Großbritanniens Innenministerin Priti Patel und ihr ruandischer Kollege Vincent Biruta bei der Vorstellung ihres Vertrags.

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Während die britische Regierung ihre Absicht, Zigtausende von Asylsuchenden zur Bearbeitung ihrer Anträge nach Ruanda auszufliegen, als ein "mutiges und einzigartiges Modell der Weltklasse" preist, bezeichnen Kenner des ostafrikanischen Kleinstaats die in der vergangenen Woche bekanntgewordene Initiative als verblüffend, unmoralisch und unsinnig. "Ruanda ist wohl der schlechteste Ort der Welt, in den man Asylsuchende schicken kann", kritisiert die Afrikaexpertin Michaela Wrong, die mit ihrer Biografie "Do Not Disturb" über den ruandischen Präsidenten Paul Kagame jüngst für Aufsehen sorgte.

Auch innerhalb Ruandas, wo Kritiker der Regierung oft mit Haftstrafen belegt werden, ist die Vereinbarung zwischen London und Kigali unter Beschuss geraten. "Sie macht überhaupt keinen Sinn", sagt der Chef der oppositionellen Grünen-Partei, Frank Habineza, unter Hinweis auf die hohe Arbeitslosigkeit im Land.

Viele Menschen, enge Verhältnisse

Fachleute weisen darauf hin, dass es sich bei Ruanda um den am dichtesten besiedelten Staat Afrikas handelt, der außerdem noch immer von enormen sozialen Spannungen bestimmt ist. Auf den ersten Blick wirkt das Land mit seinen blitzsauberen Straßen und einem peinlich eingehaltenen Ordnungswesen wie ein afrikanischer Musterstaat. Doch wer hinter die Kulissen blickt, sieht noch immer den schlummernden Konflikt zwischen den Bevölkerungsgruppen der Hutu und Tutsi, der vor 28 Jahren zum brutalsten Völkermord der jüngeren Zeitgeschichte führte.

Westliche Regierungen halten Kagame zugute, das vom Genozid völlig zerstörte Land zu einer zumindest in Teilen modernen afrikanischen Ökonomie aufgebaut zu haben. Doch der Fortschritt kam auch unter Einschränkung wesentlicher Menschenrechte, vor allem der Meinungs- und Pressefreiheit zustande. Nach Angaben der New Yorker Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden unter Kagames Herrschaft zahllose Oppositionelle und Journalisten verhaftet oder sogar umgebracht.

Prestige für Kagama

Dass sich Kagame zur Unterzeichnung der weltweit umstrittenen Vereinbarung mit London überhaupt bereiterklärte, wird vor allem mit der finanziellen Vergütung erklärt: Ruanda soll in den kommenden fünf Jahren fast 150 Millionen Euro erhalten, um die Anträge Zigtausender von Asylsuchenden zu bearbeiten und diese gegebenenfalls ins Land zu integrieren. Was mit den abgelehnten Asylsuchenden geschieht – oder mit jenen, die nicht in Ruanda bleiben wollen – wurde bislang nicht bekannt.

Diplomaten in Kigali weisen außerdem auf den Prestigegewinn Kagames hin: Er könnte sich in Zukunft als Schlüsselfigur zur Lösung des weltweiten Migrantenproblems präsentieren und wäre in Zukunft vor allem vor britischer Kritik gegenüber seiner Menschenrechtsbilanz gefeit. Denn in ein zweifelhaft regiertes Land würde London ja keine Asylsuchenden verfrachten. In einer Presseerklärung zur Unterzeichnung des Deals preist Kigalis Regierung das Land als einen der "sichersten Staaten" der Welt: Ruanda werde jetzt zur Lösung des "weltweit gescheiterten Migrations- und Asylsystems" beitragen. Die Partnerschaft zwischen Kigali und London schaffe sowohl für Migranten als auch für Ruander "einzigartige persönliche und professionelle Entwicklungschancen".

Leere Hotels werden gefüllt

Schon jetzt leben in Ruanda fast 130.000 Flüchtlinge – vor allem aus der benachbarten Demokratischen Republik Kongo (DRC) und Burundi. 90 Prozent von ihnen leben in Flüchtlingslagern – in Mahama, dem größten unter ihnen, sind mehr als 55.000 Menschen untergebracht. Schon in der Vergangenheit erklärte sich Kigali wiederholt zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit, etwa aus Israel, Afghanistan und Libyen. Zwischen 2014 und 2017 sollen mehrere Tausend eritreische und sudanesische Flüchtlinge aus Israel nach Ruanda gebracht worden sein. Offenbar hält sich heute kaum noch einer von ihnen im Land auf. Das Projekt wurde schließlich abgebrochen.

Die Asylsuchenden aus Großbritannien sollen vor allem in Hotels untergebracht werden, die derzeit wegen der Corona-Krise weitgehend leer stehen, heißt es in Kigali. Presseberichten zufolge wurde allerdings auch schon ein Heim geräumt, in denen bisher Waisen des Völkermords untergebracht waren. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 22.4.2022)