ÖAW-Präsident Heinz Faßmann hat in seinem Präsidium in der Akademie der Wissenschaften ein 50:50-Verhältnis zwischen Frauen und Männern umgesetzt.

Foto: ÖAW / Peter Rigaud

Er war Wissenschafter, dann politischer Berater, schließlich selbst parteifreier Minister – und erlebte, wie schnell man (in der ÖVP) so ein Amt wieder lossein kann, wenn man keinen Parteibund oder kein Land hinter sich hat. Seit 15. April ist Heinz Faßmann gewählter Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im STANDARD-Interview erklärt er, wie er die wissenschaftliche Flaggschiffinstitution des Landes positionieren will und was die Lehren aus seiner Zeit in der Politik sind.

Der Unterrepräsentation von Frauen – Ende 2021 waren 21 Prozent der ÖAW-Mitglieder weiblich – begegnet er mit einem Präsidium, für das er 50 Prozent Frauen vorschlug. Sie wurden am Freitag von den Akademiemitgliedern gewählt: die Physikerin Ulrike Diebold zur Vizepräsidentin der ÖAW und die Rechtswissenschafterin Christiane Wendehorst zur Präsidentin der philosophisch-historischen Klasse. Neuer Präsident der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der ÖAW ist der Weltraumforscher Wolfgang Baumjohann. "Da können sich viele Vorstände von Aktiengesellschaften ein Beispiel nehmen an dieser angeblich so versteinerten wissenschaftlichen Institution", sagt Faßmann zu seinem Halbe-halbe-Team.

STANDARD: Was wird oder soll sich mit Ihnen als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ändern? Mit welchem Programm haben Sie die ÖAW-Wahl gewonnen?

Faßmann: Ich habe eine E-Alliteration gebraucht: Exzellenz – Europa – Expansion. Das Exzellenzprinzip ist weiterhin sehr wichtig in der Akademie. Außerdem denken wir auch in der Wissenschafts- und Forschungspolitik leider noch immer zu sehr national. Wir sehen zu wenig die Möglichkeiten der Europäischen Union, den gemeinsamen Forschungsraum, auch den gemeinsamen Arbeitsmarkt für Forscherinnen und Forscher. Und dann glaube ich, dass die Grundlagenforschung noch ein Wachstumsterrain vor sich hat und dieses Wachstum auch eine Notwendigkeit darstellt, denn es ist ganz klar: Ohne gute Grundlagenforschung gibt es auch keine gute angewandte Forschung, und ohne gute angewandte Forschung würde Österreich als ein entwickeltes Hochlohnland seinen Wohlstand langfristig nicht halten.

STANDARD: Das Verständnis für und das Wissen über Wissenschaft und ihre Funktion ist in Österreich unterentwickelt. Die Eurobarometer-Umfrage weist für unser Land nachgerade katastrophale Werte bei der Ein- und Wertschätzung von Wissenschaft und Technologie aus. Was in der Corona-Pandemie durchaus verhängnisvoll war. Welche Erklärung haben Sie dafür, und was wollen Sie als ÖAW-Präsident dagegen tun?

Faßmann: Das ist eine schwierige Frage – wir haben sie daher auch zur Jahresfrage der ÖAW gemacht und einen Preis ausgelobt, um gute Antworten zu bekommen. Es ist weder ein reines West-Ost-Phänomen noch eines zwischen entwickelten und weniger entwickelten Ländern. Die Geografie der Wissenschaftsskepsis in Europa ist viel komplexer. Ich glaube, es hat sehr viel zu tun mit dem Vertrauen in der Gesellschaft, auch in die Politik und in öffentliche Institutionen. Auch ein gewisser antielitärer Diskurs, der vielleicht in Österreich ausgeprägter ist als in anderen Ländern, spielt möglicherweise eine Rolle. Es ist jedenfalls ein wichtiger Auftrag, auch an die Akademie der Wissenschaften, hier für eine Verbesserung zu sorgen. Man muss in die Schule gehen, Lust auf Wissenschaft machen, den Kindern und Jugendlichen das Spezifische des wissenschaftlichen Denkens nahebringen. Ich bin auch jeder Forscherpersönlichkeit dankbar, die medial auftritt und sagt, warum Wissenschaft und Forschung wichtig sind.

STANDARD: Apropos Europa. Im Osten Europas herrscht Krieg in der Ukraine. Ihr Nachfolger im Bildungsministerium, Martin Polaschek, hat den österreichischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen geraten, "die bisherige Zusammenarbeit mit russischen Einrichtungen im Bereich der Forschung sowie der Hochschulbildung bis auf weiteres einzufrieren beziehungsweise individuelle Kontakte kritisch zu überprüfen". Wie handhaben Sie das an der ÖAW?

