Hält den Nato-Beitritt für "eine der besten außenpolitischen Entscheidungen Sloweniens": Außenminister Anže Logar.

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STANDARD: Was hat die EU falsch gemacht, wenn es um die Haltung gegenüber Russland geht?

Logar: Es gibt erst seit kurzem den Begriff "strategische Autonomie". Die EU war zu spät dran, ein System zu schaffen, in dem Warnungen und dann Aufrufe zum Handeln ausgesprochen werden.

STANDARD: Wann war der Punkt, an dem die EU handeln hätte sollen und es verabsäumt hat?

Logar: 2014, als Russland die Krim annektiert hat. Das war der größte Fehler der EU. Damals hätte man bereits dasselbe Sanktionspaket beschließen sollen, das wir jetzt umsetzen. Das wäre abschreckend gewesen und hätte den Krieg, den wir jetzt haben, verhindert. 2015 haben die EU-Kommissare klargemacht, dass die EU sich unabhängiger machen sollte von russischem Gas. Aber die Jahre sind vergangen und die Abhängigkeit ist noch gestiegen. Wir haben außer Acht gelassen, dass wir mit Sicherheitsbedrohungen im höchstmöglichen Ausmaß konfrontiert sind. Wir haben das nicht zum Anlass genommen, um umzuschwenken. Und jetzt lernen wir eben auf die harte Tour.

STANDARD: Es gab Schlagwörter wie "Wandel durch Handel", man wollte mit Russland unbedingt Geschäfte machen.

Logar: Wenn man den wirtschaftlichen Vorteil der Charta der Menschenrechte und allen UN-Konventionen vorzieht, dann geht man in die falsche Richtung. Man hat Russland in Europa einfach nicht verstanden – nur jene, die unter russischer Herrschaft waren, wie die baltischen Staaten und Polen, Tschechien und Slowakei. Die wussten, dass die Russen nur eine robuste Sprache verstehen. Wenn man Russland mit Appeasement begegnet, bewirkt das das Gegenteil, die gehen dann nur noch einen Schritt weiter.

STANDARD: Und was muss sich jetzt ändern?

Logar: Wir ändern gerade unsere strategische Ausrichtung, und das neue strategische Dokument zeigt den richtigen Weg. Die EU und die Nato sollten in dieser Hinsicht zusammenarbeiten. Wir müssen also mehr in Sicherheit investieren. Die meisten EU-Nationen sind Teil der Nato.

STANDARD: Was bedeutet das für Slowenien? Wie viel mehr sollte man für die Nato ausgeben?

Logar: Wir liegen weit zurück, wenn es um den Beitrag von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Nato geht. Wir und alle anderen Nato-Staaten müssen das anheben. Denn wir müssen in kurzer Zeit in der Lage sein, auf Bedrohungen zu antworten. Vor acht oder zehn Monaten hätte sich noch niemand vorstellen können, dass der Krieg sich auf dem europäischen Kontinent ausbreiten könnte. Wir sind alle eingeschlafen, und jetzt müssen wir sehr wachsam und umsichtig sein. Und wir müssen diese demagogischen Phrasen beenden, wonach man besser in Jobs als in die Verteidigung investieren sollte. Wir müssen zwei Prozent des BIP für die Nato beitragen.

STANDARD: Was muss jetzt passieren, wenn es darum geht, unabhängiger von Gas und Öl zu werden?

Logar: Wir haben nicht den Luxus, dass wir Jahre Zeit haben, sondern das muss in einer sehr kurzen Zeit möglich sein. Bis Ende dieses Jahres können wir die Abhängigkeit von Öl aus Russland auf null bringen, beim Gas ist es unterschiedlich in den EU-Staaten. Wir haben in Slowenien das Glück, dass wir in der Nähe der Gaskorridore von Kroatien, Italien und Algerien liegen. Deshalb können wir bis zu 70 Prozent unseres Gasbedarfs bis zum Ende des Jahres aus diesen Korridoren beziehen.

STANDARD: Aber was passiert, wenn der Kreml selbst das Gas im Winter abdreht?

Logar: Das machen die nicht, weil sie Euro und Dollar brauchen, um die Panzer zu finanzieren, die Menschen töten und ukrainische Städte zerstören. Außerdem kann Russland das Gas sonst nirgendwo verkaufen. Wenn der Kreml das trotzdem tut, würde er die EU nur dazu zwingen, die Periode zu verkürzen, in der wir uns von russischen Energielieferungen unabhängig machen.

STANDARD: Was machen Sie aber, wenn die Energiepreise extrem steigen und die Bürger sich zunehmend beschweren?

Logar: Das müssen wir einkalkulieren, und deshalb müssen wir mehr in andere Energie investieren, etwa in Atomkraft oder Windenergie.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Haltung der deutschen Regierung, wenn es um das Gas-Embargo geht? Es gab zuletzt viel Kritik an Kanzler Olaf Scholz.

