Protest in New York gegen sexualisierte Kriegsgewalt in der Ukraine Anfang April. Diese Kriegsverbrechen sind besonders schwer zu ahnden – und vielen Betroffenen wird es verunmöglicht, darüber zu sprechen.

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Vergewaltigungen und sexualisierte Gewalt sind fester Bestandteil von Kriegen. Wladimir Putins Invasion der Ukraine ist hier keine Ausnahme. Derzeit häufen sich Hinweise und Berichte darüber. UN Women forderte kürzlich eine unabhängige Untersuchung dieser Kriegsverbrechen. Direktorin Sima Bahous wies auf eine "gefährliche Kombination aus Massenvertreibung und massiver Präsenz von Wehrpflichtigen und Söldnern" hin. Die litauische Regierungschefin Ingrida Šimonytë sagte nach ihrem Besuch in dem Kiewer Vorort Borodjanka, sie habe nur einen "winzigen Teil der Beweise für Kriegsverbrechen gesehen". Es gebe keine Worte, die beschreiben könnten, was sie dort "gesehen und gefühlt" habe. Litauen erwägt jetzt, ein Team für forensische Untersuchungen in die Ukraine zu schicken.

Kriegsverbrechen aufzuklären ist mitunter deshalb schwer, weil auch eine Systematik nachgewiesen werden muss. Bei sexualisierter Gewalt im Krieg kommen noch viele andere erschwerende Faktoren hinzu. "Scham, Angst vor Ausgrenzung oder einem schmerzhaften Aufbrechen traumatischer Erinnerungen" lässt Betroffene oft schweigen, heißt es vonseiten der NGO Medica Mondiale, die in Konfliktgebieten Frauen und Mädchen dabei unterstützt, Gewalt und Traumata zu verarbeiten. Die Organisation ist in verschiedensten Ländern im Einsatz, wo es zu gezielten Massenvergewaltigungen, Zwangsprostitution, Zwangsheirat und Menschenhandel gekommen ist.

Angriff auf soziales Gefüge

Die Systematik ist bei sexueller Gewalt schwer nachzuweisen, obwohl sexualisierte Kriegsgewalt durchaus organisiert erfolgt und Teil der Kriegsstrategie sein kann. In diesen Fällen wird von der militärischen Führung bewusst ein Klima erzeugt, in dem Soldaten ermutigt oder angehalten werden, Frauen zu vergewaltigen, so die Expertinnen von Medica Mondiale. Das Ziel von sexualisierter Kriegsgewalt ist nicht nur Verletzung, Demütigung und Entwürdigung der Frauen, sondern sie soll auch das soziale Gefüge der gegnerischen Kriegspartei zerstören, diese erniedrigen und zeigen, dass der Gegner "seine Frauen" nicht schützen könne. Wobei Männer im Krieg auch andere Männer und Buben vergewaltigen. Die Täter sind auch nicht nur Soldaten und Paramilitärs, sondern ebenso Polizisten, Zivilisten und Personal von Hilfsorganisationen. Somit kommt es laut Medica Mondiale in bewaffneten Konflikten auch durch die mit Kriegen einhergehenden Umstände zu vermehrter sexualisierter Gewalt. Die ansonsten bestehenden Schutzmechanismen fallen weg, und die öffentliche Sicherheit ist stark eingeschränkt, die Polizei im Kriegsgeschehen eingebunden.

Frauen, die in der Ukraine durch Vergewaltigungen schwanger wurden, stehen nun vor zusätzlichen Problemen: Sie sind aus einem Land geflüchtet, in dem sie eine Abtreibung bis zur zwölften Woche ohne Nachfragen und komplizierte Verfahren bekommen hätten. Im Nachbarland Polen hingegen, wohin zahlreiche Ukrainerinnen nun flüchten, gilt ein ausnehmend strenges Abtreibungsgesetz.

Keine Abtreibungen

Vergewaltigungen sind neben Inzest zwar die letzten bestehenden Ausnahmen für eine erlaubte Abtreibung. Ein Schwangerschaftsabbruch in Folge einer Vergewaltigung existiert in Polen aber praktisch schon seit 1993 nicht, sagen die Pro-Choice-Aktivistinnen des Vereins Ciocia Wienia auf Nachfrage des STANDARD. Um wegen Vergewaltigung eine Abtreibung bewilligt zu bekommen, muss eine Bescheinigung der polnischen Staatsanwaltschaft vorliegen. Die Organisation Abortion Without Borders meldete vergangene Woche, dass sich seit Anfang März bereits 200 Ukrainerinnen wegen Abtreibungen an sie gewandt hätten.

Sexualisierte Kriegsgewalt rückte vor allem durch die Jugoslawienkriege in den 1990er-Jahren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Zehntausende Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, viele von ihnen mehrfach und über Wochen und Monate hinweg. Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete im Jahr 2000 die Resolution "Frauen, Friede und Sicherheit", die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Frauen während bewaffneter Konflikten und in Nachkriegszeiten vor sexualisierter Gewalt zu schützen und sie in Friedensprozesse einzubinden. (Beate Hausbichler, 22.4.2022)