Faßmann: Man muss differenzieren zwischen Institutionen der Wissenschaft und den Wissenschaftern und Wissenschafterinnen selber. Es gibt ein offenes Schreiben, in dem sich 7.000 russische Wissenschafter und Wissenschafterinnen deklariert haben, dass sie mit dem Krieg nicht einverstanden sind. Es gibt aber auch öffentliche Stellungnahmen der Russischen Akademie der Wissenschaften oder der bekannten Lomonossow-Universität Moskau, die den Krieg verteidigen. Mit diesen Institutionen hat die ÖAW die Kontakte eingefroren, und das halte ich auch für richtig. Die Kontakte zu Institutionen, die sich gleichsam schützend, begleitend und assistierend an Putins Seite stellen, muss man kappen. Das kann sich wieder ändern, aber derzeit geht das nicht. Jenen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen, von denen man weiß, dass sie Hilfe brauchen, muss man auch helfen.

STANDARD: Ist die Doppelstruktur der ÖAW – da Gelehrtengesellschaft, dort Grundlagenforschungsinstitute, vereint unter einem Dach und quasi in einer Hand, nämlich Ihrer als Präsident – vor allem mit Blick auf die Bedürfnisse der Forschungsinstitute, die in der hochkompetitiven Topliga mitspielen, noch angemessen? Es gibt schon lange die Forderung, beide Bereiche zu trennen und den Instituten echte Unabhängigkeit zu geben.

Faßmann: Ich kenne die Kritik, aber ich muss den Kritikern sagen, bitte schaut auch die Akademie genau an. Sie hat, beginnend mit 2010, einen Reformprozess durchgemacht, in dem Gelehrtengesellschaft und Forschungsträger getrennt wurden – zusammengehalten durch ein gemeinsames Präsidium unter dem institutionellen Dach der Akademie der Wissenschaften. Die Entscheidung, welche Institute eröffnet, welche geschlossen werden, wie die budgetäre Aufteilung ist, obliegt dem Präsidium, und die Gelehrtengesellschaft – und das ist ihr Einfluss – darf unter anderem alle fünf Jahre wählen, wer Präsident und wer Mitglied des Präsidiums ist. Diese Verbindung zwischen Gelehrtengesellschaft und Forschungsträger halte ich für sinnvoll. Denn ich möchte es nicht der Politik überlassen, zu entscheiden, wer Präsident der Akademie ist. Dahingehend ist mir das Elektorat der Gelehrten recht und sympathisch.

STANDARD: Ein anderes altes Problem ist die Unterrepräsentation von Frauen. Deren Anteil ist zwar in den Forschungsinstituten mit 35,5 Prozent wissenschaftlichen Angestellten höher und wird dort schneller aufgeholt, aber wie wollen Sie "gelehrten" Frauen, die es ja zur Genüge gibt, den angemessenen Platz in der ÖAW einräumen? Ende 2020 waren nur 19 Prozent der ÖAW-Mitglieder weiblich.

Faßmann: Da ist in den letzten Jahren viel passiert. Der Frauenanteil unter den neu gewählten Mitgliedern lag in den vergangenen vier Jahren jeweils bei über 50 Prozent, im Vorjahr waren es sogar 61 Prozent. Also sehr viel mehr, als es an den Universitäten ordentliche Professorinnen gibt. Aber es ist weiterhin ein immanenter Auftrag: Sucht nach qualifizierten Frauen – und bringt sie dann auch in eine entsprechende Funktion. Mein Wahlvorschlag für das Präsidium enthielt 50 Prozent Frauen. Da können sich viele Vorstände von Aktiengesellschaften ein Beispiel nehmen an dieser angeblich so versteinerten wissenschaftlichen Institution.

STANDARD: Noch ein Thema, an dem viele bis jetzt erfolglos gerüttelt haben: die "Klassengesellschaft" in der ÖAW. Es gibt wirkliche Mitglieder, korrespondierende im In- und Ausland, dann noch die zwei Klassendisziplinen an sich und die Junge Klasse. Das klingt doch arg antiquiert und entspricht der Wissenschaftslandschaft auch gar nicht mehr. Können Sie dem Ruf nach einer "klassenlosen Gesellschaft" in der ÖAW etwas abgewinnen?

Faßmann: Ich kann dieser Kritik etwas abgewinnen. Etliche Präsidien vor mir haben versucht, diese Struktur zu ändern, erfolglos. Ich glaube, das Einzige, was man machen kann und muss, ist, alle Mitglieder als Mitglieder anzusprechen, hereinzuholen in wissenschaftliche Diskurse – unabhängig davon, ob sie korrespondierende oder wirkliche Mitglieder sind. Also Grenzen zum Verschwinden bringen durch das faktische Handeln.

STANDARD: Sie waren als Wissenschafter zuerst Politikberater – von Sebastian Kurz, der damals noch Integrationsstaatssekretär war –, dann wurden Sie als Bildungsminister ins Kabinett Kurz geholt: Wie hat sich Ihr Blick auf das Verhältnis Wissenschaft und Politik dadurch verändert?

