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Wenn Österreich und Deutschland ihre Klimaziele erreichen möchten, dann reicht es in der Mobilität nicht, einfach eins zu eins auf E-Autos umzusteigen. Es ist notwendig, die mit dem Auto zurückgelegten Kilometer zu reduzieren. Das zeigen Studien vom Umweltbundesamt und der Agora Verkehrswende. Um 25 bis 30 Prozent müssen demnach die Kilometer sinken. In der Stadt ist die Alternative zum Pkw naheliegend. Aber wie soll das auf dem Land gehen? Zehn Gedanken zu nachhaltiger Mobilität im ländlichen Raum.

Der Autoverkehr ist in Österreich in den vergangenen Jahrzehnten explodiert.
Foto: APA/SOBE HERMANN

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1. Das Auto wird auch in einem klimaneutralen Österreich auf dem Land zentral bleiben. Wenn wir bis 2040 klimaneutral sein möchten, dürfen spätestens ab 2030 keine neue Benziner und Diesel mehr verkauft werden. Wenn das aktuelle Wachstum bei den E-Autos anhält, dann geht sich das aus. Hier stimmt der Kurs. Vor allem auf dem Land steht der E-Mobilität nichts im Weg: Die Kombination aus eigener Photovoltaik-Anlage, Steckdose und E-Auto ist ideal. Gleichzeitig müssen aber die Pkw-Kilometer sinken, sonst fallen zu viele Emissionen an. Der hohe Energieverbrauch des Individualverkehrs muss sinken, weil Erneuerbare knapp sind.

2. Mobilität muss nicht hitzig diskutiert werden. Es geht nicht um Auto ja oder nein, sondern darum, die damit gefahrenen Kilometer um ein Viertel zu senken. Das wäre an und für sich nicht so viel. Bedenkt man aber, dass die Pkw-Kilometer seit 1990 um 75 Prozent gestiegen sind, ist das ein riesiger Bruch. Darum reichen kleine Maßnahmen nicht aus. Das aktuelle Steuer- und Raumplanungssystem verursacht ständig mehr Verkehr und braucht immer mehr Platz. So lässt sich auch der rapide Verlust an biologischer Vielfalt nicht bremsen.

3. Das Auto hat die Welt verändert. Es hat viele Vorteile gebracht, aber auch zum Aushöhlen vieler Städte und Dörfer beigetragen. Geschäfte, Banken und Freizeitaktivitäten sind mehr und mehr aus den Zentren gewandert. Mittel- bis langfristig ist die Raumordnung zentral. Die emeritierte Boku-Professorin Gerlind Weber fordert, dass es wie bei CO2-Emissionen auch beim Bodenverbrauch Netto-Null-Ziele braucht. 2035 soll nichts mehr neu zugebaut werden, was nicht woanders freigelegt wurde. Dörfer sollten innen entwickelt werden, statt draußen auf riesige Einkaufzentren zu setzen, die nur mit dem Pkw erreicht werden können. Außerdem, so Experten, sollte sich die Entwicklung von Dörfern um Bahnhöfe konzentrieren.

4. Kurzfristig ist das aber wenig hilfreich. Hier gibt es auch auf dem Land Ansätze, wie Verkehr erst gar nicht entstehen muss. Agora Verkehrswende, eine Denkfabrik, schlägt ein Recht auf Homeoffice vor und eine flächendeckende Verbreitung von Glasfaserinternet auf dem Land. 29 Prozent der Wege zur Arbeit auf dem Land sind kürzer als fünf Kilometer. 20 Prozent zwischen fünf und zehn Kilometer. Hier sind auch Fahrräder und E-Bikes eine sinnvolle Alternative. Auf Landstraßen mit Tempo 100 sind die aber oft keine sichere und angenehme Alternative. Die Radinfrastruktur muss massiv ausgebaut werden.

5. Der öffentliche Verkehr muss wieder besser werden. In Österreich passiert das auch schon teilweise. In der Vergangenheit gab es eine Abwärtsspirale: Weil immer mehr Menschen selbst ein Auto hatten, nutzten immer weniger Leute Busse, die heute eigentlich fast nur mehr auf den Schülerverkehr ausgerichtet sind. Hier braucht es massive Investitionen von der öffentlichen Hand, damit idealerweise jede halbe Stunde ein Bus fährt, auch abends und sieben Tage die Woche, sagt Philipp Kosok, Verkehrsexperte bei der Agora Verkehrswende.

