Rund eine Million pflegende Angehörige und sogenannte Schattenfamilien, die vulnerable Verwandte schützen müssen, fühlen sich isoliert und gegenüber Einrichtungen benachteiligt.

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Gleich als der Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bekannt gegeben hatte, dass es künftig nur mehr fünf PCR-Tests und fünf Antigen-Tests für alle in Österreich geben werde, hat Birgit Meinhard-Schiebel, die Präsidentin der Interessensgemeinschaft Pflegender Angehöriger, dem Ministerium Rauchs sowie der Gecko-Vorsitzenden Katharina Reich geschrieben, erzählt sie dem STANDARD.

Sie habe darauf hingewiesen, dass "Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, häufiger und am besten mit den früher im Infektionsverlauf reagierenden PCR-Tests testen müssten. Denn jene, die sie pflegen, brauchen genauso viel Schutz, wie jene, die in einer Einrichtung leben." Man laufe als pflegende Person, die ja auch draußen tätig ist, sonst Gefahr, asymptomatisch eine Infektion nach Hause zu tragen. Doch nach über einem Monat wartet sie immer noch auf eine Antwort.

Wartet vergeblich auf eine Reaktion des Gesundheits- und Sozialministers: die Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, Birgit Meinhard-Schiebel.
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"Ich habe wirklich keine einzige Reaktion darauf erhalten", sagt sie. Dabei seien von diesem Problem, "das bei vielen jetzt erst sickert, weil sie merken, dass sie nicht mehr ausreichend Tests zur Verfügung haben", nicht gerade wenige betroffen. 80 Prozent der Pflegebedürftigen in Österreich werden zu Hause gepflegt.

Systemerhaltende

"Und zwar von fast einer Million Menschen", sagt Meinhard-Schiebel, "das sind Menschen, die das System am Laufen halten und im Regen stehen gelassen werden." Eine Zahl, die sich die Vertreterin pflegender Angehöriger nicht aus dem Hut gezaubert hat. Vielmehr entstammt sie einer Studie, die das Gesundheitsministerium 2018 selbst in Auftrag gegeben hat. In besagtem Bericht mit dem Titel "Angehörigenpflege in Österreich – Einsicht in die Situation pflegender Angehöriger und in die Entwicklung informeller Pflegenetzwerke" ist die Rede von etwa 801.000, die zu Hause gepflegt werden, und weiterer 146.000, die im Bereich der stationären Langzeitpflege auf privater Basis in die Pflege und Betreuung eines anderen Menschen involviert seien. Das sind zusammen 947.000 Betroffene. Nicht berücksichtigt sind dabei rund 3,5 Prozent pflegende Kinder, das sind Minderjährige, die im Schnitt zwölf Jahre alt sind und sich bereits etwa um einen schwerkranken Elternteil kümmern. "Pflege brauchen nicht nur alte Menschen", betont Meinhard-Schiebel, "das wird zurzeit leider oft vergessen."

Als Rauch Mitte März verkündete, dass für vulnerable Settings weiterhin genügend Tests zur Verfügung stehen, meinte er Alten- und Pflegeheime. Jene 80 Prozent, die daheim gepflegt werden, meinte er nicht und erwähnte sie auch sonst nicht. "Wenn Sie etwa Verwandte im Heim haben, müssen Sie sich vor einem Besuch testen lassen", bringt es die gelernte Sozialmanagerin Meinhard-Schiebelauf den Punkt, "zu Hause gilt das nicht. Man hat sich nicht überlegt, welche langfristigen Auswirkungen das haben wird. Das wird man in ein paar Monaten sehen."

Schattenfamilie

Ingomar Gutmann ist nicht alt und pflegebedürftig, aber Teil einer sogenannten Schattenfamilie. Das sind Familien, in denen mindestens ein Mitglied vulnerabel ist und damit im Falle einer Corona-Infektion besonders gefährdet wäre. Wie DER STANDARD berichtete, hat der 37-jährige Physiker einen angeborenen Immundefekt und trotz fünffacher Impfung keinen ausreichenden Schutz. Seine Tochter, die bei ihm und der Mutter in Doppelresidenz wohnt, hat nicht mehr genügend PCR-Tests zur Verfügung, um die Volksschule, wo ab Montag auch überhaupt keine Masken mehr getragen werden, zu besuchen, ohne ihren Vater zu gefährden. "Ich habe vor Ostern bis ins Gesundheitsministerium telefoniert, niemand wollte mir helfen", erzählt Gutmann und fragt: "Sollen wir alle in ein Pflegeheim? Und wenn ja, gibt es denn genug Plätze für uns Hochrisikopatienten?" Gutmann pocht auch auf Inklusion: "Nicht jeder mit einer Behinderung sitzt im Rollstuhl, auch Immunerkrankte wollen am Leben teilnehmen. Doch man grenzt uns immer mehr aus."

Rauch: "Nicht umsetzbar"

Auf schriftliche STANDARD-Anfrage, wie und ob Gesundheits- und Sozialminister Rauch das Problem lösen will, hieß es am Donnerstag, mehr Tests "für einzelne Personen sind anders als für bestimmte Settings nicht umsetzbar". Auf eine mögliche Abwicklung über die E-Card von Betroffenen, die ein familiäres bzw. pflegendes Umfeld definieren könnten, ging man in dem Statement nicht ein. (Colette M. Schmidt, 21.4.2022)