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Hälse von orangefarbenen Kränen schwenken wie riesenhafte Giraffen über der Stadt. Es wird gegraben und Schutt verladen. Ein Klangteppich von Baulärm liegt in diesen Tagen über Ljubljana. Slowenien ist im Umbau. Im ersten Quartal 2022 wurden 14 Prozent mehr Baugenehmigungen für Wohngebäude erteilt als im gleichen Vorjahreszeitraum. 36 Prozent mehr Wohnungen wurden geplant. Auch politisch wird umgegraben. Vor der Wahl am Sonntag schickt sich die neue Partei Bewegung für die Freiheit des Ex-Managers Robert Golob an, die Führung der Regierung zu übernehmen. Gleichzeitig plakatiert die Partei SDS von Premier Janez Janša: "Wir bauen Slowenien!"

Den Umfragen zufolge liegt die Bewegung für die Freiheit mit 21 Prozent etwa gleichauf mit der rechtspopulistischen Partei von Janša, die der konservativen europäischen Parteienfamilie EVP angehört. Wer auch immer Erster wird, Golobs Bewegung dürfte es leichter haben, eine Koalition zu bilden. Denn bereits im Vorfeld haben sich einige Parteien zusammengefunden, die vor allem ein Ziel haben: Janša loszuwerden. Dazu gehören die extrem linke Levica, die Sozialdemokraten, die Partei von Ex-Premierministerin Alena Bratušek und die Partei von Ex-Premier Marjan Šarec.

Janša taucht immer wieder auf

Die beiden Letzteren liegen aber nahe an der Vierprozenthürde, und es ist unsicher, ob sie es ins Parlament schaffen werden. Dann wird es auch für Golob schwieriger, Mehrheiten zu finden. Bratušek und Šarec gehören wie Golob zu jenem Mitte-links-Spektrum in Slowenien, das zwar die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert, es aber nicht zuwege bringt, eine nachhaltig schlagkräftige Partei zu formieren. Stattdessen werden immer wieder kurz vor den Wahlen neue Fraktionen gegründet, die dann wieder zerfallen. Sobald diese an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, taucht Janša wieder aus seiner Warteposition auf und übernimmt die Regierungsverantwortung.

Das Theaterstück vom rettenden Helden, der die Instabilität beendet und einmal kräftig aufräumt, wird in Slowenien in regelmäßigen Abständen aufgeführt. Janša ist bereits zum dritten Mal Regierungschef. Zuletzt löste er Šarec im Jänner 2020 ab, weil dieser keine Mehrheit mehr zusammenbrachte. Insbesondere die Zusammenarbeit mit Levica war zunehmend schwierig geworden.

Umfärbung der Institutionen

Janša, der ohnehin denkt, dass er als Einziger in der Lage sei, die Geschicke des Landes zu lenken, nutzte nun die Zeit der Pandemie, um scharfzumachen, Medienvertreter zu attackieren, Demonstranten zu schikanieren, mit dem ungarischen Gesinnungsgenossen Viktor Orbán zu packeln und die Institutionen umzufärben. Außerdem ging er seiner Lieblingskulturkampf-Beschäftigung nach: Kommunisten aufzustöbern und zu jagen, obwohl es praktisch gar keine mehr gibt.

Die SDS ist neben den Sozialdemokraten die einzige Partei in Slowenien, die durchgehend und jahrzehntelang ein treues Publikum an sich gebunden hat. Janša holt sich vor allem Stimmen aus dem ländlich-konservativen Milieu. Ljubljana ist vergleichsweise Feindesland. Falls er die Wahl am Sonntag gewinnen sollte, wird er wohl wieder mit der christlich-konservativen NSi und einem anderen rechten Wahlbündnis eine Koalition bilden. Die SDS ist eine Traditionspartei. Sie wird nicht wegen, sondern trotz Janša gewählt. Die allermeisten Slowenen wollen mit ihm aber nichts zu tun haben. Er ist ihnen verbal zu aggressiv und politisch zu radikal. Deshalb hätte er auch bei der Präsidentschaftswahl im Herbst kaum eine Chance.

Unbekannter Golob

Aber auch die neue politische Figur auf der slowenischen Bühne, der frühere Manager des Energieunternehmens Geni, Robert Golob, ist alles andere als ein Star. Viele Slowenen kennen ihn kaum. Im Wahlkampf wurde ihm zudem vorgeworfen, dass er ein Konto in Rumänien nicht angegeben habe, obwohl er dazu verpflichtet war. Politisch war Golob bereits mit dem langjährigen Bürgermeister von Ljubljana, Zoran Janković, verbunden, der zahlreiche Skandale und Korruptionsvorwürfe überlebt hat. "Golob wurde in den vergangenen Monaten durch Umfragen und von den Medien geschaffen", meint der Politologe Marko Lovec von der Universität Ljubljana. "Sobald sich sein Erfolg zeigte, entschieden sich immer mehr Wähler, ihm aus taktischen Gründen zu folgen."

