Verteidigt als schöne Helena mit Perlenhaube unter der blonden Perücke Lust und Liebe: Patrycia Ziolkowska in den "Troerinnen".

Foto: Susanne Hassler-Smith

Kein Thron ist es, sondern ein Gynäkologenstuhl, auf dem Hekabe sich nackt und erdverschmiert windet. Der Krieg um Troja ist verloren, ihre Stadt zerstört, die Männer getötet, die einstige Königin hat allen Glanz und alle Macht verloren. Nicht nur trauert die machtbewusste Frau um diesen Verlust. Glatzköpfig ist sie (Sylvie Rohrer) zudem, hat sie doch jedem ihrer Kinder eine Locke aufs Grab gelegt. Schwer atmend flüstert die gebrochene Mutter deren 20 Namen, wie es sich für eine griechische Tragödie gehört. "Ach, ich Arme!"

Aber dann: Erzählt sie neben dem Traum, der ihr beschied, dass der Sohn Paris Troja in Brand setzen werde, von Schwangerschaftsübelkeit. Über ihr nimmt die Aufnahme einer Geburt Gestalt an: Der Kopf eines Kindes wird zwischen Schenkeln herausgepresst.

Die australische Regisseurin Adena Jacobs zeigt im Burgtheater ihre Fassung der Troerinnen. Euripides 415 v. Chr. uraufgeführtes Stück rekapituliert den Trojanischen Krieg aus weiblicher Sicht. Jacobs reichert diese Vorlage um Texte von Ovid, Seneca und der australischen Autorin Jane Montgomery Griffiths an und erzeugt so eine feministische Zuspitzung. Männerrollen gibt es nicht mehr, auf der Bühne stehen nur Frauen und sprechen für sich. Viel mythologisches Brimborium und Heldensage sind weggefallen. Nach zwei Stunden gab es dafür bei der Premiere am Samstag großen und einhelligen Applaus.

Königskinder im Bus

Erst nutzen die königlichen Kinder (als Chor) aber den öffentlichen Verkehr, ein ausgebrannter Bus gehört zu den wenigen Kulissen (Eugyeene Teh). Haben sie sich nach dem Aussteigen der Jeans und Jogginghosen, Parkas und Lederjacken entledigt, leuchten ihre Wirbelsäulen aus den fleischig klaffenden Rücken. Jacobs setzt auf die Wucht in hautfarbene Anzüge gesteckter, nackt scheinender Körper, auf Dunkelheit und Schlaglichter.

Statik und Bildgewalt passen scheinbar gut zu antikem Leid. 2017 inszenierte Michael Thalheimer so etwa Die Perser, und an manche Elemente fühlt man sich erinnert. Auch Jacobs geht ihre Arbeit gemächlich an: Da wird ausdrucksvoll gesprochen, man nimmt sich Zeit für Gesten. Trotzdem wirkt der Abend alles andere als lahm oder staubig. Das liegt einerseits daran, dass die neuen Übersetzungen von Gerhild Steinbuch heutig und klar klingen. Zum anderen spitzt die 40-jährige Regisseurin Euripides’ Interesse an den Frauenschicksalen mehr als bloß feministisch zu: Sie dringt durch Textverknappung auch psychologisch tiefer. Alles ist Gefühl, direkt und konkret, nicht kalter Diskurs oder akademisch hochtrabende Theorie.

Dafür wirft Jacobs die chronologische Struktur der Tragödie um und gliedert sie nach den vier Frauen in vier Teile mit verschiedenen Schicksalen im Fokus. Man möchte das Casting für dieses Figurenpersonal nicht bestehen. Leid und Opfer sind Aufnahmevoraussetzung. Lilith Häßle berichtet als Königstochter Kassandra zum Video eines eklig lüsternen Mundes von Vergewaltigung. Sie ist Seherin der Gewalt gegen Frauen. Die vom Prinzen Paris in Griechenland verführte schöne Helena (Patrycia Ziółkowska) tritt dagegen für die Lust auf. Im Goldkleid geht sie orgiastisch erfüllt in die Knie, wenn sie an den Sex mit dem Trojaner denkt: "Heißer Atem / Finger in mir." Immerhin scheint sich der Ärger gelohnt zu haben, war doch ihr Raub Auslöser für den Krieg.

Leid im Breitbildformat

Die Vierte im Bunde der Überlebenden ist Andromache, die Frau Hektors und Schwiegertochter Hekabes. Sabine Haupt betritt mit einem schwarzen, animalischen Bündel an die Brust gedrückt die Bühne. Es ist ihr Sohn Astyanax, der Letzte in der Ahnenreihe, den sie vor Odysseus Blutrausch in Sicherheit bringen muss. Es nützt nichts, bald streckt sie ihn uns auf ihren Armen aufgebahrt entgegen, bald baumelt er wie ein toter Hase an den Beinen gehalten in ihren Händen.

Neben dem Bus ist die zweite Kulisse des mit wenigen Requisiten effektvollen Abends eine Box, die weiß, grün oder rot ausgeleuchtet wird. Der Chor stellt sich in ihr zu zarttraurigen Gesängen auf, Andromache dient sie durch geschickten Einsatz von Blenden als Exil im Breitbildformat, in dem sie als Kriegsbeute des Neoptolemos die Distanz zum gemeinsamen Sohn im Brutkasten nicht überwinden kann.

Jacobs hat erstmals im Haus am Ring inszeniert, ohne gefühlig zu werden erschüttern ihre Troerinnen durch Bilder und Perspektivierungen – noch uneingedenk der Tatsache, dass diese vier Symbolfiguren für Frauenelend im Krieg mit den ukrainischen Opfern seit zwei Monaten ein bedrückendes neues Realitätsäquivalent kennen. Das grandiose Stück erntete den verdienten Jubel. (Michael Wurmitzer, 24.4.2022)