6. Die Digitalisierung schafft Abhilfe. Die Flexibilität und Geschwindigkeit eines Autos ist de facto aber nicht zu schlagen. Um dem möglichst nahezukommen, kommen immer öfter digitalisierte Rufbusse ins Gespräch. Rund um Mödling haben sich etwa 17 Gemeinden zusammengeschlossen und finanzieren seit Dezember 2021 ein Postbus-Shuttle. Das sind kleine Busse mit sechs bis acht Plätzen, die ohne Fahrplan und fixe Routen fahren. Man kann sie per App buchen und muss dann nur ein paar Meter zum per GPS festgelegten Haltepunkt gehen. Dahinter läuft ein Algorithmus, der die Fahrten abgleicht und optimiert. So sollen möglichst viele Menschen ohne Auto mobil sein können. 7.500 Fahrten gab es bisher.

7. Verkehrsverhalten gehört zur Alltagsroutine und die ändern wir selten. Chancen dafür gibt es, wenn sich im Leben etwas Großes verändert, sagt die Verhaltensforscherin Alexandra Millonig vom Austrian Institute of Technology. Viele ändern ihr Mobilitätsverhalten, wenn sie in die Pension gehen, sie eine Familie gründen, umziehen oder einen neuen Job annehmen. "Dann muss man logischerweise darüber nachdenken, wie komme ich da hin. Da kann man Programme starten, um zu zeigen, was Alternativen sind", sagt Millonig.

In Österreich gibt es etwa die Aktion "Jobrad statt Dienstauto". Der Bund fördert die Anschaffung von Rädern für Angestellte mit 200 Euro, wenn der Betrieb das auch tut. Die Arbeitnehmer müssen sich in einer Vereinbarung verpflichten, es zumindest teilweise am Weg in die Arbeit zu nehmen.

8. Das Rad muss aber nicht immer neu erfunden werden. Ich bin selbst auf dem Land geboren und bin dort, seit ich Auto fahren darf, keinen Weg mehr mit dem Rad gefahren oder zu Fuß gegangen. Dass das überhaupt eine Möglichkeit ist, muss wieder in die Köpfe. Nur leider, sagt die Mobilitätsexpertin Katja Diehl, gibt's dafür nicht die Milliarden-Werbeetats, die Autokonzerne zur Verfügung haben. In Deutschland sitzen in einem Auto, mit dem zum Job gependelt wird, im Schnitt 1,07 Personen. Diehl fordert hier Anreize, damit die Menschen Fahrgemeinschaften bilden. Auf der B127 in Linz dürfen Fahrgemeinschaften etwa die Busspur verwenden und können dem Berufsverkehr so ausweichen.

9. Der Diskurs muss langweiliger werden. Ohne Auto geht's auf dem Land nicht. Das ist in der Regel absolut richtig. Darum hilft der Fokus in der Debatte darauf, wie Pkw-Kilometer um 25 bis 30 Prozent gesenkt werden können. Denn auch wenn es auf dem Land ohne Auto nicht geht, geht es nicht manchmal doch zu Fuß, mit dem Rad oder E-Bike, als Mitfahrer? Gerlind Weber von der Boku betont auch die Rolle beim Hausbau. Gut gedämmte Energiesparhäuser sind beliebt. Noch wichtiger wären "Verkehrssparhäuser", die an einem Ort stehen, wo sie nicht automatisch dazu führen, dass jeder Erwachsene im Haus ein eigenes Auto braucht.

10. Auch die Stadt kann dem Land helfen. Viele Wege, die auf dem Land begonnen werden, führen in die Stadt. Nach Wien pendeln etwa 80 Prozent der Menschen mit dem Auto. Wenn es nicht mehr so attraktiv ist, mit dem Auto in die Stadt zu fahren, werden nachhaltigere Alternativen relevanter. Eine Citymaut hat, so zeigt eine Studie des Umweltbundesamts, enorme Potenziale, um Autoverkehr und Emissionen zu reduzieren. Wenn das Parken schwieriger und teurer wird, weil der öffentliche Raum nicht mehr als Parkplatz, sondern als Spiel- und Aufenthaltsort für Kinder und Erwachsene verwendet wird, sinkt ebenfalls die Attraktivität des Autos.

Außerdem führt das Steuersystem zu mehr Verkehr: Etwa durch das Pendlerpauschale, das Dieselprivileg, das Dienstwagenprivileg usw. Die Experten sind sich einig: Nur Alternativen anzubieten reicht nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen. Wer A sagt, also die Klimakrise bekämpfen möchte, muss auch B sagen und das Auto unattraktiver machen.

Im nächsten Beitrag der Serie geht es darum, wie wir die Landwirtschaft nachhaltiger gestalten können. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 24.4.2022)