Bei der letzten Wahl 2018 passierte praktisch das Gleiche mit Marjan Šarec, zuvor war Miro Cerar an der Reihe, ein Rechtsprofessor, der vier Jahre lang durchhielt. "Golob ist eine Businessversion von Cerar, so wie Šarec die ländliche Version von Cerar war", meint Lovec zu den immer neu auftauchenden Janša-Konkurrenten. Was ihnen allen fehlt, ist eine Partei. "Dazu bräuchte man eine anerkannte Führungsfigur, eine Ideologie und wirkliche Unterstützer, nicht nur Wähler, die sich taktisch verhalten", erläutert er die Grundproblematik des Mitte-links-Spektrums in Slowenien. Golob hat außerdem praktisch keine politische Erfahrung. Wenn die ersten Fehler passieren, kann auch er bald seinen Glanz verlieren.

Fajon als Außenministerin

Falls Golob mit seinen Koalitionspartnern am Sonntag den Sieg davonträgt, wird wohl die Sozialdemokratin und langjährige EU-Parlamentarierin Tanja Fajon neue Außenministerin. Schwierig wird wohl die Zusammenarbeit mit Levica, weil die Linke die Sozialausgaben erhöhen will, Slowenien aber angesichts der Pandemie sparen muss. Eine der größten Herausforderungen birgt das Gesundheitssystem. Patienten müssen in Slowenien ewig auf Termine warten, es mangelt an Ärzten. Deshalb hat die Bewegung für Freiheit auch einen Arzt im Wahlkampfteam.

Um sich unabhängiger vom russischen Öl und Gas zu machen, will die Bewegung für Freiheit Slowenien zunehmend aus Katar mit Energie versorgen. In energiepolitischen Fragen ist Golob versiert. Die ehemalige TV-Journalistin Mojca Šetinc Pašek, die sich der Bewegung für Freiheit angeschlossen hat, möchte zudem wieder Medienfreiheit betonen und Janšas Versuche, die Nachrichtenagentur STA und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu kontrollieren, rückgängig machen. Šetinc Pašek ist selbst eines der Opfer von Janšas Hassattacken: Er bezeichnete sie und eine Journalistenkollegin auf Twitter als "Prostituierte im Ruhestand". Dafür wurde er im März zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Wittern und twittern

Einsichtig zeigte sich der Rechtspopulist nicht, sondern witterte sogleich wieder eine Verschwörung der Linken gegen ihn. Zu dem Urteil twitterte er: "Nichts Neues. Die Übergangslinke hat noch nie eine faire Wahl gewonnen. Neben Medien- und Finanzmonopolen hat sie immer auch ihre Richter und Staatsanwälte in den politischen Konflikt verwickelt. Am besten kurz vor den Wahlen."

Der Premier polarisiert wie kaum ein anderer in Mitteleuropa. Als er 2020 wieder an die Macht kam, tauschte er sechs der sieben Direktoren der staatlichen Museen und den Direktor des pädagogischen Instituts aus, obwohl diese international anerkannt waren. Auch die Führungsspitze der Sicherheitsstrukturen, in der Polizei, im Generalstab und im Geheimdienst, musste gehen.

Hilfe von Orbán

Gleichzeitig baute Janša mithilfe des ungarischen Regimes seine eigenen Propagandamedien auf. Im August 2018 wurden aus Ungarn und Großbritannien 1,5 Millionen Euro auf die Konten der Medienunternehmen NovaTV24.si und Nova Hiša überwiesen. Beide Medien gehören ungarischen Unternehmen, die wiederum dem ungarischen Premier Orbán und seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz nahestehen. In Slowenien machen sie rechtspopulistische Propaganda für Janša.

Der Ton der SDS ist mitunter extrem rau. Einer der Scharfmacher ist Žan Mahnič, Staatssekretär für nationale Sicherheit im Büro des Premierministers. Im November 2019 bezeichnete er die Justizbehörden als "Mafia" und wurde deshalb angezeigt. Jüngst attackierte er die Aktivistin Faila Pašić, die sich seit vielen Jahren zivilgesellschaftlich etwa für Migranten in Slowenien engagiert, und bezeichnete sie als "radikale Islamistin".

Extreme Muslimenfeindlichkeit

"Was danach folgte, war nicht mehr lustig", meint Pašić zum STANDARD. "Ich bin in Mails beschimpft worden, Leute haben mich von der Straße gestoßen, manche nannten mich 'muslimische Hure', andere schrien mich an", erzählt sie von der extremen Muslimenfeindlichkeit, die auch in der slowenischen Gesellschaft seit der Flüchtlingswelle 2015 von Parteien gefördert wurde und die an Antisemitismus erinnert.

Ein Mann habe ihr geschrieben, er würde sie vergewaltigen wollen, ein anderer wollte sie ans Kreuz schlagen. Pašić, die für ihr gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet wurde, will weiterkämpfen. Sie glaubt, dass sie vor allem attackiert wird, weil sie ein Kopftuch trägt. "Aber ich habe beschlossen, nicht ängstlich zu sein. Ich bin gegen Islamismus und Radikalismus. Ich bin okay, und es ist nichts falsch an mir", meint sie. Der mögliche neue Premier Golob hat sich übrigens hinter Pašić gestellt und will damit ein Zeichen für eine offene Gesellschaft setzen. (Adelheid Wölfl aus Ljubljana, 22.4.2022)