Logar: Es sollte rasche Antworten geben. Wenn man den Prozess beschleunigt, ist das gut für unsere Zukunft und für unsere ukrainischen Partner, die ihr Land verteidigen. Es gibt bereits einen großen Fortschritt in der deutschen Haltung. Außenministerin Annalena Baerbock hat eine ganz klare Ansage gemacht, dass am Ende des Jahres die Öllieferungen aus Russland beendet werden.

STANDARD: Russland hat auch wachsenden Einfluss in Serbien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro. Wie sollte die EU darauf reagieren?

Logar: Wir müssen die Region in die EU bringen, damit dort auch unsere Außen- und Sicherheitspolitik greift und die Region nicht für hybride Aktivitäten genutzt wird, die die EU behindern oder sogar zerstören wollen.

STANDARD: Sind die russischen Einflüsse auf dem Balkan gefährlich?

Logar: Es ist sehr gefährlich, wenn man die Region nicht in die EU bringt.

STANDARD: Auch Ungarns Premier Viktor Orbán hat enge Kontakte zum Kreml. War es ein Fehler, dass die slowenische Regierung so eng mit Orbán kooperierte?

Logar: Wie soll eine Freundschaft ein Fehler sein?

STANDARD: Genau wegen der hybriden Aktivitäten von Russland.

Logar: Die früheren linken Regierungen in Slowenien waren viel prorussischer. Wir wollten die slowenische Außenpolitik besser aufteilen. Wir haben sehr enge Beziehungen mit den USA. Das ist die einzige brauchbare Position, die ein kleines Land angesichts der verschiedenen Einflüsse einnehmen sollte.

STANDARD: Die Kooperation mit Ungarn steht also nicht im Mittelpunkt der slowenischen Politik?

Logar: Nein, zentral sind Fragen der Wirtschaft, historische Verbindungen und die transatlantische Kooperation.

STANDARD: Wenn es um Kroatien geht, so gibt es noch immer keine Einigung im Grenzstreit.

Logar: Als ich Außenminister wurde, gab es keine Beziehungen zu Kroatien, sondern nur gerichtliche Klagen, die den slowenischen Steuerzahler 8,5 Millionen Euro kosteten, aber nichts brachten, weil wir alles verloren haben. Also haben wir nach Dingen gesucht, die uns und Kroatien verbinden und nicht trennen. Wir haben ja einen umfassenden Austausch. Im Sommer fahren wir nach Kroatien und im Winter kommen die Kroaten zu uns. Auch im Servicebereich ist der Austausch sehr hoch. Der kroatische Außenminister hat bei unserem letzten Treffen gesagt, dass, falls es zu einer Einigung in den bilateralen Fragen kommt, diese Einigung genau mit dieser slowenischen Regierung erfolgen könnte. Und ich war nach neun Jahren der erste slowenische Außenminister, der in Zagreb war.

STANDARD: Erwarten Sie eine Einigung?

Logar: Ich bin ziemlich sicher, dass wir, wenn wir nach den Wahlen die Regierung anführen, eine Lösung finden.

STANDARD: Und wenn es in Slowenien zu einem Regierungswechsel kommt, dann gibt es keine Lösung mit Kroatien?

Logar: Das kann niemand vorhersagen. Ich sage aber nicht, dass das nicht nur mit uns möglich ist.

STANDARD: Ihr Nachbar Österreich ist kein Nato-Mitglied, profitiert aber in seiner geopolitischen Lage sehr davon, dass es von Nato-Staaten umgeben ist. Braucht es wegen der Bedrohung durch Russland auch von Österreich mehr Solidarität und Einigkeit?

Logar: Das entscheiden die Österreicher. Die Slowenen haben sich für die Nato entschieden. Es war eine der besten außenpolitischen Entscheidungen Sloweniens und stellt sich jetzt als richtig heraus. Wir können nur durch die wechselseitige Unterstützung der alliierten Kräfte die Bedrohung durch Russland beherrschen. Für Putin wäre es der größte taktische Verlust, wenn Finnland und Schweden der Nato beitreten. In den Gesellschaften in Finnland und Schweden wird gerade darüber diskutiert. Und ich hoffe, dass die Position eines Beitritts zur Nato obsiegen wird. Es ist aber eine rein innere Angelegenheit, die nach außen Konsequenzen hat.

STANDARD: Es geht aber auch um Solidarität in der Region.

Logar: Wenn es um Solidarität geht, dann muss man sich den Sanktionen gegen Russland anschließen, wegen der Verbrechen, die Russland in der Ukraine begeht. Damit ist man auf der richtigen Seite der Geschichte.

STANDARD: Es gibt ein Land, das dies nicht tut: Serbien.

Logar: Serbien wird sich entscheiden müssen, auf welchem Sessel es sitzen will. Entweder man entscheidet sich für den Fortschritt, oder man versucht ein Appeasement gegenüber untergehenden Kräften. Im Mai beim EU-Außenministerrat wird der Westbalkan eines der Hauptthemen sein. Und dieses Thema ist definitiv eines der wichtigsten. (Adelheid Wölfl, 23.4.2022)