Faßmann: Es ist ein Privileg, beide Seiten kennengelernt zu haben. Ich gehe daher sehr respektvoll mit den Politikern um, aber auch mit den Wissenschaftern. Ich weiß, dass jeder Politiker jeden Tag mindestens fünf thematische Bälle gleichzeitig aufzufangen hat und unter einem großen medialen Druck steht. Er muss sich zu Wort melden und möglichst auch was Gescheites sagen. Auf der anderen Seite weiß ich natürlich, dass ein Wissenschafter Expertenwissen besitzt und daher der Politik bei der Entscheidungsfindung behilflich sein kann. Ich glaube, wesentlich ist, dass man das Rollenverhältnis klar definiert, transparent macht und nicht versucht, den Politiker als Wissenschafter und umgekehrt den Wissenschafter als Politiker auftreten zu lassen. Das führt zu Verwirrung und Enttäuschung und ist auch demokratiepolitisch zweifelhaft, denn der Politiker kann abgewählt werden, aber der Wissenschafter nicht. Wenn man die Rollen klar definiert, dann kann man sich gegenseitig unterstützen.

STANDARD: Dieses Dilemma ist quasi kondensiert in einem Satz aus Ihrer Ministerzeit, der Sie seither verfolgt. Sie haben in einem STANDARD-Interview im Oktober 2018, als es um die von Türkis-Blau beschlossene, sehr umstrittene Wiedereinführung von Ziffernnoten ab der zweiten Klasse Volksschule ging, gesagt: "Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung." Muss man sich so die Leiden des Wissenschafters als Politiker vorstellen? Das ist ja eigentlich eine Niederlage für einen Wissenschafter.

Faßmann: Es ist keine Niederlage, es ist die Realität. Es gibt bei vielen Dingen unterschiedliche Stakeholder-Gruppen zu berücksichtigen, es gibt nicht die eine reine und allein gültige Wahrheit in der Politik, in der Wissenschaft sehr wohl. Der Stein fällt zu Boden, wenn ich ihn loslasse. Aber in der Politik muss man auch berücksichtigen, wie groß ist der Stein, soll ich ihn loslassen, wen kann ich damit treffen? Politische Entscheidungen sind sehr viel komplexer. Das muss man als Wissenschafter auch zur Kenntnis nehmen und darf nicht enttäuscht sein, wenn die eigene wissenschaftliche Erkenntnis nicht immer in eine unmittelbare politische Handlung umgesetzt werden kann. Es gibt eine Distanz zwischen der wissenschaftlichen Empfehlung und der politischen Realität – und die muss man zur Kenntnis nehmen.

STANDARD: Kommen wir noch kurz zu Ihrer Vergangenheit als Politiker. Hand aufs Herz: Als Sie Karl Nehammer aus einem Höflichkeitshabitus heraus gesagt haben, natürlich verstünden Sie, dass er sich sein Team selbst zusammenstellen wolle, sind Sie doch – wie alle – davon ausgegangen, dass er Sie als neuer Kanzler im Amt des Bildungsministers belässt, zumal mitten in einer Pandemie. Hat er aber nicht, er hat Ihr rhetorisch-höfliches Angebot prompt ergriffen – und der steirischen ÖVP einen Personalwunsch erfüllt, indem er Martin Polaschek zum Minister gemacht hat. Was hat Sie diese Episode gelehrt? Dass Loyalität in der Politik keine Kategorie ist oder Expertise nicht die wichtigste Währung, sondern Länder- oder Bündezugehörigkeit schwerer wiegen?

Faßmann: Die Lehre ist, dass es widersprüchliche Interessen gibt. In dem Fall war offensichtlich das Interesse im Vordergrund, einem großen Bundesland auch eine Stimme in der Regierung zu ermöglichen. Ich habe immer betont, dass ich die Logik der Politik zur Kenntnis nehme. Ich wusste, worauf ich mich einlasse, daher habe ich mich auch nicht täuschen lassen.

STANDARD: Aber Sie wären schon noch gern Bildungsminister geblieben?

Faßmann: Wenn ich gefragt worden wäre, es weiter zu machen, und wenn alles andere passt, hätte ich vielleicht Ja gesagt.

STANDARD: Gab es danach noch einmal ein Gespräch mit Kanzler Nehammer, oder waren Sie so perplex, dass Sie mit diesem Kapitel abgeschlossen haben und jetzt etwas Neues machen?

Faßmann: Ich habe mit dem Kapitel abgeschlossen, würde aber jederzeit mit Kanzler Nehammer sprechen – und er wahrscheinlich auch mit mir. Das ist auch ein Teil der Professionalität in diesem Bereich. (Lisa Nimmervoll, 25.4.2022)