
PRO: Impfpflicht durchsetzen
von Eric Frey
Allein die Menschen können für eine unsichere Zukunft vorausplanen, hieß es einst. Inzwischen weiß man, dass auch Tiere über diese Fähigkeit verfügen. Bloß in Österreich tut man sich schwer, über den Tag hinauszudenken, wie sich bei der Corona-Impfung zeigt.
Die Impfpflicht wurde im November 2021 am Höhepunkt der Delta-Welle beschlossen, mit mehrmonatiger Vorlaufzeit. Schon damals war klar, dass die virologische Situation bei Inkrafttreten anders sein könnte. Der Beschluss im Nationalrat im Jänner 2022 erfolgte, als längst die Omikron-Variante das Geschehen beherrschte, erste Kontrollen waren für Mitte März geplant. Zu diesem Zeitpunkt hätten Erstimpfungen nicht mehr viel genutzt, und wegen der meist milderen Krankheitsverläufe waren sie nicht unbedingt notwendig. Daher war es richtig, die Impfpflicht vorübergehend auszusetzen.
Aber dass nun eine große Mehrheit in der Politik, Wissenschaft und Medien die Impfpflicht völlig begraben will, zeugt von einer nationalen Unfähigkeit, mit Gefahren vernünftig umzugehen. Das Virus ist saisonal und wird sich im Spätherbst wieder ausbreiten. Wir wissen nicht, wie schnell und mit welcher Variante. Aber es ist davon auszugehen, dass dreifach Geimpfte vor schweren Verläufen gut geschützt und Ungeimpfte gefährdet sind. Bei anhaltend niedriger Durchimpfungsrate droht den Spitälern erneut ein Desaster. Dieses Szenario muss nicht eintreffen, aber es kann. Das nennt man Risiko.
Natürlich könnte man dann schnell einen Lockdown verhängen oder mit Tests und Masken die Ausbreitung eindämmen. Aber die einfachste und wirksamste Gegenmaßnahme ist die Durchimpfung – solange sie rechtzeitig geschieht und nicht erst dann, wenn die Infektionszahlen explodieren.
In einer idealen Welt würden sich alle freiwillig impfen lassen. Aber da das in Österreich bisher nicht funktioniert hat, wird es auch die klügste Kampagne nicht schaffen. Die Alternative ist die Impfpflicht, die gegen starken Widerstand bereits beschlossen wurde. Es wäre unverantwortlich, dieses Mittel jetzt nicht zu nutzen, um eine drohende Gefahr abzuwenden.
Ungeimpfte müssten sich spätestens im Juni impfen lassen, damit sie rechtzeitig immunisiert sind. Mit flächendeckenden Strafen ab diesem Zeitpunkt werden sich zwar nicht alle, aber sicher viele überzeugen lassen. Die Impfpflicht einfach aufzugeben, weil im Sommer niemand an einen Corona-Herbst denken will, wäre hingegen fahrlässig und kurzsichtig. (Eric Frey, 24.4.2022)
KONTRA: Zwang triggert Widerstand
von Pia Kruckenhauser
Corona ist gekommen, um zu bleiben. Es wird neue Virusmutationen geben. Und man kann davon ausgehen, dass im Herbst eine weitere Infektionswelle über das Land rollt – in welcher Höhe und mit welcher Variante, ist noch nicht klar, aber es wird passieren. Jene, die dreimal geimpft und normal gesund sind, haben dann einen ziemlich guten Schutz vor schwerem Verlauf. Ungeimpfte sind deutlich stärker gefährdet. Aber eine gesetzlich verankerte Pflicht wird nicht dafür sorgen, dass die Impfquote signifikant steigt.
Denn die Impfpflicht ist eine gesetzliche verordnete Zwangsmaßnahme – und Zwang triggert in erster Linie Widerstand, keine Bereitschaft, und zwar nicht nur bei jenen, die die Impfung klar ablehnen. Man weiß aus der Forschung, dass so eine Pflicht auch jene stutzig macht, die sich womöglich aus gesundheitlichen Gründen Sorgen machen. Sie denken dann, dass vielleicht doch etwas an der Impfung nicht stimmt, sonst würde man sie ja nicht dazu zwingen – auch wenn diese Vermutung falsch ist, die Impfung ist sicher, und sie schützt so, wie sie das soll.
Dazu kommt ein weiteres, psychologisches Element. Die Impfpflicht erinnert unbewusst an emotionale und physische Gewalterfahrungen – die viel mehr Menschen in ihrem Leben gemacht haben, als man vermuten würde. Das zeigt sich auch an der Tatsache, dass mit Ankündigung der Impfpflicht vergangenen Herbst der Widerstand klar zugenommen hat. Anti-Corona-Demonstrationen bekamen mehr Zulauf, aus unterschiedlichsten Lagern, die Kommunikation wurde aggressiver und hat sich auf allen Seiten zugespitzt.
Das Durchsetzen einer Impfpflicht wäre eine Niederlage auf allen Ebenen. Trotzdem braucht es eine Steigerung der Impfquote, sonst stehen wir im Herbst wohl ein weiteres Mal mit überfüllten Krankenhäusern und überlastetem Gesundheitspersonal da. Dafür braucht es aber begleitende und vor allem niederschwellige Angebote wie Aufklärung beim Hausarzt, in Jugendzentren, im Zuge von gesundheitlichen, sozialen oder psychologischen Beratungen.
So eine Beratung, die auch einige Expertinnen und Experten vorschlagen, könnte man verpflichtend einführen. Man würde damit auf individuelle Bedenken eingehen und gleichzeitig auch eventuelle Wissenslücken schließen. Klar, man wird damit nicht alle Impfkritiker erreichen. Aber jenen, die verunsichert sind, kann man so ein echtes Angebot machen – und damit auch die in der Gesellschaft aufgerissenen Gräben endlich wieder etwas zuschütten. (Pia Kruckenhauser, 24.4.2022)