Anlass für das Trenden auf Social Media waren das Gespräch zwischen Putin und seinem Verteidigungsminister und die darin zu sehende Körpersprache des russischen Präsidenten.

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"Putin tritt zurück, um sich um seine angeschlagene Gesundheit zu kümmern" – keine Schlagzeile einer Zeitung, sondern ein Posting auf Social Media, mit dem die Userin offenkundig einen Wunschgedanken zahlreicher Nutzer formuliert. Seit längerer Zeit wird auf Twitter und Co über eine mögliche Erkrankung des russischen Präsidenten spekuliert.
Neues Futter für die Gerüchte liefert ein Video von Donnerstag, in dem Putin mit seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu sehen ist: Putins rechte Hand klammert sich an den Tisch, seine Füße wackeln unruhig. Auch die Mimik des Autokraten wird im Web analysiert. Sie sei verzerrt, das Gesicht aufgedunsen.

Symptomanalyse

Manche Userinnen und User glauben in Putins Auftreten Symptome von Parkinson zu erkennen. Sie hätten laut eigenen Aussagen mit Ärzten gesprochen oder ähnliche Symptome bei Familienangehörigen beobachtet – die Seriosität solcher Ferndiagnosen ist freilich gering.

Das stoppt die Gerüchteküche jedoch nicht. "Es ist für viele ziemlich offensichtlich, dass mit Putin etwas nicht stimmt", schrieb auch der US-Senator Marco Rubio auf Twitter. Der Republikaner ist unter anderem im Geheimdienstausschuss des US-Senats und bekommt auf diese Weise auch Berichte der amerikanischen Nachrichtendienste über Russland zugespielt.


In den vergangenen Wochen wurden medial immer wieder Gerüchte über diverse Krankheiten im Zusammenhang mit Putin laut. So schrieb beispielsweise die Journalistin und Russland-Expertin Louise Mensch am 10. März 2022: "Ja, Wladimir Putin hat Parkinson." In ihrem Text bezieht sie sich ebenfalls auf die Körpersprache des Präsidenten und zitiert unter anderem den russischen Politikwissenschafter Waleri Solowei. Laut Insidern würde die Familie Putins schon lange auf ihn einreden, er solle aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustands zurücktreten.

Auch andere Quellen hätten der Journalistin die Erkrankung bestätigt und erzählt, dass Putin mehrmals die Woche einen Arzt aufsuchen müsse.

Die zunehmende Distanzierung von Besuchern ließ auch viele darüber spekulieren, ob sich Putin nicht aus der Nähe zeigen wollte.
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Hinweise auf Krebs

Auch eine Recherche von russischen Exiljournalisten hatte Anfang April 2022 den Gesundheitszustand Putins thematisiert. So soll sich der Autokrat, der sich gerne sportlich inszeniert, bereits 2016 "höchstwahrscheinlich" einer Rückenoperation unterzogen haben. Für eine Woche sei Putin damals aus der Öffentlichkeit in ein Sanatorium in Sotschi verschwunden und hätte dort auch Spezialisten für Neurochirurgie empfangen.
Ähnliche Auszeiten nahm sich Putin in den letzten Jahren immer wieder, so der Bericht. Es seien auch regelmäßig Veranstaltungen verkürzt oder bestimmte Passagen aus Übertragungen geschnitten worden, damit man etwaiges Humpeln oder auch ein schmerzverzerrtes Gesicht als Zuseher nicht wahrnehmen konnte.

Auch auf Reisen würde Putin immer von einem Dutzend Ärzten begleitet, wollen die Journalisten von russischen Behörden erfahren haben. Im medizinischen Begleittross des russischen Präsidenten sei ein Onkologe, ein Chirurg, ein HNO-Arzt und ein Spezialist für Infektionskrankheiten.

Ein zitierter Arzt spekuliert auch über eine mögliche Krebserkrankung, da diese zunächst von einem HNO-Arzt diagnostiziert wird, um danach einen Onkologen und einen Chirurgen zu konsultieren. Ein Spezialist auf diesen Gebieten ist der onkologische Chirurg Ewgeni Seliwanow, der zwischen 2016 und 2020 mehr als 30-mal nach Sotschi geflogen sein und sich dort laut dem Bericht 166 Tage bei Putin aufgehalten haben soll. Seliwanow gilt als Spezialist für Schilddrüsenkrebs. Im Juli 2020 traf sich Putin mit dem Leiter des Nationalen Medizinischen Forschungszentrums für Endokrinologie, der ihn über Schilddrüsenkrebs und über ein neues Hormonpräparat informierte.

Diagnose bleibt aus

Von offizieller Seite wird der Gesundheitszustand Putins nie thematisiert, das System bleibt für die Außenwelt intransparent. Die russischen Medien zeigen ihren Präsidenten in der Regel als starken Mann, der das Land in die richtige Richtung führt, auch wenn er nicht mehr demonstrativ auf einem Bären reitet oder sich mit nacktem Oberkörper präsentiert. Am 19. März sagte der belarussische Präsident und Putin-Freund Alexander Lukaschenko, angesprochen auf den russischen Staatsführer, dass dieser "uns alle überleben wird" und "topfit" sei.

Die zunehmende Isolation Putins wird die Gerüchte dennoch weiter nähren – auch wenn viele wohl allein von Hoffnung befeuert werden, ein Rücktritt könnte vielleicht das einzige Ende für den Krieg in der Ukraine bedeuten. (aam, 22.4.2022)