlich ist auch die gesellschaftliche Aufgabe, Gebührenbefreiungen zu organisieren. Ich habe die Geschäftsführung eines Unternehmens übernommen, das effizient und professionell geführt ist – so soll es natürlich bleiben. Wir bemühen uns weiterhin um bestmögliche Lösungen, unsere internen Prozesse zu optimieren, und gewährleisten Datensicherheit auf höchstem Standard. Und ich will die GIS besser positionieren, einerseits als Servicedienstleister für die Gebührenzahlerinnen und -zahler, andererseits als attraktiven Arbeitgeber mit schon heute hoher Mitarbeiterzufriedenheit.

Ich würde selbst nicht hier sitzen nach 16 Jahren Außendienst, wenn das so schlimm wäre.

STANDARD: So schön wird das vermutlich nicht sein, im Außendienst oder im Callcenter grantigen Menschen zu erklären, warum sie jetzt GIS zahlen sollen oder wofür einen Säumniszuschlag.

Hirschbeck: Das sind natürlich keine einfachen Jobs. Aber ich würde selbst nicht hier sitzen nach 16 Jahren Außendienst, wenn das so schlimm wäre.

STANDARD: Und wie geht es Ihnen jetzt in Ihrer neuen Rolle als das Gesicht der GIS, für einige vermutlich eine Art Bad Guy.

Hirschbeck: Na ja, Bad Guy… Im STANDARD-Forum hat mich jemand als Sheriff von Sherwood Forest bezeichnet. Das muss man aushalten, wenn man bei der GIS arbeitet. Grundsätzlich verfügen wir über einen sehr hohen TeilnehmerInnen-Stand. Aber ich weiß natürlich auch, dass die GIS so etwas wie ein Katz-und-Maus-Spiel, etwa unter Studierenden, ist. Ich glaube, über die Jahre wächst das Verständnis, dass man ja für ein großes, wichtiges, sinnvolles Angebot zahlt – das nur sehr, sehr wenige Menschen in Österreich nicht nutzen. (Harald Fidler, 22.4.2022)