Vom Wölfischen im Manne: Alexander Skarsgård als Wikingerprinz Amleth in "The Northman".

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Mittlerweile gehört es zwar zum kleinen Einmaleins im Hollywood-Kino, teuren Studioproduktionen mit Independent-Regisseuren Frischblut zuzuführen. Im Fall von Robert Eggers verhält sich die Sache allerdings ein wenig anders. Der 38-jährige Filmemacher, der mit The Witch (2015) und The Lighthouse (2019) zwei bildgewaltige Genrerevisionen vorlegte und damit zum Aushängeschild des Hipsterverleihs A24 wurde, gibt ziemlich ungern kreative Kontrolle ab. Wenn schon Hollywood, dann lieber nach eigenen Regeln, dachte er, und schlug ein Wikinger-Epos vor. So könnte er seiner Faszination für die Vergangenheit mit größerer Mainstreamverträglichkeit nachgehen.

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"Conan der Barbar trifft auf Andrej Rubljow." Das war Eggers’ Tagline, mit der er den Film promotet hat, verrät er im Standard-Gespräch: Er lacht dabei leicht aufgelöst, weil er wohl davon ausgeht, dass nur wenige mit dem Verweis auf Andrei Tarkowskis Film über den Ikonenmaler etwas anfangen konnten. Und er ist sich der Unvereinbarkeit beider Werke durchaus bewusst. "Auch wenn es sich miserabel anfühlt: Ich wollte den allerkommerziellsten Robert-Eggers-Film machen. Erstmals war es eines meiner zentralen Ziele, Menschen zu unterhalten!" Das ist für einen Regisseur, der sich als Zehnjähriger von Comics abwandte, weil ihn die Zeichnungen von Albrecht Dürer und Martin Schongauer mehr begeistert haben, durchaus eine Ansage.

Genau bis zur Sandale

Doch The Northman hat mit klassischen Wikingerfilmen wie dem mit Kirk Douglas von 1958 so wenig zu tun wie mit Thor. Eher erinnert er an den Fiebertraum, der Nicolas Winding Refns Valhalla Rising (2009) war – wobei Eggers kein Freund von spekulativer Geschichte ist. Vielmehr ist er berüchtigt für seine Detailversessenheit, bis in die Wahl der passenden Sandalen hinein. Im Gespräch über Freiheiten in der Darstellung fällt die Rede dann auf den "wissenschaftlichen Konsens" von Historikerinnen und Historikern. Hat er gewagt, etwas dazu zu erfinden? Wikinger hätten sich bei ihren Ritualen zwar mit Blut beschmiert, aber anders als im Film dabei keine Kleidung getragen, gibt Eggers zu.

Als Vorlage diente ihm die Amletus-Saga von Saxo Grammaticus aus dem frühen 13. Jahrhundert, die schon Shakespeare zu seinem unmotivierten Prinzen inspiriert haben soll. "Zu meinem Schock und Bedauern wusste ich das gar nicht, obwohl ich Hamlet schon selbst inszeniert habe. Ich war nur auf der Suche nach einer Rachegeschichte." Die Popularität des Stoffes befreite Eggers von der Last, zu viel ausbuchstabieren zu müssen. "Dadurch, dass alle diese Geschichte kennen, und sei es nur die Version von König der Löwen, konnte ich in die Mythologie und die Kultur eintauchen, ohne das Publikum zu verlieren." Mithilfe des isländischen Schriftstellers Sjón, einem Bekannten der Musikerin Björk, die auch einen Gastauftritt hat, wurde eine Geschichte über Wut und Vergeltung gezimmert, bei der man nicht viel Zeit für Gedanken an den Barden von Avon hat.

Sprung nach Hollywood: US-Regisseur Robert Eggers.
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Der Wikingerprinz Amleth entkommt als Kind einem Blutbad und wächst in der Ferne zum von Alexander Skarsgård verkörperten Hünen heran. Mit seinen Kriegergefährten heult er wie im Wolfsrudel, wenn diese nicht gerade über ein Dorf herfallen. Die in einer einzigen Plansequenz gedrehte Szene bildet bei aller Gewalt einen der stilistischen Höhepunkte des Films, weil sich die physische Anstrengung ohne Montage wie unter Trance vermittelt. Ihm gehe es um Immersion, sagt Eggers: "Ich traue mich fast nicht, das auszusprechen, denn wenn ich daran scheitere, dann habe ich grob versagt. Mit Northman geht es mir wirklich um das ,Mindset‘ der Wikinger: ohne jedes Vorurteil."

Ohne zeitgenössische Moral

Eggers nimmt die Vergangenheit ernst. Er versucht, ihr gerecht zu werden – damit bildet er eine Ausnahme in seinem Metier. Schon in The Lighthouse, der ein Duell zweier Leuchtturmwärter im ausklingenden 19. Jahrhundert entwirft, bildet das Fantastische keinen Gegensatz zur Rationalität, die Grenzen zerfließen zusehends. Zeitgenössische Moralvorstellungen auf ein Historienstück zu übertragen, liegt ihm fern. Denn dies würde nur eine distanzierende Ebene einziehen: "Dann belehrt man sein Publikum und ruiniert alles, was ich an der Erkundung der Vergangenheit so liebe: Sie ist ein entfernter Spiegel. Ich möchte diese Menschen verstehen und begreifen, warum sie so gehandelt haben. "

Bei einem Wikingerprinzen, der seine Ehre nur über einen Racheakt wiederherzustellen vermag, kann das fast als unmögliches Unterfangen gelten – zumal, wenn dieser Weg mit doppelschneidigem Schwert zur eigenen Mutter (Nicole Kidman) führt. Doch Eggers entpuppt sich als hintersinniger, an vielem zweifelnder Regisseur. Er will populäres Attraktionskino und Realismus aufrichtig versöhnen – und all das, ohne voyeuristisch zu sein. "Betrachtet man Amleths Reise als verschwendetes Leben? Das kann ich nicht wirklich beantworten. Ich will Geschichte nicht reinwaschen, aber auch keine grundlose Gewalt zeigen." The Northman stellt sich diesem Dilemma, ohne in die Heroisierungsfalle zu tappen. Er zeigt den Wolf im Manne. (Dominik Kamalzadeh, 22.4.2022)