Journalist und Dramaturg Uwe Mattheiß schreibt in seinem Gastkommentar, wie Rußlands Angriffskrieg in der Ukraine auch die Kulturszene erschüttert.

Die Praxis der Geldflüsse von Putin-nahen Unternehmen und Akteuren an den heimischen Musikbetrieb erschüttert nicht nur die Klassikszene. Sie berührt das Selbstverständnis der Kulturszene insgesamt, fragt nach ihrem wirtschaftlichen Gebaren und möglichen Fallstricken künstlerischer Autonomie.

Über Jahre wurden Zuwendungen russischer Firmen und Personen, Künstler:innen und ihre Karrieren als strategische Assets platziert, um im russischen Interesse Einfluss zu gewinnen. Die hohe gesellschaftliche Reputation des Klassikbetriebs schafft ein Umfeld, in dem sich Geschäftsbeziehungen leicht anbahnen und ebenso leicht verschleiern lassen. Zentrale Figuren sind prominente Künstler:innen, die in ihrer Nähe zur Macht, ihren wirtschaftlichen Verflechtungen teilweise das Niveau von Oligarchen aus der Wirtschaft erreichen, durch ihre Stellung im kulturellen Feld aber weit mehr für das Regime bewirken können.

Seine Russland-Kontakte sorgen für viel Kritik: Stardirigent Teodor Currentzis.
Foto: Imago Images / Ernst Wukits

Das Überraschende daran: Der Diktator und seine Entourage messen dem Kulturbetrieb im Westen offenbar größere Bedeutung zu, als die von ihnen verachtete "westliche Dekadenz" es selbst tut. Die imperiale Macht, die sich auf harte Faktoren wie militärische Stärke, Technologie und wirtschaftliche Abhängigkeiten stützt, setzt hier auf das geschickte Ausspielen von Soft Power. Kultur ist für sie der Ort, an dem Ideen und Deutungsansprüche in wirtschaftliche Macht und politischen Einfluss übersetzt werden können.

Die täglichen Meldungen russischer Kriegsverbrechen machen die Dominanzgesten einer "großen russischen Kultur" immer unerträglicher. Produktionsausfälle und Konzertabsagen sind unvermeidlich. Gab es zuvor wirklich keine Warnzeichen? Oder ist Kunst, die sich den Werten der Aufklärung verpflichtet, die die universelle Gültigkeit humanistischer Werte vertritt, einfach nur naiv und schutzlos gegenüber dem Versuch, die Macht des Schönen in den Dienst der Macht zu stellen?

"Kultur müsse unternehmerisch handeln, hieß es selbst in Österreich, wo sich die Idee des schlanken Staates in der Kulturpolitik nie wirklich hat durchsetzen können."

Naiv scheint vielmehr der Glaube, der Universalismus der Kunst stelle einfach eine Gegebenheit dar, um die man nicht mehr kämpfen muss. Naiv ist der Ästhetizismus, der die Autonomie der Kunst mit ihrer Indifferenz gegenüber der Welt verwechselt. Naiv ist der Glaube, noch jeden Widerspruch im bloßen Streben nach Schönheit einebnen zu können.

Ursachenforschung ist angesagt. Man muss den betroffenen Institutionen zugutehalten, dass die nun inkriminierten Verbindungen von der österreichischen Politik ausdrücklich gewollt, gefördert und erhalten wurden. Vielleicht hat das Ganze aber auch etwas mit der schleichenden Ökonomisierung des Kunstbetriebs zu tun. Geld hat "ka Mascherl", so lautete der nonchalante Konsens. Kultur müsse unternehmerisch handeln, hieß es selbst in Österreich, wo sich die Idee des schlanken Staates in der Kulturpolitik nie wirklich hat durchsetzen können. Drittmittel einzuwerben gilt als Zeichen erfolgreicher Intendanz- und Direktionstätigkeit. Verspricht sie doch damit mehr zu leisten, als es mit staatlicher Finanzierung allein möglich wäre. Das erfordert allerdings sorgfältige Abwägungen, um die Grenze zu meiden, an der privates Interesse beginnt, mit dem öffentlichen Auftrag in Konkurrenz zu treten.

Nicht uneigennützig

Das Handeln von Sponsoren ist auch keineswegs uneigennützig. Nicht nur die Steuergesetzgebung fordert eine darstellbare Gegenleistung. Im Falle der Kunst sind es Aufmerksamkeit und Reputation, die ihr die Gesellschaft im Vertrauen auf die Erfüllung ihrer Aufgabe vorab frei zur Verfügung stellt. Für potenzielle Sponsoren haben diese Ressourcen jedoch einen Preis. Kunst tauscht Geld gegen Aufmerksamkeit und zeichnet diesen Deal mit ihrem guten Namen.

Der Reputationstransfer kann die Seite der Kunst unerwartet teuer zu stehen kommen, wie derzeit etwa die Salzburger Festspiele gleich mehrfach. Zu Problemen durch eine lange Geschichte russischer Geldzuflüsse und dem Umstand, dass mit dem Dirigenten Teodor Currentzis die derzeit höchstgehandelte Marke im Klassik-Business aufgrund seiner wirtschaftlichen Verflechtungen mit einer sanktionierten russischen Bank möglicherweise aus dem Programm fällt, konfrontiert das Regieduo Yana Ross und Lukas Bärfuss die Festspiele mit Vorwürfen gegen das Schweizer Bergbauunternehmen Solway, in den Mining Secrets der Investigativplattform Forbidden Stories. Solway ist seit 2017 regelmäßig Sponsor.

Saldo des Reputationstransfers

Sollten sich die Vorwürfe erhärten, wäre die Verbindung kaum haltbar. Der Saldo des Reputationstransfers würde im freien Fall ins Minus rutschen. Ross und Bärfuss haben grundsätzlich kein Problem mit Sponsoren. Sie fordern lediglich Transparenz, um "weiteren Schaden von den Festspielen abzuwenden".

Das liefe auf eine Art von Gütesiegel für Sponsoren hinaus. Ein charmanter Gedanke, der aber möglicherweise daran scheitert, dass gerade solvente Sponsoringkandidaten Diskretion mögen und sich ungern in die Karten schauen lassen. Auch widerspricht es der Idee der souveränen Gabe, die dem Selbstbild der Geldgeber förderlich ist.

Die neue Transparenz wird Kunstinstitutionen zweifellos neue, attraktive Partner gewinnen, die aber vielleicht anders, weniger und spezieller fördern als bisher. Die Zeiten, in denen der Rubel für die Luxusmarken grenzenlos den Kunstmainstream hinunterrollte, dürften vorbei sein. Letztlich bleibt nach den Einschnitten von Pandemie, Krise und Krieg nur eine Redimensionierung des Kulturbetriebs, eine, die sich wieder mehr auf dessen Kernaufgaben konzentriert: mit öffentlichem Geld Kunst als öffentliches Gut hervorzubringen. (Uwe Mattheiß, 23.4.2022)